Schweiz–EU: Ein europäischer Moment
Bald soll es losgehen mit den Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU. Die Linke befindet sich dabei in aussichtsreicher Position.
Jahrelang war die schweizerische EU-Politik der Inbegriff der Verfahrenheit, der Blockaden, der Sackgassen. Nun aber soll es richtig schnell gehen: Am Freitag hat der Bundesrat den Entwurf eines Verhandlungsmandats vorgelegt, und die selbstsicheren Aussagen von Aussenminister Ignazio Cassis lassen darauf schliessen, dass die Dutzenden von Sondierungsgesprächen mit der EU bereits einigermassen konkrete Lösungen hervorgebracht haben. Nach einer finalen Konsultation von Kantonen und parlamentarischen Kommissionen dürften im Frühling die Verhandlungen mit der EU-Kommission anlaufen. Es scheint, als gebe es in der Schweiz gerade so etwas wie einen europäischen Moment.
Wohlwollen und Skepsis
Zur Erinnerung: Angestrebt wird ein Paket sektorieller Abkommen, das einen «breiten Interessenausgleich» zwischen der Schweiz und der EU ermögliche. Es umfasst fünf überarbeitete Marktzugangsabkommen (Personenfreizügigkeit, Luft- und Landverkehr, Landwirtschaft und technische Handelshemmnisse) und zwei neue (Strom und Lebensmittelsicherheit), eine Kooperation im Gesundheitswesen, zwei Bildungs- und Forschungsprogramme sowie die Fortzahlung der Kohäsionsbeiträge.
Von bereits ausgesteckten «Landezonen» ist nun die Rede. Von ausgeräumten Missverständnissen. Und davon, dass die EU durchaus Ausnahmen zulasse, wenn es etwa um die beim letzten Anlauf heftig umstrittene europäische Unionsbürgerrichtlinie oder staatliche Subventionspraktiken gehe. Der Bundesrat tritt dabei mit begrüssenswerter Transparenz auf; neben dem Mandatsentwurf hat er ein dreizehnseitiges «Common Understanding» mit der EU sowie einen umfangreichen Begleitbericht veröffentlicht. Dennoch bleibt ungewiss, wie viel Verhandlungsspielraum die Schweiz in Brüssel tatsächlich noch hat. Und auch, in welchen Punkten die entsandte Delegation zu Zugeständnissen bereit ist – und wo sie hart verhandeln will. Klar ist einzig: Das Ergebnis wird an der Urne bestehen müssen.
Nun liegt die Besonderheit bei der inhaltlichen Ausgestaltung der EU-Beziehungen hierzulande darin, dass sich mit der SVP die grösste politische Kraft gleich selbst aus dem Rennen nimmt. Sie torpediert das vorliegende Verhandlungsmandat als «vergiftetes Weihnachtspaket» und «alten Wein in neuen Schläuchen». Ihre Fundamentalopposition führt dazu, dass die bürgerlichen Parteien und Verbände, die eine engere Einbindung in den EU-Binnenmarkt und entsprechende Liberalisierungen anstreben, das frühere europapolitische Bündnis mit dem linken und gewerkschaftlichen Lager erneuern müssen.
Tatsächlich kamen von dort zuletzt verhalten wohlwollende Signale. Pierre-Yves Maillard, Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB), erkennt im neuen Mandat «gewisse Verbesserungen» gegenüber dem institutionellen Rahmenabkommen, wie er der WOZ sagt. Dieses hatten die Gewerkschaften wegen einer befürchteten Aushebelung des Lohnschutzes versenkt.
Die Skepsis bleibt aber auch in den neuen Verhandlungen gross, vehement fordert der SGB Nachbesserungen: bei den Strom- und Verkehrsabkommen, die mit einem weitreichenden Liberalisierungsschub den Service public zu untergraben drohten. Und erneut beim Lohnschutz, wo etwa die sich abzeichnende Übernahme der EU-Spesenregelung für entsandte Arbeitskräfte Lohndumping durch die Hintertür ermöglichen könnte und eine Aufweichung der Kautions- und Zulassungsregelungen für ausländische Unternehmen schwerwiegende Folgen hätte. Ähnlich klingt es bei Travail Suisse, dem zweiten grossen Gewerkschaftsdachverband, der im «Common Understanding» mit der EU eine wesentliche Schwächung des Lohnschutzes erkennt.
Innenpolitische Ergänzungen
Im selben Dokument findet sich eine weitere gewichtige Ungewissheit: In seinem Begleitbericht schreibt der Bundesrat zwar, dass die EU bereit sei, eine «Non-regression-Klausel» zu gewähren. Diese garantiere, dass die Schweiz «künftige Entwicklungen im EU-Recht nicht übernehmen muss, die das Schutzniveau der entsandten Arbeitnehmenden deutlich schwächen würden». Im gemeinsamen Papier mit der EU taucht die entsprechende Klausel allerdings bloss in Form einer unverbindlichen «Sollte»-Formulierung auf.
Wollen sie dem EU-Abkommen eine echte Chance geben, werden Bundesrat, Wirtschaftsverbände und bürgerliche Parteien der Linken also entgegenkommen müssen. Das ist auch innenpolitisch denkbar: So hielt die SP in einem letzte Woche veröffentlichten Positionspapier fest, dass sie das Verhandlungsergebnis am Ende nicht isoliert, sondern mit Blick auf «inländische Ergänzungsmassnahmen» beurteilen werde.
Solche könnten beispielsweise beinhalten, dass die Arbeitgeberverbände und das Wirtschaftsdepartement der gewerkschaftlichen Forderung nachkommen, eine neue Regelung zur «Allgemeinverbindlichkeit» von GAVs zu erlassen und auf diesem Weg Branchenmindestlöhne und Arbeitsrechte breit abzusichern. So ist es mit Wirtschaftsminister Guy Parmelin ein SVP-Bundesrat, der einen wesentlichen Beitrag zum Erfolg des EU-Abkommens leisten könnte – genau wie sein Parteikollege Albert Rösti, der als Verkehrs- und Energieminister die ebenso strittigen Strom- und Verkehrsabkommen verantwortet. Die beiden Regierungsmitglieder müssten dafür allerdings beweisen, dass sie sich von ihrer Partei emanzipieren können.