Klimaproteste: Lützerath lebt weiter

Nr. 10 –

Der Weiler im rheinischen Braunkohlerevier wurde zerstört. Was bleibt von der Bewegung, die ihn bis vor kurzem besetzt hielt?

Bente Opitz und Annika Lutzke in der Zürcher Zentralwäscherei
«Wir haben unsere Positionen nicht zugunsten der Kompromissfindung aufgegeben:» Bente Opitz und Annika Lutzke in der Zürcher Zentralwäscherei.

«Erst mal sind wir jetzt gerade alle richtig fertig und müssen chillen», sagt Bente Opitz. Es gäbe zwar Nachbesprechungen unter Aktivist:innen. Noch aber fehlt ein konkreter Plan für das weitere Vorgehen. Opitz ist am letzten Montag gemeinsam mit Annika Lutzke zu Besuch in der Zürcher Zentralwäscherei. Die beiden sind Pressesprecher:innen der Initiative «Lützerath lebt» und bieten den über hundert Leuten, die sich in den Saal gedrängt haben, einen Rückblick auf die zurückliegende Besetzung im rheinischen Braunkohlerevier.

Vor rund zwei Monaten wurde das besetzte Gelände endgültig geräumt. Zum vorerst letzten Mal stellte die Bewegung dabei ihre Schlagkraft unter Beweis: an einer Grossdemonstration mit 35 000 Teilnehmer:innen, von Autonomen bis weit in die bürgerliche Mitte hinein. Im Netz solidarisierten sich Aktivist:innen weltweit mit dem Widerstand – von Rojava über Uganda bis Mexiko.

Das mediale Grossereignis ist nun aber vorbei. Und in der Zentralwäscherei fällt die Frage, ob denn das Projekt nicht eigentlich gescheitert sei. Lützerath ist schliesslich zerstört, die Kohle darunter wird abgebaggert. Was bleibt?

Time-outs und Inputs

In der Zentralwäscherei betonen Lutzke und Opitz immer wieder die starke Vernetzung der Bewegung – und deren Offenheit: Von Beginn an hätten sie sowohl mit Anwohner:innen des Tagebaus aus den umliegenden Ortschaften wie auch mit NGOs zusammengearbeitet. «Manchmal muss man vielleicht einzelne Positionen auf das Gegenüber abstimmen, um überhaupt erst ins Gespräch zu kommen», sagt Bente Opitz. «Danach kann man sie dann wieder ändern.» Den Aktivist:innen ist es gelungen, eine Massenbewegung zu initiieren – ohne dafür an Radikalität einzubüssen.

«Wir konnten uns unsere Autonomie bewahren», sagt Annika Lutzke. «Wir haben unsere Positionen nicht zugunsten der Kompromissfindung aufgegeben.» Stattdessen wurden sie in Lützerath weiterentwickelt, wobei die Besetzer:innen einen starken Fokus auf die Verknüpfung antirassistischer Kritik mit der Klimakrise setzten.

Der beschauliche Ort Lützerath bietet sich dafür an, was zunächst erstaunen mag: Vergleichbare Schauplätze des Rohstoffabbaus finden sich im Globalen Norden nur wenige – auch wenn sie die Grundlage seiner Wirtschaftskraft bilden. Die Besetzer:innen erkennen darin neokoloniale und damit rassistische Strukturen. Sie setzten sich deshalb intensiv mit ähnlichen Initiativen gegen den Rohstoffabbau im Globalen Süden auseinander.

Eine Gruppe aus Lützerath reiste nach Mexiko, um dort an der «Karawane für das Wasser und das Leben» teilzunehmen, erzählt Opitz, damals selbst Teil der Delegation. Im Gegenzug hätten sie auch selbst viel Besuch erhalten: «Es gab Zeiten, da konnte man sich in Lützerath fast jedes Wochenende mit einer Aktivist:in aus dem Globalen Süden austauschen und von ihr lernen.» Lützerath als Zentrum: Einmal fand im kleinen Kaff sogar das internationalistische Jugendfestival der kurdischen Bewegung statt.

Phasenweise hätten sie jeden Morgen am Dorfplenum einen Antirassismus-Input organisiert, sagt Lutzke, sowie weitere, unzählige Workshops, Anlässe und Austauschtreffen. Und Time-outs: ganze Tage, an denen alle nicht dringenden Aufgaben niedergelegt worden seien und «wir uns mit nichts anderem beschäftigt haben als mit Antirassismus», so Annika Lutzke. An der Veranstaltung sagt Opitz aber auch: «Dieser starke Fokus hat sicher dazu beigetragen, dass andere Themen eher hinten runter gefallen sind.»

Zwei, drei, viele

Die Frage, was von Lützerath bleibt, das zeigt sich im Gespräch, ist wohl die falsche. Was in vielen Medienberichten jeweils ausgespart wurde: Die Besetzer:innen versuchten von Beginn an, nicht nur den Kohleabbau zu blockieren, sondern auch einen Freiraum zu schaffen. Und der Erfolg eines autonomen Freiraums lässt sich nicht an seiner realpolitischen Wirkung messen.

Auf jeden Fall aber werde die Dorfbesetzung nachwirken: «Wir haben in der deutschen Klimabewegung eine überfällige Rassismusdebatte angestossen», sagt Lutzke. Hinzu kommt die persönliche politische Entwicklung der Aktivist:innen. Oder auch: ihre Radikalisierung. Viele von ihnen seien vor ihrem ersten Besuch noch kaum politisch aktiv gewesen – und hätten dann aus Begeisterung ihr altes Leben hinter sich gelassen, um sich am Projekt zu beteiligen.

Jetzt schwärmen sie wieder aus. Sie kenne etwa Personen, die zur Unterstützung und Organisierung von Streiks übergegangen seien, und solche, die sich jetzt an der Initiative «RWE Enteignen» beteiligten, sagt Lutzke. Die deutsche Klimabewegung werde ausserdem bald eine grosse Strategiekonferenz abhalten – auf Initiative von Aktivist:innen aus Lützerath.

Als die Veranstaltung in der Zentralwäscherei zu Ende ist, ruft eine anwesende Aktivistin zur Teilnahme an einer Kundgebung gegen das geplante Flüssiggasterminal in der Baselbieter Gemeinde Muttenz auf. Nach Europa exportiertes Flüssiggas werde meist per Fracking gewonnen, sagt Annika Lutzke. «Dagegen gibt es teils heftigen Widerstand – von Gruppierungen, mit denen wir uns in Lützerath direkt vernetzt haben.»

Muttenz liegt in unmittelbarer Nähe zu Kaiseraugst. Dort scheiterte in den siebziger Jahren der Bau eines Kernkraftwerks am erbitterten Widerstand der Lokalbevölkerung und von Umweltaktivist:innen. Unter anderem hatten sie das Baugelände mehrere Wochen lang besetzt gehalten.