Glencore in Kolumbien: Pinker Laster in kaputter Umwelt

Nr. 35 –

Kohle verschaffte dem Schweizer Konzern 2022 ein Rekordjahr – auch dank des Kaufs der grössten Mine Lateinamerikas. Während Corporate Social Responsibility gepredigt wird, werden vor Ort Kritiker:innen bedroht.

Bild einer Mine
In der Grube erscheinen die Trucks wie Spielzeuge: Seit der russischen Invasion in der Ukraine wird vermehrt wieder kolumbianische Kohle nach Europa geliefert.

Eine mehr als 8000 Kilometer lange Reise hat Esneda Saavedra Restrepo auf sich genommen, um vor dem Casinotheater Zug in eine Kamera zu sprechen: «Um die Wahrheit zu sagen», wie die Kolumbianerin erklärt. Noch am selben Abend schallt ihre Rede aus den Fernsehgeräten von fast einer halben Million Menschen in der Schweiz. «Tagesschau»-Hauptausgabe. Saavedra Restrepo erzählt vom Recht auf Gesundheit und auf Leben. Im Hintergrund prangt auf einem Banner der Satz: «Your Money Kills», euer Geld tötet. Er richtet sich an die Investor:innen, die sich ins Theater begeben. Dort findet an diesem 26. Mai die Generalversammlung von Glencore statt.

2022 bescherte die Kohle dem Konzern ein Rekordjahr: Rund die Hälfte seines Reingewinns von 17,3 Milliarden US-Dollar ist auf das Geschäft damit zurückzuführen. Nach Beginn des russischen Einmarschs in die Ukraine stieg der Kohlepreis erheblich. Kostete eine Tonne 2020 noch 50 US-Dollar, waren es nach Kriegsbeginn zwischenzeitlich über 400.

Glencore hatte Glück. Im Januar 2022 hatte der Konzern sämtliche Anteile an der Mine gekauft, wegen derer Esneda Saavedra Restrepo bis nach Zug gereist ist: El Cerrejón, die grösste Mine Lateinamerikas und eine der grössten der Welt. Auf einer Fläche von 69 000 Hektaren Land dürfen sich im Nordosten Kolumbiens gemäss Konzession die Bagger in die Landschaft graben. Rund 15 000 Hektaren werden aktuell im Tagebau ausgebeutet. Die kolumbianische Kohle wird in die ganze Welt verschifft, seit Kriegsbeginn vermehrt auch wieder nach Europa.

Big Business, Armut und Gewalt

Rund einen Monat vor Beginn der Generalversammlung in Zug in der Mine El Cerrejón. «Wir sind uns bewusst, dass wir eine grosse Verantwortung für die Region haben», sagt die Sozialverantwortliche Inés Andrade, als der Fahrer den klimatisierten Pick-up durch die staubigen Strassen lenkt. La Guajira, die Region, von der sie spricht, hat eine der höchsten Armutsquoten des Landes. Gewalt gehört zum Alltag. Zwar sind die Paramilitärs und die Guerillas nicht mehr so aktiv wie früher, doch der Drogenhandel und die Armee sind geblieben. Ein Leben hat hier nur geringen Wert. Die Grenze zum krisengebeutelten Venezuela liegt nur wenige Kilometer entfernt.

1986 wurde in der Mine mit der Produktion begonnen. Inzwischen trägt sie über 45 Prozent zur Wirtschaftsleistung der Region bei. Etwa 12 000 Menschen arbeiten hier. Ganze Dörfer existieren bloss, weil die Mine existiert. Andrade ist aus Bogotá eingeflogen, um einen Tag lang übers Gelände zu führen. Im Vordergrund stehen: Ökologie, Diversität und Corporate Social Responsibility, also unternehmerische Sozialverantwortung.

Sie zeigt das Kontrollzentrum, von dem aus die Luftqualität überwacht wird, und die Leistung jeder einzelnen Maschine in der Mine. Und dann die Grube, in der die Trucks, deren Räder höher sind als Menschen, wie Spielzeuge erscheinen. Dort möchte ein Kadermitarbeiter mit seinen Kolleginnen aufs Bild – Diversität sei dem Unternehmen wichtig. Zur Feier der über 1100 Frauen, die für den Betrieb arbeiten, wurde kürzlich eines der zahlreichen Minenfahrzeuge pink lackiert.

