Erwachet!: Aus dem Nachbarland 2

Nr. 47 –

Michelle Steinbeck über eine mediale Schlammschlacht

Vor vier Wochen schrieb ich hier über die Hoffnung der italienischen Linken: den ehemaligen Erntehelfer, Gewerkschafter und Aktivisten Aboubakar Soumahoro, der als neu gewählter Abgeordneter ikonisch mit schlammigen Gummistiefeln ins Parlament einzog, um seinem Kampf gegen die Ausbeutung in der Landwirtschaft symbolisch Ausdruck zu verleihen. Keinen Monat später läuft nun eine mediale Schlammschlacht gegen ihn. In einem Video reagiert er verzweifelt, in Tränen aufgelöst.

Dass Soumahoro in der Regierung unter Giorgia Meloni und Matteo Salvini heftig drangsaliert werden würde, war leider zu erwarten. Wie schnell und heftig die Situation nun eskaliert, zeigt wohl vor allem, wie sehr seine Gegner:innen ihn und die auf ihn gerichtete internationale Aufmerksamkeit fürchten. Die extreme Rechte, die sich selber euphemistisch als «centro-destra» bezeichnet und Soumahoro entsprechend als «Emblem der Opposition gegen die neue Mitte-rechts-Regierung», verlor keine Zeit im Versuch, ihn zu demoralisieren und ins politische Abseits zu zerren. Bereits in der ersten Woche als Ministerpräsidentin demonstrierte Meloni ihre offensichtliche Respektlosigkeit, indem sie den Abgeordneten duzte und seinen Namen dergestalt verhunzte, dass die Anrede zu einer rassistischen Beleidigung wurde.

In seiner noch kurzen Amtszeit sagte Soumahoro der Regierung Meloni täglich medienwirksam den Kampf an und nutzte sein Scheinwerferlicht, um Missstände im Land zu zeigen. So reiste er etwa zur Abdankung des 28-jährig verstorbenen Landarbeiters Dampha Alieu (in Italien verunglücken durchschnittlich drei Menschen pro Tag tödlich am Arbeitsplatz) oder ging an Bord des Seenotrettungsschiffs SOS Humanity 1. Dieses war Anfang November nach wochenlangem Ausharren auf See im Hafen von Catania eingelaufen, wo nur ein Teil der 179 Geretteten an Land gelassen wurde. Das Schiff wurde daraufhin aufgefordert, mit den übrigen Überlebenden den Hafen wieder zu verlassen, wogegen sich der Kapitän wehrte und ein Gerichtsverfahren einleitete. Soumahoro unterstützte dieses vor Ort und mit Erfolg: Schliesslich konnten alle Geretteten in Sizilien von Bord.

Seit dem Regierungswechsel und der Übernahme des für die Küstenwache zuständigen Ministeriums durch Salvini ist die katastrophale Lage für Geflüchtete im Mittelmeer noch prekärer geworden. Das Rettungsschiff Ocean Viking erlebte diesen Herbst seine längste Blockade auf See, als es mit 234 Überlebenden drei Wochen nirgends einlaufen durfte, bis sich schliesslich Frankreich zur Aufnahme bereit zeigte.

Kurz nach Soumahoros Rückkehr aus Catania wurden nun Vorwürfe gegen seine Partnerin und deren Mutter laut respektive gegen eine Einrichtung für Geflüchtete, die Letztere 2001 gegründet hatte. Die angeprangerten Missstände erklärt sie mit fehlenden Mitteln, weil die in der Zeit unter Innenminister Salvini rapide gekürzt worden waren.

Die Anschuldigungen und der Medienskandal erinnern an den Fall Mimmo Lucano: Der ehemalige Bürgermeister von Riace wurde letztes Jahr wegen seines Engagements für die Aufnahme von Migrant:innen zu über dreizehn Jahren Haft verurteilt. Er ist bisher einer der wenigen, der Soumahoro öffentlich verteidigt: «Das ist eine mediale Delegitimierung, die immer dann erfolgt, wenn sich jemand für die Rechte der Schwächsten einsetzt.»

Michelle Steinbeck ist Autorin.