Glencore: «Eine grosse Zukunft liegt vor uns»

Nr. 22 –

An der Generalversammlung des Schweizer Rohstoffkonzerns Glencore hagelt es von allen Seiten Kritik. Selbst grosse Aktionär:innen fordern mittlerweile in Sachen Klimaschutz mehr Transparenz.

vor dem Casino Zug wird an der Glencore-Generalversammlung demonstriert
«Euer Geld tötet»: Vor dem Casino Zug wird gegen Glencore demonstriert, aber auch im Saal verläuft nicht alles nach den Wünschen der Konzernführung. Foto: Urs Flüeler, Keystone

Es sind rund 250 Personen, die im weiss getäferten Festsaal des Casino-Theaters in Zug nach vorne zur Bühne blicken. Ihnen gegenüber nehmen an einem langen Tisch der Glencore-Verwaltungsrat sowie CEO Gary Nagle Platz. Dezent gekleidetes Sicherheitspersonal ist an allen Ecken postiert. Vor Beginn der Generalversammlung haben vor dem neobarocken Gebäude circa hundert Personen gegen das Unternehmen demonstriert – Aktivist:innen des Klimastreiks sowie Vertreter:innen von NGOs, Gewerkschaften und Indigenen aus aller Welt. «Euer Geld tötet», steht auf einem Transparent der Jungen Alternativen Zug.

87 Milliarden Euro Schaden

17,3 Milliarden US-Dollar Reingewinn erzielte Glencore vergangenes Jahr, rund die Hälfte allein mit den Einnahmen aus dem Kohlegeschäft. Von den Zahlen her geht es Glencore prächtig. Mit Blick aufs Klima sind die Probleme jedoch unverkennbar: Glencore ist der weltweit grösste Produzent von Kraftwerkskohle ausserhalb Chinas und Indiens – und Kohle zu verbrennen, bekanntlich die klimaschädlichste Form der Energiegewinnung. Nach eigenen Angaben hat der Konzern 2022 einen Treibhausgasausstoss von über 370 Millionen Tonnen verursacht. Der Ausstoss einer Tonne CO₂ verursacht laut dem deutschen Umweltbundesamt einen Schaden von 237 Euro. Gemäss dieser Rechnung verantwortete Glencore letztes Jahr einen gesellschaftlichen Schaden von über 87 Milliarden Euro.

Nicht von ungefähr kommt denn auch Verwaltungsratspräsident Kalidas Madhavpeddi in seiner Eröffnungsrede im Zuger Festsaal nach zwei, drei Sätzen zum fulminanten Gewinn auf den neuen Klimareport zu sprechen, den das Unternehmen anfertigen liess. Glencore wolle bis 2050 seinen CO₂-Ausstoss auf netto null bringen, heisst es darin. Bis es so weit sei, wolle der Konzern aber noch einige der bestehenden Kohleminen erweitern. Nun soll die Generalversammlung über diesen Klimareport abstimmen. Ebenfalls zur Abstimmung steht eine Resolution verschiedener NGOs und grosser Aktionäre – darunter die britische Bank HSBC und einige Schweizer Pensionskassen –, die vom Unternehmen eine klare Aussage verlangen, wie es sein Kohlegeschäft mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens vereinbar machen will. Der Verwaltungsrat ist gegen die Resolution.

Nach der Eröffnungsrede des Verwaltungsratspräsidenten spricht aber erst einmal CEO Gary Nagle. Er leitet Glencore seit 2021 und verantwortete zuvor das Kohlegeschäft. «Eine grosse Zukunft liegt vor uns! Wir sind verantwortungsbewusst!», referiert er. «Wir liefern die Metalle, die für die Dekarbonisierung gebraucht werden! Wir liefern die Energie der Zukunft! Ohne uns kann die Welt nicht dekarbonisiert werden! Unser Geschäft ist einzigartig! Wir sind besser als jede andere Minenfirma der Welt!»

