Kost und Logis: In Treptows Praxis

Nr. 5 –

Karin Hoffsten über die weltweit einzige öffentliche Psychoanalyse

Hin und wieder ereignet sich an einem Mittwochabend auf einer Bühne in Zürich etwas, das bisher niemand für möglich hielt: Ein Psychoanalytiker öffnet seine Praxis und lässt ein Publikum aus Fachpersonen und interessierten Lai:innen am therapeutischen Gespräch teilnehmen. Und dies, obschon Sigmund Freud festhielt: «Das Gespräch, in dem die psychoanalytische Behandlung besteht, verträgt keinen Zuhörer; es lässt sich nicht demonstrieren.» Der engagierte junge Analytiker aus Zürich beweist seit Jahren das Gegenteil. Sein Name ist Thomas Treptow.

Vor Gesprächsbeginn weist Treptow jeweils vorsorglich darauf hin, dass für aufkommende Gefühle und Triebe beim Publikum keine Haftung übernommen werden könne und man den intimen Gesprächen mit angemessener Sensibilität folgen möge. Aber wie Menschen nun mal sind, lachen sie dann halt trotzdem.

Jetzt denken Sie vielleicht, Psychoanalyse ist ja auch komisch, weil Sie von derartigem Seelenstriptease noch nie etwas gehalten haben. Vielleicht begegnen Sie dieser und anderen seriösen Therapiemethoden auch mit Achtung und denken: Schon wieder so eine blöde Veranstaltung, bei der man sich über etwas lustig macht, wovon man keine Ahnung hat.

Beides trifft zu: Alle auftretenden Personen sind Schauspieler:innen, die sich gern über vieles lustig machen. Aber man versteht auch was von Psychoanalyse, denn hinter Dr. Thomas Treptow steckt nicht nur ein Schauspieler, der einen Psychoanalytiker spielt, sondern auch ein wirklicher Psychoanalytiker mit einer real existierenden Praxis.

Alles, was in knapp zwei Stunden auf der Bühne geschieht, entsteht bei jeder Vorstellung neu, denn alles ist improvisiert, auch die hochkarätige Begleitung am Flügel. An jedem Abend entwickeln eine Schauspielerin und ein Schauspieler jeweils eine Persönlichkeit, die dem Analytiker anvertraut, was sie im Leben belastet, und dieser reagiert mit professioneller Kompetenz. Die «Hilfesuchenden» entstammen den unterschiedlichsten sozialen Schichten, Milieus und Berufen. Und dank der atemberaubenden Geistesgegenwart aller Beteiligten entfaltet sich aus dem Nichts eine Geschichte voller Höhepunkte, Wendungen und Begegnungen, mit denen sich die vier Schauspieler:innen auch gegenseitig überraschen. So entsteht bei jeder Vorstellung einmalig ein kleines, kunstvolles Universum – manchmal absurd, oft sehr komisch und zuweilen berührend.

Die Wurzeln dieser Kunst liegen im sogenannten Theatersport, doch im Unterschied zu dieser Improvisationsform entwickelt sich hier inhaltliche Kontinuität mit einem Spannungsbogen – und nichts wird bewertet. Und wie oft bei Improvisationen zeigt sich deren Zauber gerade dann, wenn sich die Macher:innen zuerst missverstehen, um sich dann in Sekundenschnelle aneinander heranzutasten. Was nicht immer gelingt, aber immer spannend bleibt.

Karin Hoffsten legt Wert auf die Feststellung, für diesen Text weder finanzielle noch alkoholische Vergünstigungen erhalten zu haben. Zu dem Pizzastück, das ihr das Ensemble nach einer Vorstellung offerierte, steht sie.

Weitere Vorstellungen von «Freud herrscht!»: www.eit.ch/shows.