Parteiverbot in der Türkei: Der Notfallplan für die Linke steht

Nr. 12 –

Die prokurdische Oppositionspartei HDP muss vor den Wahlen im Mai mit ihrem gerichtlich verordneten Verbot rechnen. Wie erfolgreich wird ihr Anschluss an die Grüne Linkspartei?

Erstmals flatterten während der aktuellen Feierlichkeiten zum kurdischen Neujahrsfest in der Türkei neben HDP-Fahnen auch die Banner der Yeşil Sol Parti, der Grünen Linkspartei. So heisst die Partei, unter deren Dach die prokurdische HDP zu den Wahlen antreten will, um so ein mögliches Verbot zu umschiffen. Dafür wurden die Strukturen der Yeşil Sol Parti in den vergangenen Monaten im ganzen Land ausgeweitet. Denn die Linkspartei wurde, wie auch die HDP, zwar bereits 2012 gegründet; doch anders als die HDP hat sie bisher keine nennenswerten politischen Erfolge verzeichnen können – und ist noch nie zu Wahlen angetreten. Nun wurde sie im März erstmals überhaupt zu den am 14. Mai stattfindenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen zugelassen.

Eine Rarität in der Politlandschaft

Im Fall eines Parteiverbots sollen daher die HDP-Kandidat:innen zu den Listen der Linkspartei wechseln, so der Notfallplan. Denn die HDP steht seit Jahren unter Druck: Tausende ihrer Mitglieder sitzen im Gefängnis; im Juni 2021 leitete das Verfassungsgericht ein Verbotsverfahren gegen die Partei ein. Ein Verbot wegen mutmasslicher Verbindungen zur verbotenen kurdischen Arbeiter:innenpartei PKK gilt unter Beobachter:innen als sicher. Im Januar lehnte das Verfassungsgericht einen Antrag der HDP ab, das Verfahren bis nach den Wahlen auszusetzen. Die mündliche Stellungnahme der HDP vor den Verfassungsrichter:innen ist für den 11. April angesetzt. Auf Anfang Mai wird das Urteil erwartet. Neben dem Parteiverbot droht gewissen HDP-Politiker:innen zudem ein jahrelanges Politikverbot.

Die Yeşil Sol Parti sieht sich laut Selbstdefinition als links-grüne Partei, die sich insbesondere für Umweltthemen und Minderheiten einsetzt. Damit ist sie eine Rarität in der türkischen Politlandschaft, die von nationalistischen Bewegungen dominiert wird. Das neue Logo der Grünen Linkspartei, das auf dem Parteitag im vergangenen Oktober vorgestellt wurde, erinnert farblich und grafisch stark an jenes der HDP. Einer der Wahlkampfslogans lautet: «Wir werden gemeinsam gewinnen.» Entsprechend feiert der seit 2016 inhaftierte frühere Chef der HDP, Selahattin Demirtaş, das neue Logo und fordert in einem Tweet aus dem Gefängnis: «Hallo, Freunde, wie geht es euch? Bitte druckt euch dieses Bild in Farbe aus und klebt es an die Kühlschranktür und eure Zimmertüren zu Hause. Es soll niemanden geben, der nicht weiss, was es bedeutet. Es wird noch gebraucht werden.» Die Yeşil Sol Parti unterstützte die HDP bereits zuvor bei Präsidentschafts- und Parlamentswahlen. Sie sprach sich etwa gegen die Einführung des Präsidialsystems aus, das dem amtierenden Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan ermöglicht, im Alleingang zu regieren.

Die HDP ist derzeit die zweitstärkste Oppositionspartei im Parlament. Allerdings ist sie kein Teil des Sechserbündnisses, eines Zusammenschlusses von sechs Oppositionsparteien. Dieses tritt nun an, um die Ära von Langzeitherrscher Erdoğan zu beenden. Innerhalb der Allianz gibt es starke Vorbehalte gegen die HDP, insbesondere von der rechtsgerichteten Iyi Parti. Deren Vorsitzende, Meral Akşener, war 1996/97 Innenministerin und hat damals wie auch heute eine harte antikurdische Politik vertreten.

Akşener und auch andere Mitglieder des Bündnisses unterstellen der HDP, der parlamentarische Arm der PKK zu sein. Dennoch haben Vertreter:innen der HDP und der Yeşil Sol Parti in Aussicht gestellt, Kemal Kılıçdaroğlu zu unterstützen – den Chef der stimmenstärksten Oppositionspartei CHP und Kandidat des Sechserbündnisses für die Präsidentschaftswahlen –, was durchaus ausschlaggebend sein könnte. Kılıçdaroğlu ist kurdisch-alevitischer Herkunft. Bei den zurückliegenden Urnengängen waren es die Stimmen der Kurd:innen, die den Wahlausgang entscheidend prägten. Auch aus diesem Grund befürwortet die regierende AKP-MHP-Koalition das Verbotsverfahren gegen die HDP.

Erst die Inflation, dann das Erdbeben

Die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen Mitte Mai gelten als Bewährungsprobe für Erdoğan, der seit mittlerweile zwanzig Jahren an der Macht ist. Seine Wiederwahl ist alles andere als sicher. Denn Erdoğans Beliebtheitswerte sanken bereits wegen der heftigen Inflation, der hohen Arbeitslosigkeit und seiner zunehmend autoritären Politik. Seit den verheerenden Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet am 6. Februar muss er sich weiterer Kritik an seinem Krisenmanagement stellen. Kılıçdaroğlu hat angekündigt, bei einem Sieg das Präsidialsystem abschaffen zu wollen und die Vorsitzenden der anderen fünf Parteien zu seinen Stellvertreter:innen zu ernennen. Sollte bei der Präsidentschaftswahl keine:r der Kandidat:innen gewinnen, gibt es am 28. Mai eine Stichwahl.