Der Reality-Check folgt postwendend: Eins ums andere Mal stehen Leute aus den unterschiedlichsten Weltgegenden auf. Sie haben sich extra einige Glencore-Aktien beschafft, damit sie nun an der Generalversammlung den Konzern mit Fragen und seiner globalen Verantwortung konfrontieren können:

Da erheben sich etwa Juan Pablo Gutiérrez und Esneda Saavedra von ihrem Sitzplatz, sie vertreten die indigene Yukpa-Gemeinschaft in Kolumbien. Deren Lebensgebiet grenzt an El Cerrejón; die grösste Kohlemine Lateinamerikas gehört seit 2021 zu hundert Prozent Glencore. Gutiérrez lebt im Pariser Exil, da er in Kolumbien mehrmals von Paramilitärs bedroht wurde, Saavedra ist Menschenrechtsbeauftragte und gewählte Vorsitzende ihrer Gemeinschaft. Am 6. März haben Unbekannte auf sie geschossen. Die Yukpa leiden unter dem grossflächigen Tagebau. Flüsse werden umgeleitet oder sind kontaminiert (siehe WOZ Nr. 5/22). «Es findet ein Genozid an uns statt, wir sind von der Auslöschung bedroht», sagt Gutiérrez. Esneda Saavedra spricht von vierzig Kindern, die als Folge des vergifteten Wassers jährlich sterben. Sie fordert Entschädigung.

Kritik an Glencore übt auch der kolumbianische Gewerkschafter Juan Carlos Rojas, der die Arbeiter von El Cerrejón vertritt. Viele Arbeiten würden an Subunternehmen ausgelagert. Die Beschäftigten dieser Unternehmen hätten schlechtere Arbeitsbedingungen. Auch er verlangt vom Verwaltungsrat eine klare Ansage, wie sich dieser den notwendigen Ausstieg aus dem klimaschädlichen Kohleabbau vorstellt, ohne aber die Beschäftigten im Stich zu lassen. Als eine Mine der kolumbianischen Glencore-Tochter Prodeco aufgegeben worden sei, sei genau das passiert, erzählt ein anderer Gewerkschafter.

Bitte auch Fragen zum Geschäft

Auch Angestellte aus der Silber- und Zinkmine Volcan in Peru prangern die Arbeitsbedingungen an. So berichtet der Gewerkschafter Alex Tinoco, er sei wegen seines Engagements zweimal entlassen worden. Glencore musste ihn auf richterlichen Beschluss hin wieder einstellen. Darüber hinaus halte das Unternehmen die Arbeitsgesetze nicht ein: Die Beschäftigten arbeiteten in 700 Metern Tiefe bei vierzig Grad Hitze zehn Stunden am Tag. Auch in Peru arbeitet Glencore mit Subunternehmen zusammen, deren Arbeiter schlechtergestellt sind als Direktangestellte. Zudem häufen sich Umwelt- und Gesundheitsschäden in der Gegend rund um die Mine: Laut dem London Mining Network leiden 78 Prozent der Kinder in der angrenzenden Stadt Cerro de Pasco an Symptomen einer Schwermetallvergiftung.

Die Antworten von Verwaltungsratspräsident Madhavpeddi auf all die Vorwürfe und Klagen sind immer die gleichen: Glencore respektiere die Menschenrechte und die Rechte der Indigenen, die Rechte der Beschäftigten und der Gewerkschaften, die Umweltgesetze ebenso. Angriffe von Paramilitärs würden verurteilt. Alles Selbstverständlichkeiten. Konkret wird Madhavpeddi aber nie. Er verweist auf das «lokale Management», mit dem man über spezifische Fragen verhandeln solle. So ganz prallt die Kritik an ihm aber nicht ab: Nach einer Weile fordert er, man solle doch bitte auch Fragen zum Geschäftsgang des Unternehmens stellen.