Symbol gegen die Zerstörung

Andrade führt zu den Renaturierungszonen, vor denen ein Banner verkündet: Über 4800 Hektaren renaturiert, über drei Millionen Bäume gepflanzt. Wo noch in den 1980er Jahren nach Kohle gegraben wurde, gedeihe der tropische Trockenwald heute wieder in seiner vollen Blüte. Selbst der Puma sei zurück. Ein Indikator, dass sich das Ökosystem erfolgreich erholt habe.

Ähnlich geht es später beim Arroyo Bruno weiter respektive dem künstlichen Arroyo Bruno. Mitte der 2010er Jahre hatten die Minenbetreiber:innen begonnen, einen Teil des Flusslaufs um 700 Meter zu verschieben. Auch hier versichert ein Banner: Alles verläuft nach Plan. Ein Foto von 2017 zeigt, wie eine frische Grube im Grün des Waldes klafft. Rechts daneben: das Foto eines natürlich wirkenden Flusslaufs fünf Jahre später. «5800 Bäume sind gewachsen, und es kommen fast 400 Arten von Säugetieren, Vögeln, Reptilien und Fischen vor», versichert Andrade. Vierteljährlich würden die Flora und die Fauna überprüft.

«Wir sind sehr stolz darauf, weiterhin das Bergbauunternehmen mit dem besten Ruf in Kolumbien zu sein», steht auf der Website von El Cerrejón. So heisst die Tochterfirma von Glencore, die die Mine betreibt. Zum neunten Mal in Folge hat sich das Unternehmen 2022 den Branchentitel geholt. Zum wiederholten Mal landete es unter den hundert attraktivsten Arbeitgebern für junge Talente in Kolumbien. Was Andrade und die Unternehmenswebsite nicht erwähnen: Der Arroyo Bruno ist das mächtigste Symbol im Kampf gegen die Umweltzerstörung durch Glencores Mine. Im Kontrollzentrum, das vom Unternehmen als Garant für Qualität und fristgerechte Lieferung angepriesen wird, sehen Gewerkschaften ein Mittel zur Überwachung.

Wenige Tage vor der Tour setzt sich Luis Misael Socarras an einen natürlich belassenen Abschnitt des Arroyo Bruno. «Der Fluss ist Teil unseres Kampfes», sagt der 53-jährige Aktivist. Die Minenbetreiberin El Cerrejón konnte nur einen 3,6 Kilometer langen Abschnitt des Wasserlaufs verschieben. Dann wurde das Vorhaben vom kolumbianischen Verfassungsgericht gestoppt (siehe WOZ Nr. 5/22). Mit der Unterstützung von Anwält:innen hatten indigene Gruppierungen um Socarras Einsprache gegen den Ausbau der Mine eingelegt. Die Gefahren für die Gesundheit und die Umwelt seien nicht abschätzbar, urteilte das Gericht, und die Anliegen der Anwohner:innen seien zu wenig berücksichtigt worden. Für Wayuu-Indigene wie Socarras ist der Fluss nicht nur eine Trinkwasserquelle, sondern auch heilig. «Das Wasser ist wie ein Individuum», sagt er. Doch Socarras’ Kampf brachte ihm fast den Tod.

Kolumbien gilt für Umweltschützerinnen und Menschenrechtsaktivisten wie ihn als eines der tödlichsten Länder weltweit. Er habe seit 2019 mindestens einen Anschlag pro Jahr überlebt, dieses Jahr seien es schon zwei gewesen, erzählt Socarras. Während die Verantwortlichen versichern, eine «Nulltoleranzpolitik» gegenüber Drohungen und Attacken zu verfolgen und mit lokalen Behörden zusammenzuarbeiten, geben an ehemalige Paramilitäranführer aus der Region, auch von multinationalen Kohleunternehmen bezahlt worden zu sein. Wobei sie die El-Cerrejón-Mine nicht explizit erwähnen.

Wie präsent die Gefahr ist, wird wenig später am Arroyo Bruno klar. Socarras muss das Flussufer während des Gesprächs fluchtartig verlassen. Zwei Männer auf einem Motorrad vom Typ, wie sie die Gangs fahren, haben sich neben uns platziert und Fotos geschossen. «Ich muss ständig auf der Hut sein», sagt der Aktivist.

