Arbeitsmarkt: Was bringen Gewerkschaften?

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In der Wirtschaftswissenschaft hatten Gewerkschaften lange einen schlechten Ruf. Doch die Zeiten haben sich geändert.

Wer Anfang der nuller Jahre als kompetente:r Ökonom:in gelten wollte, war nahezu gezwungen, auf den Gewerkschaften herumzuhacken: Weil sie das Funktionieren des Marktes störten, würden sie angeblich nur Schaden anrichten. Seither hat sich einiges getan: Die Kämpfe der Gewerkschaften hätten zu höheren Löhnen und so zu weniger Ungleichheit geführt, ist sich die Mehrheit der Expert:innen heute einig.

Anders als einst behauptet, hätten höhere Löhne zudem nur selten mehr Arbeitslosigkeit gebracht, in einigen Fällen sogar weniger. Das geht auch aus einem Bericht hervor, den der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) in den kommenden Tagen publiziert und den die WOZ vorab einsehen konnte.

Auch wenn der SGB naturgemäss ein Interesse daran hat, dass Gewerkschaften gut dastehen, so ist die Untersuchung dennoch unverfänglich: Chefökonom Daniel Lampart und SGB-Mitarbeiter Joël Bühler diskutieren darin detailliert mehr als hundert international einflussreiche Studien aus den vergangenen Jahren; auch solche, die den Interessen des SGB widersprechen. Die neuen Erkenntnisse führen Lampart und Bühler auf umfangreichere Datensätze, neue Statistikmethoden und die potentere Software zurück, die der Forschung heute zur Verfügung stehen. Die Empirie widerlegt allmählich alte Glaubenssätze.

Monopole statt Wettbewerb

Falls Firmen infolge erfolgreicher gewerkschaftlicher Kämpfe höhere Löhne zahlen müssten, als dies im «perfekten Wettbewerb» der Fall wäre, würden sie Leute entlassen, warnten einst die meisten Ökonom:innen. Die neue Forschung bekräftigt jedoch, dass Unternehmen oft über eine Monopolmacht verfügen, dank derer sie die Löhne unter den geltenden Marktpreis drücken können. Kurz: Es existiert eben kein perfekter Wettbewerb.

Arbeitskräfte können nicht so einfach die Stelle wechseln: Die Suche kostet Zeit und Geld; viele sind auf flexible Arbeitszeiten und kurze Pendelwege angewiesen, was die Auswahl einschränkt. Zudem können Angestellte wie etwa Lokführer:innen ihr Wissen nur in wenigen Firmen einsetzen. Gewerkschaften können der Monopolmacht von Firmen also eine eigene Verhandlungsmacht entgegensetzen.

Die so erreichten höheren Löhne verleiten die Firmen laut den vom SGB diskutierten Studien entsprechend nicht dazu, Leute zu entlassen: Sie verzichten vielmehr auf Gewinne oder erhöhen die Preise ihrer Güter. Möglich ist auch, dass die höheren Löhne die Produktivität einer Branche steigern und sich so quasi selber finanzieren. Dies etwa, weil hohe Löhne unproduktive Firmen aus dem Markt drängen oder Unternehmen mehr Kapital für die Produktion einsetzen.

Weniger Ungleichheit

Die Erkenntnisse zeigen sich auch in Studien zu einzelnen Ländern: Diese belegen, dass starke Gewerkschaften nicht oder kaum mehr Arbeitslosigkeit zur Folge haben. Das gilt auch für Gesamtarbeitsverträge (GAV). Eine länderübergreifende Studie der OECD von 2019 kommt umgekehrt zum Schluss, dass GAVs zu mehr Beschäftigten führten: Dank der GAVs liege die Arbeitslosigkeit zwei Prozentpunkte tiefer, als wenn Löhne dezentral ausgehandelt würden. Einzig in Südeuropa führen GAVs teilweise zu weniger Beschäftigung.

Kaum umstritten ist heute, dass die Kämpfe der Gewerkschaften und die Existenz von Gesamtarbeitsverträgen zu höheren Löhnen führen. Da davon vor allem Beschäftigte mit tiefem Einkommen profitieren, verringert sich damit auch die Ungleichheit. Zudem belegen einige der Studien, dass Gewerkschaften und GAVs die Lohnschere zwischen den Geschlechtern verringern. Eine US-Studie zeigt etwa, dass die Auflösung von GAVs an Schulen in Wisconsin dazu führte, dass Lehrerinnen bereits nach zwei Jahren weniger verdienten als ihre Kollegen.