Auf allen Kanälen: Bomben auf Brüssel

Nr. 44 –

Warum die «grosse Impf-Lüge» der «Weltwoche» eine Lüge und ihre weitere Verbreitung gefährlich ist.

Fotomontage: Coronaviren entspringen dem Mund von Roger Köppel

Falls Sie von den «Bomben» hörten, die «in Brüssel einschlugen»: Es sind Fake News. Brandsätze aus dem Bunker der «Weltwoche», gebastelt von SVP-Nationalrat Roger Köppel und seinen Mannen aus dem Tweet eines rechtskonservativen EU-Parlamentariers vom 11. Oktober. In mittlerweile Dutzenden von Beiträgen im Blatt und auf dem hauseigenen Youtube-Kanal schürt der Verleger die Lüge von der «grossen Impf-Lüge»; die «Bomben» sind die jüngste verbale Eskalationsstufe. Und sie haben so richtig gezündet, vor allem im Netz: Eine rund 45-minütige Tirade von Köppel vom 28. Oktober (eines von sechs Videos zum Thema) hat bereits rund 85 000 Klicks. Der Demagoge triumphiert: «Die Verschwörungstheorie ist Wirklichkeit geworden.»

Konkret: Der Covid-Impfstoff von Pfizer/Biontech (die anderen Hersteller sind mitgemeint) sei unwirksam. Das hätten Hersteller und Behörden «zugegeben». Seither überbieten sich die Medien hierzulande mit «Faktenchecks», um die «Impf-Lüge» zu widerlegen. Und kommen dabei mitunter ins Stottern, wie die NZZ, die von «übertriebenen Impfversprechen» schreibt und resümiert, «dass die Skeptiker recht hatten».

Die «Urlüge»

«Bullshit», findet hingegen der Sozialwissenschaftler Marko Kovic in der «Medienwoche» und dekonstruiert erst einmal die Mechanismen der Argumentation, um die behauptete Lüge als ebensolche zu entlarven. Am Anfang stand der Tweet, die Pfizer-Managerin Janine Small habe im EU-Parlament bestätigt, dass der mRNA-Impfstoff nicht darauf geprüft worden sei, ob er eine Übertragung des Virus verhindere. Das wurde für die «Weltwoche» quasi zur Urlüge, auf der alle folgenden Berichte aufbauten, ohne indes noch auf diese Bezug zu nehmen. So verselbstständigte sich die Dynamik bis hin zur groben Lüge, es gebe keine wissenschaftliche Evidenz für die Wirksamkeit der Covid-Impfstoffe.

Die «Urlüge» wurde aus einem Missverständnis konstruiert, das sich rasch aus der Welt schaffen lässt: Das Ziel jeder Impfstoffentwicklung ist es, eine Infektion mit dem Virus und damit eine schwere Erkrankung zu verhindern. Allein daran misst sich seine Wirksamkeit. Ob der Impfstoff auch vor einer Übertragung von Mensch zu Mensch schützt, kann erst später überhaupt untersucht werden – wenn genügend viele geimpft sind.

Israel mit seiner frühen und hohen Durchimpfungsrate tat dies als erstes Land. Die im renommierten Fachblatt «The Lancet» publizierte Studie kam im Sommer 2021 zum Schluss, dass eine Übertragung des Ursprungsvirus in den ersten Monaten nach der Impfung «signifikant reduziert», wenn auch nicht vollständig blockiert wird, weitere Studien bestätigten dies. Mit anderen Worten: Das Virus konnte sich im geimpften Körper nicht oder nur wenig vermehren.

Das änderte sich mit dem Aufkommen neuer Virusvarianten. Vor allem das Auftreten von Omikron Ende 2021 liess den Schutz vor Infektionen sinken. Aber, und das ist wichtig: Die Impfung verhinderte schwere Erkrankungen, war also nach wie vor wirksam. Der aktuell verfügbare Booster hinkt den zirkulierenden Untervarianten von Omikron zwar hinterher, vermag indes ebenfalls vor schweren Krankheitsverläufen zu schützen, vor einer Übertragung des Virus auf andere hingegen nicht mehr.

Long Covid droht allen

Natürlich zielt die behauptete «Impf-Lüge» und Verschwörungstheorie letztlich auf Politiker:innen und Behörden. Dass diese komplexe und oft auch widersprüchliche wissenschaftliche Erkenntnisse in ihrer Kommunikation mitunter so stark vereinfachten, dass sie so nicht mehr stimmten, ist leider vorgekommen. Und die Hoffnung (war sie je ein «Impfversprechen»?), dass mit der Impfung rasch eine Herdenimmunität erreicht werden könne, war von Beginn weg illusorisch. Aber nicht, weil die mRNA-Impfstoffe unwirksam gewesen wären, sondern weil es weltweit viel zu wenige gab, sie ungleich verteilt wurden und das Ursprungsvirus zu rasch mutierte.

Das Problem der Übertragung bleibt relevant, auch wenn mittlerweile praktisch alle Menschen Antikörper gegen Corona besitzen: Long Covid droht allen, die sich erneut infizieren, selbst wenn sie nur leicht erkranken. Statt über vermeintliche «Impf-Lügen» zu debattieren, sollten wir uns besser überlegen, wie wir uns selbst und andere in den kommenden Monaten vor einer Ansteckung schützen können.