Schifffahrt: Stürmische Tage auf dem roten Koloss

Nr. 43 –

Sie werden immer grösser und fahren mit immer weniger Personal immer billiger Güter rund um den Globus: Containerschiffe sind zum Symbol der Globalisierung geworden. Eine Fahrt von Amerika nach Europa – und ein Gespräch mit einem ehemaligen Schweizer Kapitän.

Einsames Zuhause: 230 Meter Stahl, irgendwo zwischen der US-Ostküste und Antwerpen. Foto: Daniel Stern

Er fiel mir sofort auf, nachdem ich in Wilmington, North Carolina, den schmalen Aufgang an Deck des Containerschiffs hochgestiegen war. Andriy Pavluk* trug als Einziger der Crew eine Uniform, da er als Erster Offizier mit den Hafenbehörden zu verhandeln hatte.

Ich war der einzige Passagier auf dem Frachtschiff. Es sollte mich in zehn Tagen von der US-amerikanischen Ostküste nach Europa bringen. Kaum war ich an Bord, gab Pavluk einem Matrosen die Anweisung, mich zu meiner Kabine zu führen. Dort schaute ich durch die Luke den riesigen Hafenkränen zu, die im Neunzig-Sekunden-Takt die Container aufluden. Ein durchrationalisiertes Stahlballett. Um Punkt 18 Uhr legte das Schiff ab.

Am nächsten Tag nimmt mich Pavluk auf einen Rundgang durch das 230 Meter lange Schiff mit. Ausgerüstet mit Helmen, marschieren wir auf Deck an den aufeinandergestapelten Containern vorbei. Pavluk erzählt gleich zu Beginn vom Heimweh, das ihn plagt: «Es ist schwer», sagt er. Zu Hause warten seine schwangere Frau und eine vierjährige Tochter, doch er hat sich für vier Monate verpflichtet. Bei der Geburt des zweiten Kindes will er diesmal dabei sein. Das Heimweh lächelt er weg. «Das ist halt so bei den Seefahrern.» Das alte Lied.

«Was alles in diesen Containern transportiert wird, weiss niemand im Detail», sagt Pavluk. Doch die Container liegen nicht zufällig übereinander. In den Häfen rechnet ein Computer aus, wo welcher Container aufgrund seines Gewichts und der Gefährlichkeit seiner Ladung platziert werden muss. Kühlcontainer werden so angeordnet, dass ihr Kühlsystem während der Überfahrt von der Crew überwacht werden kann. «Einer ist voll mit Süsskartoffeln», weiss Pavluk und fragt rhetorisch: «Wachsen die in Europa nicht?»

Auf unserer Tour begegnen wir immer wieder Crewmitgliedern bei der Arbeit. Es wird geschweisst und gesäubert. Ein etwa fünfzehn Meter langes Stahlbehältnis, in dem Werkzeuge und Verbindungselemente gelagert werden, ist völlig verrostet. Mehrere Crewmitglieder nehmen es auseinander. «Die amerikanische Hafenbehörde hatte Diverses zu beanstanden», erzählt Pavluk.

Pavluk führt mich auch durch den Innenteil des Schiffs. Er zeigt mir den sogenannten Hobbyraum der rund zwanzigköpfigen Mannschaft: Ein Pingpongtisch und ein alter Hometrainer stehen darin. Es scheint, als ob sie kaum je benutzt würden. Schliesslich betreten wir das Schiffsdeck, von wo aus der Kahn gesteuert wird. Ein grosses Steuerrad, wie man es aus den alten Seefahrerfilmen kennt, gibt es hier nicht. Selbst die grössten Kähne werden mit einem Joystick gesteuert.

Überall Heizflöhe

Während der weiteren Überfahrt sehe ich Pavluk nur noch selten. Er habe viel zu tun. Im Lauf der Tage wird es immer stürmischer. Die Offiziere stehen oft zu zweit auf der Brücke. Unaufhörlich schwankt der rote Koloss in den hohen, blaugrauen Wellen und der aufschäumenden Gischt hin und her.

Als Passagier auf einem Containerschiff den Ozean zu überqueren, kann durchaus erholsam sein. Abgeschnitten von Internet und Telefonverbindung plätschert die Zeit dahin. Zeit zum Lesen. Dazwischen kann man den Puls hochschrauben, indem man die vielen Stufen zur Brücke hoch nimmt. Dort lässt es sich besonders gut ins Meer starren. Unablässig verändert es seine Farben und Formen.

