Gasfracking: Zerstörung mithilfe von Schweizer Banken

Nr. 44 –

Energiekonzerne investieren in Texas Milliarden, um klimaschädliches Erdgas in die Welt zu exportieren. Indigene Aktivist:innen fordern nun hiesige Geldgeber auf, sich aus diesem Geschäft zurückzuziehen.

Bekah Hinojosa, Christopher Basaldu und Oliveria Montes Lazcano
Unterwegs, um ihre Heimat in den USA und Mexiko vor den Folgen fossiler Energiegewinnung zu schützen: Bekah Hinojosa, Christopher Basaldu und Oliveria Montes Lazcano in Zürich.

«Nehmen Sie Ihr Geld weg von der Credit Suisse. Diese Bank muss zerschlagen werden!» Es ist Donnerstag vergangener Woche, Christopher Basaldu steht vor der Grossbank auf dem Zürcher Paradeplatz und ruft durch ein Megafon die herumstehenden Leute zum Handeln auf. Am gleichen Tag verkündet die arg strauchelnde Credit Suisse ihren grossen «Strategiewandel». Von London aus erklärt CS-Chef Axel Lehmann in einer Videokonferenz, man werde den «kulturellen Wandel» weiterführen und das Risikomanagement sowie die Kontrollprozesse über die ganze Bank hinweg verbessern.

Von einer Abkehr von ihrem klimafeindlichen Geschäft ist keine Rede. Im Gegenteil: Der Einstieg der Saudi National Bank als Grossaktionärin lässt das Gegenteil befürchten.

«Wir realisierten erst, was da geplant ist, als bei uns die Baumaschinen auffuhren.»
Oliveria Montes Lazcano, Aktivistin

Basaldu stammt von der Carrizo Comecrudo Nation ab, der indigenen Bevölkerung, die früher in den Weiten des heutigen Texas und des jetzigen Nordmexiko lebte. Er kämpft gegen zwei riesige Gasverflüssigungsanlagen und die zugehörigen Pipelines und Hafenterminals, die ganz im Süden von Texas nahe der Stadt Brownsville gebaut werden sollen. Basaldu ist zusammen mit Bekah Hinojosa, die ebenfalls aus Südtexas stammt, sowie Oliveria Montes Lazcano, die der indigenen Volksgruppe der Nahua in Mexiko angehört, in die Schweiz gereist. Sie wollen die hiesige Bevölkerung auf Grossprojekte in Nord- und Mittelamerika aufmerksam machen, die die Lebensgrundlage indigener Gemeinschaften bedrohen – und auch die Klimakrise weiter verschärfen würden. Auf dem Paradeplatz halten sie mit Aktivist:innen aus der Schweiz Fotos in die Höhe, die die Auswirkungen des Gasfrackings dokumentieren.

Der LNG-Boom

Lange Zeit war die Gasgewinnung im sogenannten Permian Basin von West Texas und New Mexiko nicht lukrativ. Das beim Ölfracking austretende Erdgas wird noch heute oft einfach verbrannt. Wer nachts durch die Gegend fährt, sieht überall hohe Flammen aus Kaminen lodern. Doch aufgrund steigender Energiepreise erlebt das Gasfracking in den USA nun einen regelrechten Boom. Zuerst trieb der Wirtschaftsaufschwung nach der Covid-Pandemie die Erdgaspreise in die Höhe, dann der Krieg gegen die Ukraine und die Suche der europäischen Regierungen nach einer Alternative zum russischen Gas.

Zwar sind die zwei Verflüssigungsanlagen nahe von Brownsville schon seit Jahren in Planung, doch jetzt sollen sie tatsächlich gebaut werden. Die behördlichen Bewilligungen liegen vor. Die Anlagen sollen an der Mündung des Rio Grande liegen, wo die grossen Tanker mit dem verflüssigten Gas beladen werden können. Um Erdgas in flüssiges Liquid Natural Gas (LNG) umzuwandeln, muss es mit viel Energie auf minus 161 Grad Celsius gekühlt werden. Das erfordert bei den beabsichtigten Mengen gigantische Installationen sowie grosse Terminals. So soll die grössere der geplanten Anlagen am Rio Grande rund 17 Milliarden US-Dollar kosten, die zweite, kleinere rund 2 Milliarden. Die LNG-Exportkapazität der USA würde um über ein Drittel erhöht, das Land könnte die derzeit führenden Exportnationen Katar und Australien überflügeln.

