Europapolitik: Bewegt sich da was?
Die EU scheint bei Gesprächen über ein Rahmenabkommen beim Lohnschutz zu Zugeständnissen bereit. Jetzt muss der Bundesrat Verhandlungswillen zeigen.
Wer den Überblick verloren hat, in welchem Stadium des Stillstands die Schweizer Europapolitik steht, braucht bloss bei Eric Nussbaumer, SP-Europapolitiker und gewissenhafter Chronist ebendieses Stillstands, anzurufen. Zehn Jahre ist es nun her, dass die Schweiz in Verhandlungen über ein Rahmenabkommen, das die Klärung der institutionellen Fragen zum Ziel hat, eingetreten ist, und zwei Jahre, seit der Bundesrat diese Verhandlungen abgebrochen hat. Seither wird sondiert, um dann irgendwann allenfalls wieder zu verhandeln. Zuletzt trat sogar die zuständige Staatssekretärin, Livia Leu, zurück. Und nun? «Nun gibt es vielleicht eine Lösung», sagt Nussbaumer. So klingt Optimismus in der Europapolitik.
Tatsächlich gibt es Bewegung im schwierigsten Dossier, dem Lohnschutz. Die Gewerkschaften befürchteten bislang, dass es im Fall einer Einigung mit der EU hier zu Schwächungen kommen würde. Vor allem gegen eine Kürzung der Entsendefrist, die europäische Firmen einhalten müssen, bevor sie ihre Angestellten für Aufträge in die Schweiz schicken, wehren sich die Gewerkschaften. Doch Maroš Šefčovič, Vizepräsident der EU-Kommission, brachte Mitte März an einem Treffen mit Arbeitgeber- und Gewerbeverband sowie Gewerkschaften eine «non-regression clause» ins Spiel. Dies ist eine Klausel, mit der garantiert würde, dass der aktuelle Lohnschutz in der Schweiz auch durch Gerichtsurteile oder Gesetzesänderungen nicht unterboten werden könnte.
«Endlich ein Momentum»
Das Treffen in Bern entwickelte sich zu einer Art Schattenverhandlungsrunde. Über zwei Stunden kauten Šefčovič und Gewerkschaften die Details einer solchen Regelung durch, bevor man schliesslich beschied, dass dann doch der Bundesrat die Verhandlungen führen müsse. Adrian Wüthrich, Präsident von Travail Suisse, sagt heute: «Ich kann mir ein Entgegenkommen bei der Entsendefrist vorstellen, wenn das Gesamtsystem rechtlich abgesichert wird.» Roland Müller, Direktor des Arbeitgeberverbands, findet, die Klausel könnte eine Möglichkeit sein, «um in der Schweiz das allseits akzeptierte Halten des Lohnschutzniveaus zusätzlich abzusichern». Auch so klingt europapolitischer Optimismus.
Wie angemessen dieser ist, bleibt offen. Noch-Staatssekretärin Leu ist der Ansicht, die EU solle die Klausel, die rechtlich schwierig zu definieren ist, ausarbeiten und dann der Schweiz vorlegen. Šefčovič dagegen sieht die Schweiz am Zug. Wüthrich sagt, der Bundesrat müsse auf das Angebot eingehen, wenn die EU schon die Hand ausstrecke. Und Nussbaumer findet, jetzt sei das Verhandlungsfenster endlich offen: «Der Bundesrat muss so schnell wie möglich an den Verhandlungstisch, jetzt gibts endlich ein Momentum.» Schon in einem Jahr werde Šefčovič auf seinem Posten von einem neuen Unterhändler abgelöst, dann gelte das Angebot nicht mehr.
Geleaktes Arbeitspapier
Doch noch sträubt sich der Bundesrat, in Verhandlungen einzutreten. Seit November streitet er mit der EU über eine gemeinsame Bewertung der Sondierungsgespräche, die seit dem Ende des Rahmenabkommens stattfinden. Der Bundesrat will diese als Erfolg verkaufen, die EU sieht das anders.
Störmanöver bringen zusätzliche Komplikationen. So veröffentlichte der «Nebelspalter» gerade ein geleaktes Arbeitspapier aus einem Ende März vom Bundesrat eingesetzten Gremium, in dem die Gewerkschaften Vorschläge zur Weiterentwicklung des inländischen Lohnschutzes machen. Dazu gehören zusätzliche Kontrollen gegen Lohndumping oder die Senkung der Hürden für Gesamtarbeitsverträge. Mit dem Leak soll Stimmung gegen die Gewerkschaften gemacht werden. Dabei tun diese nur, was der Bundesrat gemäss offizieller Kommunikation von ihnen will: Vorschläge zur Absicherung des Lohnschutzes machen – als Verhandlungsgrundlage für die Gespräche mit der EU.