Während ich angesichts von Sturm und Regen jeweils sehr bald wieder in meine geräumige Gastkabine zurückkehre, arbeiten draussen die Matrosen stundenlang mit Helm, Sturmhaube und regenfesten Kleidern und spritzen mit Hochdruck Gerätschaften ab. Trotz des unablässigen Putzens sammeln sich auf Treppen und in Nischen Tag für Tag mehr schwarze Russkörner an – «Heizflöhe» werden sie genannt.

Die ausgestossenen Schwefel- und Stickstoffoxide, der Feinstaub und der Russ, die die Hochschiffe ausstossen, sind an den weltweiten Küsten für jährlich 400 000 vorzeitige Todesfälle und rund vierzehn Millionen Asthmaerkrankungen von Kindern verantwortlich. So heisst es in einer Studie, die vergangenes Jahr in der Zeitschrift «Nature Communications» veröffentlicht wurde. Ab 2020 müssen die Schiffe den Schwefeloxidausstoss gemäss einer internationalen Übereinkunft stark reduzieren.

Acht Monate auf See

Die Stimmung in der Offizierskantine, wo ich mein Essen einnehme, ist zumeist eher gedämpft, geredet wird nur wenig. Setzt sich ein Crewmitglied an seinen immer gleichen Platz, eilt Ginto Reyes* hinzu und stellt einen vollen Teller auf den Tisch. Wer fertig gegessen hat, steht gleich wieder auf, und Reyes trägt sogleich das Geschirr ab. «Messman» nennt man auf den Schiffen Reyes’ Funktion. Er bedient in der Offiziersmesse die ukrainischen Offiziere und Techniker – und in einer zweiten Kantine die philippinischen Matrosen. Auch Reyes selbst stammt aus den Philippinen. Der Inselstaat ist eines der grössten Arbeitskräftereservoirs für die globale Hochseeschifffahrt. Über 200 000 der weltweit rund 1,6 Millionen SeefahrerInnen kommen von den Philippinen. Generell arbeiten in der Schifffahrtsindustrie laut der Uno-Organisation für Handel und Entwicklung nur gerade zwei Prozent Frauen – mit einem durchschnittlich 45 Prozent tieferen Lohn.

Reyes geht es nicht gut. Bereits bei unserer ersten Begegnung erzählt er, dass er seine Familie vermisse. Er hat einen fünfzehnjährigen Sohn und eine achtjährige Tochter. Bei unserer Begegnung ist er erst seit einem Monat auf dem Schiff und hat noch sieben Monate vor sich. Das Leben auf See ist langweilig. Reyes steht jeden Tag um halb sechs Uhr auf und beginnt ab sechs Uhr damit, das Frühstück vorzubereiten. Jeden Tag. Im Gegensatz zu den anderen Crewmitgliedern haben Reyes und der Schiffskoch keinen freien Tag. «Abends sitze ich vor dem Smartphone und spiele Games», sagt er, «dann schlafe ich ein.»

Wieso fährt Reyes denn zur See? Er habe keine andere Wahl, sagt er. Seine Kinder müssten zur Schule, und das koste. An seinem Wohnort eine Stelle zu finden, sei praktisch unmöglich. Dazu fehle es ihm an der nötigen Schulbildung. Und der Lohn hier auf dem Schiff sei in Ordnung.

Seit zwanzig Jahren ist der 43-Jährige auf See. Wenn er zu Hause sei, komme es bisweilen sogar vor, dass ihn das Fernweh packe. Von der Welt sonst sieht er kaum etwas. Die Containerschiffe, auf denen er arbeitet, sind auf ihrem Liniendienst eng getaktet. Meist wird am Morgen im Hafen angelegt – und am Abend geht es bereits weiter. In der Zwischenzeit ist Reyes damit beschäftigt, neuen Proviant entgegenzunehmen und zu verstauen. An Land kann er da nicht. Immerhin hat er in Hafennähe Zugang zum Internet und kann so mit seiner Familie kommunizieren. Vor seinem jetzigen Einsatz war er nur drei Monate zu Hause. Er bereut das. Das nächste Mal will er sich sechs Monate freinehmen.

