Serienkiller: Immer wieder Horrorshow

Nr. 46 –

Die Figur des pathologischen Mörders erlebt ein Revival, im Netz boomt der Reliquienhandel. Doch bei Serien wie «Dahmer» zeigen sich auch Anzeichen einer kritischen Erschöpfung.

Grafik aus dem Film «Jeffrey Dahmer: Selbstporträt eines Serienmörders»
Realweltlicher Schrecken als spannende, konsumierbare Geschichte: «Jeffrey Dahmer: Selbstporträt eines Serienmörders». Still: Netflix

Menschen schauen in ihrer Freizeit und für Geld gerne dabei zu, wie andere ermordet, gefoltert und zerstückelt werden – solange das nur als spannende fiktionalisierte Geschichte präsentiert wird. Der Erfolg einer Serie wie «Dahmer – Monster: Die Geschichte von Jeffrey Dahmer» auf Netflix wirft erneut die Frage auf, warum ausgerechnet Serienkiller als Sujet so ausgesprochen attraktiv sind.

«Dahmer» erzählt die Geschichte eines realen Mörders, der zwischen 1978 und 1991 Männer vergewaltigte und tötete, wobei er teils auch kannibalistische Handlungen an den Leichen vornahm. Diese Zusammenfassung allein, so würde man meinen, wäre Grund genug, den Blick von einer solchen Figur abzuwenden. Und doch zeigen gerade Geschichten dieser Art, dass aus der menschlichen Unfähigkeit, wegzuschauen, ganze populärkulturelle Genres entstehen können.

Obsession der Gegenwart

«Dahmer» reiht sich in eine lange Liste von Serienkillererzählungen ein. Zu diesem Boom gehören Serien wie «Mindhunter» (2017), die aus der Frühphase der Kriminalpsychologie erzählt, wobei auch einige berühmte Killer als Figuren auftreten. Dazu gehören aber auch Serien wie «Die Schlange» (2021) über den französischen Serienmörder Charles Sobhraj oder Filme wie «No Man of God» (2021) über Ted Bundy, der schon im Mittelpunkt des Films «Extremely Wicked, Shockingly Evil and Vile» (2019) stand. Zudem wurde Bundy eine eigene erfolgreiche Dokumentation auf Netflix gewidmet («Ted Bundy. Selbstporträt eines Serienmörders»), wie jetzt auch Jeffrey Dahmer, der selber bereits Vorlage für mehrere Dokumentationen war, etwa ebenfalls in diesem Jahr für die Miniserie «Jeffrey Dahmer: Selbstporträt eines Serienmörders».

Der Serienkiller ist eine der Obsessionen der Gegenwartskultur schlechthin. Diese Figur erzeugt eine narrative Energie, von der viele offenbar nicht genug bekommen können. «Dahmer» wird schon jetzt zu den erfolgreichsten Serien gezählt, die je bei Netflix liefen, gleich nach «Squid Game» und «Stranger Things». Was das in Zahlen heisst, ist schwer abzuschätzen, da die Plattform hier notorisch diskret ist. Weil der kulturelle Kapitalismus aber mit einer gewissen Zwangsläufigkeit auf laute Nachfragen reagiert, ist davon auszugehen, dass die Flut an Geschichten über Mord, Folter und Zerstückelung nicht abebben wird.

Gleichzeitig wird die Fülle an Serienkillergeschichten vermehrt auch als moralisch problematische Form der erzählerischen Ausbeutung wahrgenommen. Gerade bei «Dahmer» lässt sich eine kritische Ermüdung beobachten, eine genervte Erschöpfung von einem Genre, das unter dem Deckmantel der psychologischen Analyse die immer gleichen Horrortropen aufwärmt. Auch die Angehörigen der Dahmer-Opfer haben ihren Schmerz darüber zum Ausdruck gebracht, dass aus dem realweltlichen Schrecken, der ihnen zugestossen ist, eine spannende, konsumierbare Geschichte gemacht wurde. All das verweist auf die ethischen und ästhetischen Probleme des Genres.

Tendenz zum Fetisch

Dieser Boom ist auch ein Revival. In einem Essay für die «New York Review of Books» von 1994 bezeichnet die Schriftstellerin Joyce Carol Oates den Serienmord als das Verbrechen der neunziger Jahre. Schon damals prosperierte die Publizistik zum Thema mit einer Vielzahl von Büchern und Filmen im Gefolge des enorm erfolgreichen Thrillers «Das Schweigen der Lämmer» (1991). Oates diagnostizierte seinerzeit eine seltsame Tendenz der Fetischisierung in der Art und Weise, wie sich Celebrity Culture und Verbrechen miteinander verbinden – ein Trend, der sich seither zu einer regelrechten Industrie entwickelt hat.

Die Sammelkarten für Massenmörder, die Oates in ihrem Essay bestaunte, werden heute von der Unmenge an Merchandise in den Schatten gestellt, die man allein auf Etsy, einer der grössten E-Commerce-Seiten für handgemachte Produkte, erwerben kann: Serienkillersticker, -lesezeichen und -shirts. Eine Decke mit dem Konterfei Dutzender Mörder wie Ted Bundy oder John Wayne Gacy mag man als reines Kuriosum betrachten, dazu müsste man aber über die 330 Rezensionen von teils extrem zufriedenen Kund:innen hinwegsehen («Badass Decke. 10/10 gruselig. Perfekt für Freaks wie mich.»).

