Grossrazzia in Deutschland: Der geplatzte Reichsbürger­putsch

Nr. 50 –

Die «Patriotische Union» plante einen Umsturz in Deutschland: Die Mitglieder des Netzwerks sind reich, mit Schusswaffen ausgerüstet und stammen zuweilen aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft.

Es war einer der grössten Antiterroreinsätze in der Bundesrepublik Deutschland: Am vergangenen Mittwoch gingen 3000 Beamt:innen des Bundeskriminalamts (BKA) und von Spezialkommandos gegen die von Behörden und Medien so genannte Patriotische Union (PU) vor. Der Verdacht: Das Netzwerk aus 52 Reichsbürgern und Querdenkerinnen wollte an einem Tag X einen Putsch verüben.

Die PU plante mutmasslich, in den Bundestag einzudringen, Abgeordnete festzusetzen und die Stromversorgung zu unterbrechen, mit dem Ziel, in den darauf folgenden Unruhen eine neue Regierung mit Heinrich XIII. Prinz Reuss an der Staatsspitze zu bilden. Zur Gruppe gehören – neben dem Prinzen – unter anderem Rüdiger von Pescatore, ein ehemaliger Oberstleutnant der Bundeswehr, sowie Birgit Malsack-Winkemann, Richterin und frühere AfD-Bundestagsabgeordnete.

Eine Astrologin sollte sich um die  «Trans­kommunikation» kümmern.

Die Distanzierungen und Relativierungen kamen schnell. In nur vier Sätzen erklärten die AfD-Bundessprecher:innen Alice Weidel und Tino Chrupalla: «Wir verurteilen solche Bestrebungen und lehnen diese nachdrücklich ab» und versicherten, «vollstes Vertrauen in die beteiligten Behörden» zu haben.

Jürgen Elsässer folgte dem nicht. Der Chefredaktor des «Compact»-Magazins ging im hauseigenen Youtube-Kanal gleich zum Angriff über. In einem Video mit dem Titel «BKA erfindet Reichsbürgerputsch» sagt er: «Früher brauchte man einen Reichstagsbrand, um gegen die Opposition loszuschlagen, heute genügt eine Chatgruppe auf Telegram.» Die Schützenhilfe, die zugleich eine Relativierung des Nationalsozialismus impliziert, überrascht nicht. Schon im Oktober 2020 titelte das – vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtete – rechtsextreme Magazin: «Das Reich wird Pop – Neue Deutsche Sehnsucht». Im Leitartikel feierte Elsässer, dass in der «Querdenken-Bewegung» verstärkt die «Frage nach der Souveränität Deutschlands» gestellt werde, und er schwärmt vom Zusammengehen mit den «Schwarz-Weiss-Roten» (die Farben der deutschen Reichsflagge). «Die Party hat erst angefangen», prognostizierte er. Die Party ging in Putschpläne über. Aus dem vermeintlichen Spass ist offensichtlich militanter Ernst geworden. Prinz Reuss fabulierte schon länger von jüdischem Finanzkapital und jüdischen Familien, die im Hintergrund wirken würden.

Ein Netz aus Polizisten und Soldaten

Für die Razzien am frühen Morgen des 8. Dezember – in elf Bundesländern sowie in Italien und Österreich – wurde die Spezialeinheit GSG 9 hinzugezogen. Die Ermittelnden stellten dabei in rund 50 der 150 durchsuchten Objekte über neunzig Waffen sicher. Neben legalen und illegalen auch Dienstwaffen. Denn im Netzwerk finden sich nicht nur etwa eine Ärztin, ein Pilot, ein Tenorsänger und ein Spitzenkoch, sondern auch ehemalige und aktive Mitglieder von Bundeswehr und Polizei.

So sollen etwa ein ehemaliger Polizist und ein LKA-Beamter, der bis zur Razzia beim Staatsschutz für den Bereich Rechtsextremismus zuständig war, sowie eine Kriminalkommissarin der PU angehören. Darüber hinaus waren gerade mehrere der Beschuldigten – ihnen wird vorgeworfen, einer terroristischen Vereinigung anzugehören – beim Kommando Spezialkräfte (KSK) aktiv, einer Eliteeinheit, die selbst unter anderem für Terrorismusbekämpfung zuständig ist.

Einer von ihnen ist Andreas M., KSK-Elitesoldat im baden-württembergischen Calw. M. diente in Afghanistan. In Calw galt er als unauffällig, in Whatsapp-Chats fiel er indes mit Gerede über einen angeblichen «tiefen Staat» auf. Er soll Mitstreiter:innen in die Kasernen eingeschleust haben, um zu überprüfen, ob die Einrichtungen nach dem Putsch zur Unterbringung eigener Truppen dienen könnten.