Doch indigene Aktivist:innen wie Socarras sind in ihrem Kampf nicht allein. Die Arbeiter seien Gefangene eines Unternehmens, sagt der Gewerkschaftsführer Juan Carlos Solano Guillen beim Frühstück in einem Restaurant. «Es ist unzumutbar, dass eine Person sieben Tage lang in Zwölfstundenschichten arbeitet.» Nur knapp die Hälfte der 12 000 Angestellten seien direkt bei der Mine angestellt, die anderen arbeiteten über Subunternehmen. Pro Monat würden die meisten Minenarbeiter:innen rund neunzig Franken verdienen. Die Angst, auch dieses Einkommen zu verlieren, so Solano Guillen, sei allgegenwärtig. Und ein Kollege, der mit ihm zum Interview erschienen ist, fügt an: «Es ist wichtig zu verstehen, dass das meiste, was El Cerrejón macht, in Kolumbien legal ist.»

Die Gewerkschafter bezahlen gerade, als eine Restaurantangestellte einwirft: «Darf ich auch etwas zu El Cerrejón sagen?» Wenig später steht Rochi Garcia am Eingang eines leer stehenden Hauses, zeigt auf die Einbauküche und erinnert sich an ihr Leben hier: «Betätigte man die WC-Spülung, floss dreckiges Wasser aus diesem Wasserhahn.» Das Dach leckt, die Wände haben Risse. Dabei habe El Cerrejón den Bewohner:innen des Dorfes Roche mit der Umsiedlung 2011 auch ein besseres Leben versprochen. Doch nun gehöre nicht einmal dieses unbewohnbare Haus ihr – als Eigentümerin eingetragen sei die Mine. Garcia, die nach der Umsiedlung zuerst ihr Haus, dann ihre Beziehung verloren hatte und dem Dorf anschliessend den Rücken kehrte, kommt zum Schluss: «Niemand hier ist auf der Seite des Unternehmens.» Und keiner der Versammelten widerspricht ihr.

Inkompetente Schweiz?

Im März 2023 besuchte eine Delegation des Verfassungsgerichtshofs den Arroyo Bruno erneut. Es gebe verschiedene Informationen dazu, wie sich die Situation vor Ort seit dem Urteil von 2017 entwickelt habe. Der entsprechende Bericht steht noch aus. Derweil hat Glencore den kolumbianischen Staat kurzerhand verklagt: Der Wert seiner Investition sei gesunken.

«Wir werden immer darüber streiten, was wahr ist und was nicht», sagt die Menschenrechtsanwältin Rosa María Mateus in ihrem Büro in Bogotá. Mateus arbeitet beim Anwaltskollektiv Cajar, dem verlängerten Arm der Indigenen und der Afrokolumbianer:innen von La Guajira. «Es ist ein Kampf wie David gegen Goliath», sagt sie.

Seit kurzem führt Mateus diesen Kampf auch gegen die Schweiz. 2021 reichte Cajar mit dem Global Legal Action Network (Glan) Klagen bei verschiedenen OECD-Kontaktstellen ein, auch im Heimatland von Glencore. Glan bringt vor, dass der Betrieb von El Cerrejón Menschenrechte verletze, indem er Luft und Wasser verschmutze und weil dafür lokale Gemeinschaften ohne deren freie und umfassend informierte Zustimmung umgesiedelt worden seien. Doch im Dezember 2022 zogen sich Cajar und Glan aus dem Prozess zurück. Was ist passiert?

«In Wayuunaiki, der Sprache der indigenen Wayuu, begrüsst man sich nicht mit ‹Guten Tag›», beginnt Mateus, «stattdessen fragt man: ‹Was hast du geträumt?›» Sie fährt fort: Es brauche interkulturelles Verständnis, Prozesse müssten detailliert erklärt werden, bevor beide Seiten gleichermassen Gehör finden könnten. «Doch die Befragungen der Schweizer OECD-Kontaktstelle fanden nur auf Englisch statt», so Mateus. Dabei spricht nicht einmal sie, die Anwältin in einer Millionenmetropole, diese Sprache. In einem Statement kommt das Netzwerk zum Schluss: Das Verhalten der Schweizer Behörde zeuge von «enormer Inkompetenz».

Die Medienstelle des Staatssekretariats für Wirtschaft, dem die Kontaktstelle angegliedert ist, weist den Vorwurf auf Anfrage zurück. Es habe Möglichkeiten für Betroffene gegeben, sich in den Mediationsprozess einzubringen, schreibt eine Sprecherin. Im Vorfeld sei vereinbart worden, dass der Austausch auf Englisch und Spanisch stattfinde. «Wir bedauern, dass Glan sich im vorliegenden Fall aus dem Prozess zurückgezogen hat.»

Mitarbeit: Andres Bo.