Angeschwemmte Flachbildschirme

Nachdem sich unser Schiff während Tagen alleine durch den Atlantik gepflügt hat, nimmt der Verkehr nahe der britischen Südwestküste immer mehr zu. Dann, zwischen England und dem europäischen Festland, fahren die Schiffe eng hintereinander, die Luft ist schlecht, und die Hektik an Bord steigt. Nochmals wird alles geputzt, rostige Stellen auf dem Schiff werden übermalt.

Nach zehn Tagen kommt unser Frachter pünktlich um sechs Uhr morgens im Hafen von Antwerpen an. Während die Crew sowie die Lotsen mit Spezialschiffen den Koloss näher und näher an die Anlegestelle bringen, warten die Hafenarbeiter bereits darauf, das Schiff entladen zu können. Die riesigen Kräne stehen bereit.

Ich verabschiede mich von der Crew und nehme ein Taxi, das mich durch die ausgedehnten Hafenanlagen zum Ausgang bringt. Auf der Fahrt stechen die vielen Windräder ins Auge, die hier Strom produzieren. Dann fahren wir am MSC PSA European Terminal vorbei, wo mit den 41 grün gestrichenen Kränen alleine die Hälfte des Containerverkehrs von Antwerpen abgewickelt wird.

Der Hafen ist die Ausgangsbasis der Genfer Reederei MSC, die den Terminal mit besitzt. MSC? Jetzt erinnere ich mich, wie ich vor meiner Reise Zeitungsberichte über die Schweizer Reederei las. Ihr Flaggschiff, die «MSC Zoe», hatte in einem Sturm in der Nordsee am zweiten Neujahrstag dieses Jahres 345 Container verloren. Später wurden auf den nord- und ostfriesischen Inseln Autoersatzteile, Möbel, Kühlschränke, Plastikspielzeug und Flachbildschirme angeschwemmt. Zahlreiche Container blieben vermisst, darunter auch solche, die gefährliche Güter enthielten, etwa 280 Säcke Bleichmittel oder 1,4 Tonnen Lithiumionenbatterien.

Die Reederei ist im Besitz der Familie Aponte. Ihr Gründer, der heute 79-jährige Gianluigi Aponte, stammt aus ärmlichen Verhältnissen in Süditalien und arbeitete zuerst als Matrose, dann als Kapitän auf Passagierschiffen in Neapel. Sein Aufstieg erscheint geradezu märchenhaft: Während einer Schifffahrt lernte er die Schweizer Bankierstochter Rafaela Diamant kennen, heiratete sie, zog nach Genf, wo er ins Bankgeschäft einstieg – und schliesslich zusammen mit einem Kunden die MSC gründete. Knapp fünfzig Jahre später ist die MSC die weltweit zweitgrösste Reederei mit 520 Frachtschiffen (vgl. «Die Schmutzschleudern auf hoher See» in Anschluss an diesen Text). Laut der «Bilanz» verfügt Aponte inzwischen über ein Vermögen von 9,5 Milliarden Franken und zählt zu den reichsten SchweizerInnen.

Zahnlose Übereinkunft

Der globale Warenverkehr, der inzwischen zu neunzig Prozent auf den Weltmeeren stattfindet, schafft ungeheuren Reichtum. Doch für die meisten Seeleute bleiben nur Krümel. Zwar ist seit sechs Jahren das internationale Seearbeitsübereinkommen in Kraft, das Minimalstandards bei den Arbeitsbedingungen festschreibt und allen Beschäftigten Gesundheitsschutz und Sozialversicherung garantieren soll. Doch hat das die Arbeitsbedingungen wirklich verbessert?

Zurück in der Schweiz, stosse ich bei meinen Recherchen auf Stefan Sip, einen 56-jährigen Schweizer Kapitän, der jahrzehntelang zur See fuhr – und heute in Zürich Wollishofen lebt. Wir treffen uns in einem Zürcher Café. Sip sagt, die Zusammensetzung der Crew, der ich auf meiner Reise begegnete, sei eine «ziemlich typische Kombination». Die osteuropäischen Offiziere hätten normalerweise eine gute Ausbildung genossen; für sie sei der Lohn angesichts der Lebenshaltungskosten in ihren Ländern einigermassen anständig. Die Filipinos wiederum verfügten über «eine grosse Frustrationstoleranz». Die Unternehmen wüssten, dass sie mit ihnen kaum Probleme haben würden: «Sie sind mit wenig zufrieden, maulen nicht und sind fleissig.» So gesehen würden die Reedereien die Crew nach «ökonomischem Rassendenken» zusammenstellen.