Hinter der grösseren Anlage, dem Rio-Grande-LNG-Projekt, steckt das Unternehmen Nextdecade, das enge Verbindungen zur CS hat: Die Schweizer Grossbank besitzt laut Geschäftsbericht «eine wesentliche Minderheitsbeteiligung» an der New Yorker Investmentfirma York Capital Management, die mit 44 Prozent die grösste Anteilseignerin von Nextdecade ist. Zudem hat Nextdecade die CS kürzlich exklusiv mit dem Verkauf neuer Aktien betraut, um für den Baubeginn sein Kapital zu erhöhen. Die CS ist aber auch eng mit dem Pipeline-Unternehmen Enbridge verbunden, das die Rio-Grande-LNG-Anlage mit Erdgas versorgen soll und dafür eine 220 Kilometer lange Pipeline mit dem Namen «Rio Bravo» bauen will. Die CS hat Enbridge seit 2015 über 1,3 Milliarden Dollar an Krediten gewährt und besitzt Aktien im Wert von 160 Millionen Dollar am Unternehmen. Auch andere Schweizer Banken sind an Enbridge beteiligt: Die UBS hält Aktien im Wert von 90 Millionen Dollar, Pictet ist mit 44 Millionen dabei und die Schweizer Nationalbank (SNB) gar mit 383 Millionen.

Geplant sind jedoch nicht nur neue Pipelines und LNG-Einrichtungen in den USA. Es werden auch Gasröhren von Texas nach Mexiko verlegt. Das kanadische Unternehmen TC Energy ist dabei führend. Es plant den Bau der Pipeline Tuxpan–Tula, die an die bereits fertiggestellte Pipeline von Brownsville nach Tuxpan anschliesst. Sie soll das texanische Frackinggas ins mexikanische Landesinnere führen, wo es neue Gaskraftwerke versorgen soll. Die SNB ist auch an TC Energy mit rund 220 Millionen US-Dollar beteiligt, und die CS hat dem Unternehmen immer wieder Kapital geliehen. Zuletzt war die Bank 2020 an einem Bankenkonsortium beteiligt, dass TC Energy 1,25 Milliarden Dollar bereitstellte.

Auf Kosten der Indigenen

Neue Pipelines, Verflüssigungsanlagen, mehr Erdgas für neue Gaskraftwerke: Es ist, als ob es keine Klimakrise gäbe, als ob die Internationale Energieagentur (IEA) nie eine klare Warnung ausgesprochen hätte: Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, dürften keine Investitionen mehr in neue fossile Infrastrukturen fliessen. Doch der Gasboom wird von den Beteiligten schöngeredet. Nextdecade faselt auf seiner Website von «nachhaltigem LNG» und behauptet, dass das LNG-Projekt den Gang in eine Netto-null-Zukunft «beschleunigen» würde. Zwar wird beim Verbrennen von Erdgas weniger CO₂ ausgestossen als bei Kohle und Erdöl. Von einer Überbrückungstechnologie kann man angesichts der Dringlichkeit, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren, jedoch längst nicht mehr reden. Ausserdem gibt es beim Energieträger Erdgas versteckte Emissionen: Beim Abbau, der Lagerung und dem Transport gelangen durch Lecks immer wieder grosse Mengen Methan in die Atmosphäre. Dieses ist in den ersten zwanzig Jahren achtzigmal klimaschädlicher als CO₂.

Basaldu und seine Mitstreiterin Hinojosa kennen diese Zusammenhänge bestens. Beide sind schon mehrmals nach Europa gereist, um über die Pläne der Konzerne zu informieren. «Die Verbindungen nach Europa sind für uns sehr wichtig», sagt Hinojosa. Gemeinsam mit irischen Aktivist:innen sei es ihr gelungen, den Bau eines Importterminals in Cork zu verhindern, das Gas von Nextdecade hätte aufnehmen sollen. In Frankreich wiederum konnte die Bank BNP Paribas dazu bewegt werden, kein Geld mehr in LNG-Projekte zu investieren.

