Comic: Dem sozialen Kater entrinnen

Nr. 51 –

«Ich freu mich so aufs Wochenende.» Debbie macht begeistert einen Luftsprung, vor ihr liegen zwei Tage, an denen sie etwas Besonderes vorhat, und zwar: «Nichts. Absolut gar nichts.» Ein Wochenende, an dem sie sich von den vielen Interaktionen unter der Woche – den Lerngruppen an der Uni, der Arbeit im Grossraumbüro, Small Talk in der Kantine – erholen kann. Lösen die bei ihr doch einen «sozialen Kater» aus mit Symptomen wie Kopfschmerzen, Gereiztheit und dem Wunsch nach totalem Rückzug. Dagegen hilft, dem Regen vor dem Fenster zuzuschauen, eine Tasse Tee zu trinken oder auf dem Sofa ein Buch zu lesen.

Die kurzen Szenen, die die britische Cartoonistin Debbie Tung in ihrer autobiografischen Graphic Novel «Quiet Girl» in Schwarzweiss skizziert, fügen sich zu einer atmosphärisch dichten Reise durch ihre Innenwelt. Als Introvertierte wird Debbie in einer Umgebung, in der soziale Anlässe omnipräsent sind, ständig mit ihrer Andersartigkeit konfrontiert. Es beginnt bereits in der Kindheit, wenn die Mutter sie nach draussen zum Spielen schickt und sie bei ihrer Leidenschaft, dem Zeichnen, unterbricht. Oder wenn sie an einen Kindergeburtstag gehen muss, obwohl sie lieber daheimbliebe. So entsteht ein enormer Druck, den Tung eindrücklich illustriert: Da steht die kleine Debbie mit gesenktem Blick, einen Arm schützend um den Körper gelegt, inmitten einer Flut von Sätzen wie «Du musst mehr Freunde finden», «Was stimmt nicht mit dir?» oder «Es ist nicht normal, so wenig zu sprechen».

Lange stürzt jede Einladung zu geselligen Anlässen Debbie in ein Dilemma: Soll sie hingehen und sich schlecht fühlen, weil es ihr nicht gefällt – oder sich schlecht fühlen, weil sie abgesagt und damit die anderen enttäuscht hat? Mit der Zeit gelingt es ihr zunehmend, ihrem Bedürfnis nach Rückzug zu folgen und sich ihren Alltag so einzurichten, dass es ihr dabei gut geht. Das geht einher mit einer besonderen Zärtlichkeit, die sie sich selbst gegenüber entwickelt und die ihre Graphic Novel zu einem einfühlsamen Plädoyer dafür macht, das eigene Leben fern von Erwartungen zu gestalten.

Buchcover von «Quiet Girl»

Debbie Tung: «Quiet Girl. Geschichten einer Introvertierten». Aus dem Englischen von Katharina Hartwell. Loewe Verlag. Bindlach 2022. 184 Seiten. 25 Franken.