Das Seearbeitsübereinkommen sei ein «Papiertiger», sagt Sip. Insbesondere die Arbeitszeitkontrolle sei «absolut unrealistisch». Es sei ein offenes Geheimnis, dass an Bord oft zwei Bücher parallel geführt würden, eines für den internen Gebrauch und eines für die Kontrollbehörden. «Ich habe keinen Seemann erlebt, der diese Übereinkunft als Durchbruch empfunden hätte.» Die Arbeitsbedingungen hätten sich kaum verbessert. «Auf allen Schiffen wird getrickst, anders ist es gar nicht möglich.» Das Hauptproblem sieht Sip darin, dass die Mannschaften zu klein sind.

Stefan Sip begann seine Laufbahn als Deckhand, eine Art Handlanger auf See. Später studierte er Nautik in Bremen und war mit dreissig bereits Erster Offizier, fünf Jahre später Kapitän. «Damals wohnte ich in Bremen. Mit dem Verdienst auf See kam ich dort gut über die Runden.» Doch dann zog Sip in die Schweiz zurück. Während der Landurlaube musste er nun Taxi fahren, um seinen Lebensstandard aufzubessern.

Später versuchte er, eine Reederei als «maritimes Kompetenzzentrum für innovative Schiffsantriebs- und Transportkonzepte» aufzubauen. Die Idee: Erfahrene Berufsleute wie auch junge Einsteiger sollten abwechselnd an Bord und für Büroarbeiten an Land eingesetzt werden. Doch wurde Sip in dieser Zeit schwer krank und musste seine Pläne begraben. Nach der Genesung fuhr er nochmals einige Jahre auf See – immer frustrierter: «Es lohnt sich einfach nicht. Ich bekomme mehr Geld, wenn ich stempeln gehe.» Auch die Stimmung auf den Schiffen sei in den letzten Jahrzehnten schlechter geworden. Früher sei das Seemannsein eine Lebenshaltung gewesen. «Es gab ein Berufsethos, das die Kulturen verbunden hat.» Heute dagegen würden die Crews immer wieder neu zusammengestellt, was die sozialen Kontakte erschwere. Als Kapitän habe er versucht, dem entgegenzuwirken: «Ich habe Tischtennisturniere veranstaltet, Dartmeisterschaften und Karaokeabende; ich habe Preise verteilt und Ansprachen gehalten.» Doch es wurde immer schwieriger. Die meisten würden heute allein in ihrer Kabine vor dem Laptop sitzen, Filme schauen oder gamen. Dass man nach der Arbeit noch zusammensitze und ein Bier trinke, komme immer seltener vor.

Stefan Sip stellt inzwischen auch generell den Sinn des immer grösser werdenden Warenverkehrs infrage: «Man sollte eigentlich nur noch transportieren, was an einem anderen Ort wirklich gebraucht wird», sagt er und bringt ein Beispiel: «Auf einer Fahrt um Weihnachten 2013 hatten wir 367 Kühlcontainer mit gefrorenen Poulets geladen. Ich habe das dann hochgerechnet: Wir transportierten über acht Millionen Poulets von Brasilien nach Südafrika, von wo aus sie nach Botswana gekarrt wurden – als ob es dort keine Hühner gäbe.»

Der Trend zu immer absurderen Transporten nimmt kein Ende. Immer grössere Konzerne setzen auf den Einsatz von immer mehr Kapital, um weiter zu rationalisieren und die Zahl der Beschäftigten zu reduzieren. Der billige Treibstoff hilft, die Preise zu drücken, auch wenn er Umwelt und Klima schädigt.

Ich musste in letzter Zeit oft an Reyes, den «Messman», denken. In diesen Wochen wird er seine Schicht zu Ende gebracht haben. Ob er wohl jemals einen Job in der Nähe seiner Familie findet?

Foto: Joshua Sheppard, Getty

* Namen geändert.

Als Passagier auf einem Frachtschiff

Frachtschiffe nehmen PassagierInnen auf Routen rund um die Welt mit. Die meisten Schiffe bieten allerdings nur wenige Kabinen; viele Fahrten sind Monate im Voraus ausgebucht. Die Anreise zum Frachthafen muss man sich selber organisieren, Ankunfts- und Abfahrtszeiten können kurzfristig ändern. Die Kabinen sind zumeist sehr geräumig und komfortabel.