Auf ihren Reisen erzählen Basaldu und Hinojosa auch von der Region um Brownsville. In der Mündung des Rio Grande finden sich viele Sumpfgebiete und Lebensräume von seltenen Pflanzen und Tieren. Viele Einheimische lebten vom Tourismus und vom Fischfang, sagen sie. Das alles sei bedroht. In der Gegend gebe es zudem viele Grabstätten von Indigenen sowie ein Gebiet namens Garcia Pasture, in dem sich Zeugen von mehreren Tausend Jahren indigenen Lebens finden. «Das ist die wichtigste Stätte der ganzen Region. Sie ist von der Nationalparkverwaltung anerkannt und steht beim World Monument Fund auf der Liste der bedrohten Orte», sagt Hinojosa. «Die LNG-Projekte führen den Genozid an den Indigenen in Amerika weiter», kommentiert Basaldu. «Wir sagen nicht, dass wir dieses Land besitzen, wir sind das Land. Unsere Identität kommt von dem Land.» Doch man hat die Indigenen der Carrizo Comecrudo Nation nicht einmal gefragt, als der Staat die Bauprojekte bewilligte.

Auch die Nahua wurden nicht gefragt, als TC Energy 2016 die Bauarbeiten an der Tuxpan–Tula-Pipeline begann. «Wir realisierten erst, was da geplant ist, als bei uns die Baumaschinen auffuhren», sagt Oliveria Montes Lazcano. Sie wohnt in Zaoyatla de Guerrero, einem kleinen Bergdorf in der Sierra Norte de Puebla. Die Menschen leben von der Landwirtschaft und bauen Kaffee an. «Wir begannen uns dann zu wehren», erzählt sie weiter. Sie liessen sich von Anwält:innen beraten, klagten gegen das Projekt – und bekamen recht. Das mexikanische Bundesgericht anerkannte, dass man sie vor Baubeginn hätte anhören müssen. Auch seien die Umweltauswirkungen zu wenig in Betracht gezogen worden. Geholfen hat 2018 auch die Wahl des linken Andrés Manuel López Obrador zum Staatspräsidenten. Er suspendierte den Pipelinebau wie auch geplante Frackingvorhaben. «Wir wissen allerdings nicht, was passiert, wenn er abgelöst wird», sagt Montes Lazcano. Die globalen Konzerne machten Druck.

Mexikos Präsident schaltet sich ein

Montes Lazcano, Basaldu und Hinojosa haben ihren Besuch in der Schweiz genutzt, um sich mit Klimaaktivist:innen auszutauschen. Sie wollten aber auch mit Vertreter:innen der Banken reden, um sie auf die Folgen ihrer Investitionen aufmerksam zu machen. Zu einem Treffen mit der CS ist es in Zürich nicht gekommen. Als sie der Bank nach der Kundgebung auf dem Paradeplatz eine Petition übergeben wollten, war niemand für sie zu sprechen. Inzwischen wurden die Aktivist:innen allerdings in London von CS-Verantwortlichen empfangen. Gegenüber der WOZ will sich die CS nicht zu ihren Geschäften mit Nextdecade äussern. Auch zu Basaldus Vorwurf, wonach die CS nicht nur zur Klimakrise beitrage, sondern auch «zur Fortführung von Kolonialisierung und Völkermord», sagt die Bank nichts. Sie schreibt lediglich ganz generell, dass sie sich der «Nachhaltigkeit» verpflichtet habe und sich ihrer Rolle «als Finanzintermediär beim Übergang zu einer kohlenstoffarmen und klimaresistenten Wirtschaft» bewusst sei.

Die Schweizer Nationalbank hat die drei Indigenen aus den USA und Mexiko letzten Donnerstag empfangen und sich der Kritik gestellt, wonach sie mit ihren Aktieninvestments gegen ihre eigenen Richtlinien zu Menschenrechten und Umweltschäden verstosse. Gegenüber der WOZ will die SNB zu einzelnen Investitionen keine Stellung nehmen. Sie berücksichtige in ihrer Anlagepolitik «die grundlegenden Normen und Werte» der Schweiz.