Hohe See: Alles für eine Flotte unter starker Flagge

Nr. 31 –

Mit der «Maritimen Strategie» unterwirft sich der Bundesrat der Schifffahrtslobby. Über die Folgen fürs Klima schweigt er sich aus – stattdessen bewirbt er die umstrittene Tonnagesteuer. Ein Gastbeitrag.

«Die Ozeane spielen eine entscheidende Rolle bei der Klimaregulierung», schreibt Aussenminister Ignazio Cassis im Vorwort zur «Maritimen Strategie 2023–2027», die der Bundesrat Anfang Juni beschlossen hat. Doch einzig im Glossar des Papiers erwähnt der Bundesrat etwa den drohenden Anstieg des Meeresspiegels durch die Klimaerhitzung. Dass diese erstens die Ozeane auf ökologische Kipppunkte zutreibt und zweitens die Schweizer Schifffahrt dabei eine wichtige Rolle spielt, unterschlägt die Regierung.

Wissenschaftler:innen mahnen, die Klimaerhitzung mache das Meer wärmer, saurer und sauerstoffärmer. Sie sprechen dabei von einem «tödlichen Dreieck». Dieses «treibt die Weltmeere auf ein Massenaussterben zu, wie es seit etwa 250 Millionen Jahren nicht mehr vorgekommen ist», schreibt etwa Mirova, ein US-Beratungsbüro für Investoren: «Wenn wir jetzt nicht handeln, droht eine Katastrophe.»

Und die Schweiz treibt diese Katastrophe voran. Eine mit dem Wirtschaftsverband Economiesuisse und der Umweltorganisation WWF verfasste Studie von McKinsey kommt zum Schluss: «Die Schweiz hat zumindest einen indirekten Einfluss auf geschätzte zwei bis drei Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen, was den inländischen Emissionen von Indonesien, Japan und Brasilien entspricht.»

Schweiz in Verruf geraten

Einer der grössten Schweizer Hebel im Kampf gegen den globalen Klimawandel ist zweifellos der Seehandel: Weltweit ist jede fünfte Tonne Seefracht im Auftrag von Schweizer Rohstoffhandelsfirmen unterwegs – und jeder sechste Container auf einem Schiff der Genfer Reederei MSC. Allein die Schweizer Geschäfte auf See verursachen rund das Siebenfache der gesamten Inlandemissionen. Doch nur Letztere werden in der Schweizer Klimabilanz ausgewiesen.

Die Strategie des Bundesrats zur Schweizer Hochseepolitik hat denn auch kaum mit einem erwachten Klimabewusstsein zu tun. Das deklarierte Hauptziel, das der Bundesrat verfolgt: eine starke Schweizer Flagge. Die allermeisten Schiffe der Schweizer Reedereien und Rohstofffirmen sind nämlich nicht unter Schweizer Flagge auf den Weltmeeren unterwegs, sondern in Staaten wie Liberia oder Panama registriert. Auf See gelten für die Schiffe, die unter diesen «Billigflaggen» fahren, die Umwelt- und Lohnstandards dieser Länder.

Ein Anreiz, unter Schweizer Flagge zu fahren, waren bis 2016 Bürgschaften des Bundes für das jeweilige Schiff. Im Gegenzug konnte die Regierung im Krisenfall zwecks Landesversorgung darauf zugreifen. Doch der Konkurs einer Reederei kostete die Steuerzahler:innen in den letzten Jahren über 200 Millionen Franken. Marode Schiffe brachten die Schweizer Flagge in Verruf.

Bundesrat ignoriert eigene Studie

Dass der Bundesrat nun erklärt, er wolle wieder mehr Schiffe unter die Schweizer Flagge bringen, damit diese sich an Schweizer Standards hielten, tönt zwar gut. Doch das Mittel, das er dafür einsetzen will, dürfte nicht den behaupteten Effekt haben. Der Bundesrat wirbt in seiner Strategie ausführlich für die sogenannte Tonnagesteuer – was nichts anderes als eine Subvention für die Hochseeschifffahrt bedeutet. Während Reedereien und Rohstoffhändler derzeit nach ihrem Gewinn besteuert werden, müssten sie mit der in der EU bereits verbreiteten Tonnagesteuer nur noch pauschal die Grösse der Schiffe versteuern.