Doch auch von Orten, wo Gewerkschaften einflussreicher und die Umweltgesetze strenger sind, werden Beschwerden vorgetragen: So beklagt etwa der kanadische Gewerkschafter Dominic Lemieux, dass Glencore in der Kupfermine Horne Smelter in der Provinz Québec ebenfalls vermehrt mit Subunternehmen arbeite und so den Gesamtarbeitsvertrag unterlaufe. Auch dort häufen sich Umwelt- und Gesundheitsschäden: Der Arsengehalt in der Luft liegt ein Mehrfaches über dem Grenzwert. Eine Untersuchung in der angrenzenden Stadt Rouyn-Noranda mit 40 000 Einwohner:innen hat ergeben, dass die Kinder dort viermal so viel Arsen im Blut haben wie Kinder aus anderen Gegenden.

Ein Sprecher der Indigenen aus den Northern Territories in Australien prangert die Umweltschäden durch Glencores Zink- und Goldmine McArthur River an. Die Säure und das Schwermetall, das auf einer Abfallhalde gelagert wird, bedrohen das Grundwasser. Schon heute warnen die Behörden davor, an bestimmten Stellen Fisch zu fangen oder Wasser zu trinken. Inzwischen geht man davon aus, dass die Gegend während der kommenden tausend Jahre ständig überwacht werden muss. Der australische Vertreter will wissen, wie Glencore sich diese Überwachung vorstellt und wie der Konzern sie bezahlen will. Madhavpeddi sagt, man respektiere die Rechte der Indigenen und stehe im Dialog, um gute Vereinbarungen zu erzielen.

Am Schluss der Veranstaltung steht eine Aktionärin auf und gratuliert dem Management. Sie ist die Einzige im Publikum, die an diesem Tag den Konzern verteidigt. Glencore sei ein tolles Unternehmen, wie sie bei Besichtigungen von Minen im Ausland mit eigenen Augen selber habe sehen dürfen. Sie erntet zaghaften Applaus.

Investor:innen werden nervös

Im Gespräch nach der Veranstaltung spricht der Yukpa-Vertreter Juan Pablo Gutiérrez von einer «Bankrotterklärung» des Verwaltungsrats. «Die haben klar gezeigt, dass sie sich keinen Deut für uns interessieren», sagt er. Stefan Suhner von der Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien bemängelt den mangelnden Respekt der Glencore-Führung: «Es ist jedes Jahr dasselbe, wir bekommen schlichtweg keine richtigen Antworten.»

Später wird das Resultat der Abstimmung bekannt: Der Klimareport ist von 70 Prozent der Aktionärsstimmen angenommen worden. Nur 29 Prozent Ja-Stimmen gab es für die kritische Klimaresolution. Das Glencore-Management hat also gewonnen. Doch für Naomi Hogan vom Australasian Centre for Corporate Responsibility, das die Klimaresolution mitverfasst hat, ist das dennoch ein «Momentum». Glencore könne die Kritik nicht weiter ignorieren. Tatsächlich ist in beiden Abstimmungen ein gemäss den Bestimmungen der britischen Börsenaufsicht kritisches Quorum übertroffen worden: Glencore muss nun in einen Konsultationsprozess mit den unterlegenen Aktionär:innen treten.

Glen Mpufane, bei der globalen Gewerkschaftsvereinigung Industriall Union für die Minenarbeiter zuständig, zeigt sich denn auch verhalten optimistisch: «Glencore kommt immer weiter unter Druck, jetzt auch von den Investoren.» Das Unternehmen sei für diese ein immer grösseres Risiko. Industriall hatte im Vorfeld ein Koordinierungstreffen von Gewerkschaften und lokalen Gemeinschaften organisiert. Eigentlich hätten auch Gewerkschafter:innen aus Südafrika und der Demokratischen Republik Kongo an der Generalversammlung teilnehmen sollen – wegen der restriktiven Schweizer Visabestimmungen war das aber nicht möglich.