Tagebau in Lützerath: Die Schweiz gräbt mit

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Am Mittwoch hat die deutsche Polizei mit der Räumung des besetzten Weilers Lützerath begonnen: Er soll zerstört, die darunter liegende Kohle abgebaggert werden. Dabei geht es primär um Kapitalinteressen – auch von Schweizer Banken.


Historisch kommt Lützerath keine Zentrumsfunktion zu. Man könnte sogar sagen: Der kleine deutsche Weiler nahe der Grenze zu Belgien war schon immer ein Kaff. Früher wohnten dort gerade mal hundert Leute; deren Umsiedelung begann schon 2006. Jetzt wird Lützerath von Hunderten Polizist:innen aus dem ganzen Land umzingelt. Sie sind angereist, um die Aktivist:innen zu vertreiben, die die Ortschaft seit rund zwei Jahren besetzt halten. Am Mittwochmorgen haben sie mit der gewaltsamen Räumung begonnen.

Seit Tagen kommt es vor dem Dorfeingang immer wieder zu Scharmützeln. Letzten Sonntag haben mehrere Tausend Demonstrant:innen die Polizei für kurze Zeit vom Vorplatz zurückgedrängt. Dass sich die in der Nähe eingerichtete «Gefangenensammelstelle» bald füllen wird, ist absehbar. Mehrere Wochen wird die Räumung aber voraussichtlich dauern – wenn sie denn gelingt. Für kommenden Sonntag ist erneut eine Grossdemonstration geplant. Erwartet werden mehrere Tausend Menschen, die teils von weit her anreisen. In diversen europäischen Städten finden jeden Tag Solidaritätsaktionen statt. Das mediale Interesse an der Räumung ist beispiellos. Erstmals in seiner Geschichte ist Lützerath zum Zentrum geworden: zu einem entscheidenden Schauplatz im Kampf gegen den fossilen Kapitalismus in Westeuropa.

Ein Segen für die Investoren

Der Weiler macht sich gut als Symbol. Lützerath liegt direkt neben dem Kohletagebau Garzweiler II im rheinischen Braunkohlerevier, der grössten CO₂-Quelle Europas. Betrieben wird der Tagebau vom Energiekonzern RWE – und dieser hat letztes Jahr einen Rekordgewinn erzielt. Allein in den ersten neun Monaten belief dieser sich vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen auf deutlich über vier Milliarden Euro. Der Geldsegen wird zu einem substanziellen Teil über Dividenden an die Investoren von RWE verteilt. Darunter sind auch bekannte Namen aus der Schweiz, dreizehn hierzulande gemeldete Investoren sind mit jeweils mehr als einer Million US-Dollar beteiligt. Vorn mit dabei: die Credit Suisse mit Anteilen im Wert von 51 Millionen und die UBS mit einer Beteiligung von 26 Millionen US-Dollar. Am Mittwoch veranstaltete der Klimastreik Schweiz nach Redaktionsschluss deshalb eine Demonstration auf dem Zürcher Paradeplatz. Weitere Solidaritätsaktionen dürften in den kommenden Tagen folgen.

Der mit Abstand grösste Schweizer Investor ist aber die Genfer Privatbank Pictet: Sie hält einen Anteil von 2,6 Prozent an RWE, was einem Investitionsvolumen von rund 669 Millionen US-Dollar entspricht. Pictet führt die RWE-Aktie ironischerweise in ihrem «Clean Energy Fund». Mit sauberer Energie hat der Tagebau Garzweiler II allerdings wenig zu tun: Braunkohle ist der klimaschädlichste Energieträger überhaupt. In Garzweiler II wird die Kohle von riesigen Schaufelbaggern abgegraben – und dann direkt in den umliegenden Kraftwerken verheizt.

Dass jetzt auch Lützerath im Tagebau verschwinden soll, wird sowohl von RWE als auch von der Politik damit erklärt, die darunter liegende Kohle werde zur Sicherstellung der Energieversorgung benötigt. So begründeten die verantwortlichen Minister:innen Robert Habeck und Mona Neubaur (beides Grüne) auf Bundes- und Landesebene vor einigen Monaten ihren Deal mit RWE. Im Gegenzug soll der Konzern die Kohleförderung in Nordrhein-Westfalen bereits 2030 ganz einstellen. Ursprünglich war ein Ausstieg 2038 geplant.

Je schneller, desto mehr Profit

Haben die Aktivist:innen damit nicht schon mehr erreicht, als sie erhoffen konnten? Annika Lutzke verneint. Sie ist Aktivistin beim Klimastreik Schweiz und wirkt in Lützerath als Mediensprecherin. «Mitten in der Klimakatastrophe Dörfer abzureissen, um Kohle abzubauen, ist absurd», sagt sie. Mehrere wissenschaftliche Gutachten geben ihr recht. So kommt etwa das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zum eindeutigen Schluss, dass die Kohle unter Lützerath nicht gebraucht werde, um Deutschlands Energieversorgung sicherzustellen. Das DIW kritisiert, dass die anderslautenden Studien, auf die sich wiederum RWE beruft, auf von RWE selbst zur Verfügung gestellten Zahlen basierten.

Die Forscher:innen rechnen ausserdem vor, dass der vorgezogene Kohleausstieg, den die Regierung als grossen Erfolg verkauft, gesamthaft vermutlich gar nicht zur Reduktion der CO₂-Emissionen führen wird. Er sieht nämlich auch vor, dass im nahe gelegenen Kohlekraftwerk Neurath kurzfristig noch mehr Kohle verstromt wird als ursprünglich vorgesehen.

Das Beratungsunternehmen Aurora Energy Research kommt zum Schluss, dass mit dem neuen Plan sogar noch mehr CO₂ emittiert wird als ursprünglich geplant. Aurora berücksichtigt in seinen Modellen auch die Strommarktentwicklung. Demnach wäre die Braunkohleverstromung nach 2030 ohnehin kaum mehr profitabel möglich. Wegen des europäischen Emissionshandelssystems wird der Preis für die Produktion von Kohlestrom in den nächsten Jahren stark ansteigen. Derzeit lassen sich wegen der hohen Energiepreise aber noch gute Renditen damit erzielen. Aus Sicht von RWE drängt also die Zeit: Je schneller und je mehr Kohle verbrannt werden kann, desto grösser der Profit. «Hier wird nicht Kohle abgebaut, weil wir den Strom brauchen, um gut leben zu können», sagt Annika Lutzke, «sondern für den Profit von RWE und seinen Aktionären.»