Der Bundesrat ignoriert damit aber eine Studie, die er selbst beim Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik in Bremen bestellt hatte. Diese kam zum Schluss, «dass kein direkter Zusammenhang zwischen der Einführung einer Tonnagesteuer beziehungsweise dem Wachstum der Flotte eines Landes und dem Einflaggen von Schiffen» unter eine Landesflagge bestehe. Der Bundesrat hat die Tonnagesteuer bereits als Vorlage ins Parlament eingebracht, der Nationalrat hat ihr im Dezember zugestimmt. Folgt auch der Ständerat, wollen die Grünen das Referendum ergreifen.

Dass die Regierung die Steuer einführen will, ist ein Erfolg des gemeinsamen Lobbyings der Rohstoffhändler und des Reederverbands. Letzterer hat die Lobbyprofis von Mutter und Partner Consulting engagiert, um bei der Politik für die Tonnagesteuer zu werben: Ein Sieg für eine Branche, die trotz enormer Gewinne weiter subventioniert werden soll – und obwohl ihre Emissionen wachsen.

Tatenlos in der Uno

Das zeigt unter anderem der vierte Klimagasbericht der Seefahrtsorganisation der Uno (IMO). Heute stossen Schiffe drei Prozent der weltweiten Klimagase aus. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags berechnete, dass 2050 der Anteil der Seefahrt bei fünfzehn Prozent liegen dürfte. Zwar wird an alternativen Treibstoffen auf der Basis von grünem Wasserstoff – also umgewandeltem Ökostrom – geforscht. Doch die Internationale Energieagentur erwartet bis 2050 keine Dekarbonisierung der Schifffahrt. Dazu lassen immer längere Lieferketten und wachsender Warenverkehr, nicht zuletzt aufgrund von Freihandelsabkommen, das Netto-null-Ziel in weite Ferne rücken.

Die «Maritime Strategie» benennt zwar die Abhängigkeit der Schweizer Wirtschaft von der Seefahrt: «Als global orientierte Volkswirtschaft ist die Schweiz auf reibungslose weltweite Logistikketten und den Seehandel angewiesen.» Doch problematisiert sie die Folgen der klimaschädigenden Lieferketten nicht. Die Verschiffung von Birken aus Estland nach China, die dort für Billiglöhne zu Kaffeerührstäbchen für die Migros verarbeitet werden, die hier nach einmaligem Rühren im Abfall landen? Kein Problem. Stattdessen propagiert der Bundesrat die Verhandlung von neuen «Freihandelsabkommen zwecks besseren Marktzugangs für Seeverkehrsdienstleistungen» sowie «gute Rahmenbedingungen für die maritime Wirtschaft zum Zweck eines starken Wirtschaftsstandorts Schweiz».

Zum Klima schreibt der Bundesrat im Papier einzig: Man wolle sich innerhalb der Uno-Seefahrtsorganisation für die «Schärfung der Reduktionsziele für die Seeschifffahrt auf Netto-Null bis 2050» einsetzen – gerade noch rechtzeitig, bevor die IMO dies Anfang Juli sowieso beschlossen hat. Überhaupt war die Schweiz in der IMO bislang nicht durch Initiative aufgefallen, obschon Staaten wie Kanada, Japan, Neuseeland, die Ukraine, Grossbritannien oder die USA, der weltweite Reederei-Dachverband sowie 200 Konzerne längst netto null forderten.

Zwar enthält das bundesrätliche Papier auch Richtiges, etwa die Forderung nach einem internationalen Moratorium für Tiefseebergbau. Doch unter dem Strich verkommt die «Maritime Strategie» zu einer taktischen Unterstützung der Tonnagesteuer, da sie die Strukturen nicht hinterfragt, die die Ozeane in Richtung Katastrophe treiben. Business as usual, Standortförderung über alles.

Daniel Haller ist Mitglied der Denknetz-Fachgruppe Welthandel und Umwelt, Gründungsmitglied des Netzwerks Ozeanverantwortung Schweiz und Autor des Buches «Klar zur Wende! Mit Segelfrachtern gegen die Klimakrise» (Edition 8).