Auch von Pescatore, der mutmassliche Führer des «militärischen Flügels», gehörte einer Vorgängereinheit des KSK an. Die Bundeswehr musste er 1999 verlassen, weil er nach der Wende 165 funktionsfähige Pistolen und Gewehre aus Beständen der Nationalen Volksarmee der DDR abgezweigt hatte. Nur 11 dieser Waffen wurden gefunden.

Maximilian Eder, Gründungsmitglied des KSK, sollte den Angriff auf den Bundestag anführen. In den vergangenen Monaten sprach der Ex-Oberst im Generalstab regelmässig bei Demonstrationen der Querdenker:innen und war in Kontakt mit deren zentralen Akteuren. Eder will, dass das KSK «in Berlin aufräumt», und für die Verantwortlichen der Pandemiemassnahmen wünscht er ein «Nürnberg 2.0» – eine Neuauflage der Nürnberger Prozesse gegen Vertreter:innen des NS-Regimes. Die PU soll versucht haben, beim KSK Soldaten für den Putsch anzuwerben.

Der heutige Survivaltrainer Peter Wörner wiederum war einst im selben Bataillon wie Oberstleutnant von Pescatore. Über Wörner sollen die Ermittlungsbehörden auf das Netzwerk gestossen sein.

Die geplante Schattenregierung

In der Szene der Querdenker und Coronaleugnerinnen tummeln sich in Detuschland rund 23 000 Reichsbürger:innen. Bei ihren Ermittlungen in der Szene fiel der Polizei die Telegram-Gruppe Vereinte Patrioten (VP) auf. Im April gingen die Behörden gegen die VP vor; die aktiven Mitglieder hatten geplant, den Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu entführen, bundesweit Anschläge zu verüben und eine Versammlung einzuberufen, um eine neue Verfassung zu beschliessen. In der Wohnung von Wörner entdeckten die Ermittler:innen Schusswaffen und Munition – und den Kontakt zu von Pescatore. Die Sonderkommission «Schatten» wurde gegründet.

Der neuen Schattenregierung – nach dem geplanten Putsch der Patriotischen Union – sollten unter anderen die Astrologin Ruth Hildegard L. (zuständig für die «Transkommunikation») und die Ärztin Melanie R. («Spiritualität und Heilkunde») angehören. Ebenso mit dabei: Alexander Q., der in Deutschland den reichweitenstärksten QAnon-Kanal auf Telegram betreibt – mit 131 000 Abonnent:innen.

Das Personal offenbart: Viele der Beschuldigten kommen aus der vermeintlich besseren Gesellschaft oder aus der sogenannten gesellschaftlichen Mitte. In Zeiten der Pandemie haben sich Reichsbürger:innen und Querdenkende angenähert, auf der Strasse und in Telegram-Kanälen liess sich diese Radikalisierung verfolgen: Querdenker:innen wendeten sich vermehrt reichsideologischen Narrativen zu, nach denen der deutsche Staat weder eine Rechtsbarkeit noch eine Souveränität habe. Ein Prozess, vor dem selbst das Bundesamt für Verfassungsschutz früh gewarnt hatte.

«Die Ermittlungen lassen in den Abgrund einer terroristischen Bedrohung aus dem Reichsbürgermilieu blicken», sagte nun Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Dass sich die AfD offiziell kaum dazu äussert, ist nachvollziehbar, galt ihre ehemalige Bundestagsabgeordnete Malsack-Winkemann doch als moderat. Und das, obwohl sie zum Widerstand gegen den «Great Reset», den vermeintlichen Bevölkerungsaustausch, aufrief und behauptete, Geflüchtete seien «mit antibiotikaresistenten Bakterien besiedelt».

Hinzu kommt, Malsack-Winkemann ist nicht die Einzige aus der AfD in der PU-Truppe. Ein weiteres AfD-Mitglied wird beschuldigt. Und Astrologin Ruth Hildegard L. soll eine AfD-Ortsgruppe mit aufgebaut haben.

Allerdings reagiert neben der extremen Rechten auch das konservative Spektrum in Deutschland relativierend auf die gut finanzierten Putschist:innen – von «Verwirrten» ist die Rede. Kein Wunder: Unter den bisher 25 Festgenommenen ist auch ein früherer CDU-Stadtrat.