Wer auf einem Frachtschiff reist, muss sich selber unterhalten. Es gibt auf Hochsee weder Internet noch TV. Zu empfehlen ist, reichlich Literatur mitzunehmen. Im Sommer bieten viele Schiffe auf Deck kleine Pools zur Abkühlung. Die Kosten für eine Überfahrt betragen rund 150 Franken pro Tag (allein in einer Zweierkabine, Vollpension). Buchen lassen sich Frachtschiffreisen via spezialisierte Vermittlungsagenturen, die online zu finden sind.

CO2-Bilanz : Die Schmutzschleudern auf hoher See

Im August taufte die Genfer Reederei MSC ihr neues Flaggschiff, die «MSC Gülsün». Es ist der erste von elf Superfrachtern, die allesamt rund 400 Meter lang sind und je rund 23 000 sechs Meter lange Container (die Masseinheit in der Branche) gleichzeitig laden können.

Je grösser die Schiffe, desto geringer sind die Kosten pro Container. Die MSC verschärft mit ihren neuen Schiffen den Konkurrenzkampf zwischen den Reedereien. Und das zu einer Zeit, in der die Branche sowieso schon mit Überkapazitäten kämpft.

Gemäss einem internationalen Abkommen müssen Hochseeschiffe ab nächstem Jahr ihren Schwefeloxidausstoss stark reduzieren. Die Reedereien müssen deshalb teureren Treibstoff mit einem Schwefelgehalt von maximal 0,5 Prozent (statt wie bisher von maximal 3,5 Prozent) einkaufen oder – wie bei der «MSC Gülsün» – eine Filteranlage installieren lassen. Auch zu ihrem CO2-Ausstoss muss sich die Branche inzwischen unbequeme Fragen stellen lassen. Laut verschiedenen Schätzungen ist der Schiffsverkehr für drei bis vier Prozent des globalen Treibhausgasausstosses verantwortlich. Das ist in etwa gleich viel wie beim Flugverkehr.

Der Schifffahrtsexperte Burkhard Lemper vom Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik in Bremen relativiert das: «Ein Schiff ist immer noch das energieeffizienteste Transportmittel.» Pro Tonne, die ein Schiff von A nach B transportiert, stösst es also im Vergleich weit weniger Treibhausgase aus als ein Flugzeug. Dennoch findet auch Lemper, dass die Schifffahrt ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten müsse. Schon heute würden die Schiffe langsamer fahren und damit weniger Treibstoff verbrauchen. Neue Schiffe – wie die «MSC Gülsün» – seien zudem immer energieeffizienter. Auch gebe es bereits Schiffe, die mit Windrotoren als Hilfsantrieb herumfahren.

Genauso wie beim Flugverkehr ist der politische Druck für einschneidendere Massnahmen allerdings gering. Erst kürzlich hat die International Maritime Organization – die globale Aufsichtskommission über den Schiffsverkehr – beschlossen, dass der CO2-Ausstoss des Schiffsverkehrs bis 2050 (im Vergleich zu 2008) nur um die Hälfte reduziert werden solle. Das steht klar im Gegensatz zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens.

Die Reedereien suggerieren derweil, sie würden das Problem mit neuen Schiffen lösen, die von Flüssiggas angetrieben werden. Diese Behauptung ist falsch: Zwar kann so der Ausstoss von Russ, Feinstaub und Schwefeloxid praktisch auf null reduziert werden, doch eben nicht die Treibhausgasemissionen. Bei der Verbrennung von Erdgas wird nicht nur CO2 freigesetzt – schon bei dessen Gewinnung gelangt viel Methan in die Atmosphäre, was besonders klimaschädlich ist.

Eine andere Antriebsform könnte Wasserstoff sein, mit dem praktisch emissionsfrei gefahren werden kann. Ob sich das durchsetzt, ist allerdings offen. Dazu müsste der herkömmliche Treibstoff von den Staaten verboten oder massiv verteuert werden. Möglich auch, dass wir am Beginn eines neuen Trends stehen, bei dem kleinere Schiffe mit Elektrobatterien ausgerüstet sind und ohne Besatzung autonom fahren oder teilweise von Land aus gesteuert werden.

Die konventionellen Schiffe werden allerdings so schnell nicht verschwinden. Bei der «MSC Gülsün» geht man von einer Lebensdauer von mindestens zwanzig Jahren aus.

Daniel Stern

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