Irgendwie sei, schreibt Oates 1994, der Serienkiller zum würdelosen, verdammten und doch irgendwie bewundernswerten «edlen Wilden» unserer Kultur aufgestiegen: ein eigentümlich glamouröser Grenzgänger und Aussenseiter. Die Ratlosigkeit dieser Analyse verlängert sich in unsere Gegenwart – wobei man heute fast den Eindruck hat, dass es sich weniger um eine zeitgenössische Version des «edlen Wilden» handelt, der das Andere der Kultur verkörpern soll, als um eine säkulare Heiligenfigur.

Morbide Sammlerstücke

Anders lässt sich kaum erklären, dass sich um manche Serienkiller ein regelrechter Reliquienhandel entwickelt hat. Als die Serie «Dahmer» auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs stand, wurde die Brille des echten Jeffrey Dahmer angeblich für 150 000 US-Dollar verkauft. Wer nicht so tiefe Taschen hat, bekommt eine Brille à la Dahmer bei Etsy schon ab 25,95 Dollar – wobei dann natürlich die Aura des Originalen fehlt, die eine echte Reliquie mit Bedeutung und Wert ausstattet.

Die teure Brille ist nur ein Beispiel für «Murderabilia»: Sammelobjekte, die mit grausigen Verbrechen in einem Zusammenhang stehen. Von Armin Meiwes, dem sogenannten «Kannibalen von Rotenburg», kann man im Netz etwa einen alten Taschenrechner (119 Dollar) oder eine Kachel aus seinem Bad (349 Dollar) kaufen. Meiwes war 2006 zu lebenslanger Haft verurteilt worden, weil er einen anderen Mann – angeblich mit dessen Einverständnis – getötet, verstümmelt und teilweise verspeist hatte. Sein Haus scheint inzwischen zu einem Ort für «Grusel-Touristen» (RTL) geworden zu sein, die wohl ein ähnliches Begehren antreibt wie die Menschen, die nach Reliquien Ausschau halten und bereit sind, dafür zu bezahlen.

Die Tatsache, dass so etwas wie Murderabilia überhaupt existiert, verweist auf eine dunkle Faszination, von der sich die meisten, die eine Serie wie «Dahmer» anschauen, distanzieren dürften. Hier werden die nackte Schaulust und das offene Identifikationsbedürfnis sichtbar, die das Begehren nach immer mehr Geschichten über Serienkiller antreiben. Dagegen geben sich die Serien, Bücher, Filme und Podcasts, die heute an der erzählerischen Energiequelle des Serienkillerthemas partizipieren, oft als ernsthafte gesellschaftliche und psychologische Analysen aus, die angeblich auf einer ganz anderen Ebene operieren als die boulevardeske und problematische Welt von Murderabilia.

Zweifelhafte Legitimationen

Serien wie «Mindhunter» legitimieren sich als lehrreiche Geschichten über das beschädigte soziale Gefüge einer Kultur. Gerade die Figur des genialen Forensikers, der die Psyche des Täters wie einen komplizierten Text entschlüsselt, dient dazu, die Erzählung aufzuwerten. Dem Publikum bietet sich so die Möglichkeit, sich eben nicht als «Grusel-Touristen» wahrnehmen zu müssen: Indem wir uns mit der Forensikerin identifizieren, werden wir selbst zu Erforscher:innen einer beschädigten Seele.

Die wiedererkennbare Ästhetik des Quality-TV legitimiert zusätzlich den Anspruch, wonach es sich um mehr als nur eine unterhaltsame Horrorshow handle. Die ölige Ernsthaftigkeit, mit der «Dahmer» erzählt wird, die hohen Produktionswerte und die forcierte Langsamkeit: All das soll darüber hinwegtäuschen, dass wir es hier letztlich mit Murderabilia mit Quality-TV-Beleuchtung zu tun haben. Dazu kommt der Versuch, die Opfer mehr in den Mittelpunkt zu rücken und auch strukturelle Probleme zu thematisieren wie die Tatsache, dass Jeffrey Dahmer auch deswegen so lange morden konnte, weil seine Opfer queer und Schwarz waren.

Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Anlass des Erzählens immer das Monster bleibt. Serienkiller sind einfach keine guten Vorlagen für strukturelle Analyse und Kritik. Dafür sind sie viel zu spezifisch in ihren Pathologien, viel zu selten in ihrem Täterprofil und viel zu spektakulär in ihren Taten. Etwas Allgemeines, was über sie hinausweisen würde, lässt sich schwer erzählen.

Gerade diese Aspekte aber sind es, die diese Figuren so attraktiv machen. Von einer spannenden Erzählung erwarten wir sehr individuelle Charaktere und sehr konkrete spektakuläre Ereignisse. Unser narrativer Hedonismus steht oft im Widerspruch zu den moralischen und didaktischen Ansprüchen, die offiziell an das Erzählen gestellt werden. Wenn wir neue, bessere Geschichten wollen, dann wäre es hilfreich, diesen Widerspruch offenzulegen. Im Vergleich dazu hat der amoralische Hedonismus, der auf den Marktplätzen für Murderabilia zu beobachten ist, einen Vorteil: Er ist zumindest ehrlich.