Leser:innenbriefe: Kritik muss solidarisch sein

Nr. 32 –

«PKK-Aussteiger:innen: Das Leben nach der Revolution», WOZ Nr. 31/23

2022 habt ihr selber geschrieben, wie wichtig es ist, den versuchten Genozid gegen die Jesid:innen nicht zu vergessen (WOZ Nr. 24/22). Und jetzt ist euch nichts Besseres in den Sinn gekommen, als genau am 3. August einen diffamierenden Artikel über die PKK zu schreiben.

Natürlich soll man die PKK kritisieren dürfen – die Frage ist aber, zu welchem Zweck und wem die Kritik dienen soll (und wem nicht). Und vor allem: Kritik muss solidarisch sein. Ansonsten ist es reaktionäres Bashing, das primär dem türkischen Machthaber und der konservativen kurdischen Oligarchie in Irak-Kurdistan dient.

In der Schweiz leben mehrere Zehntausend kurdische Geflüchtete, sehr viele von ihnen haben in der PKK gekämpft. Viele sind auch im Exil aktiv, andere haben sich zurückgezogen. Sicher gibt es unter ihnen kritische Stimmen, aber auch sehr viele, die sich nach wie vor sehr verbunden mit der PKK fühlen – was man auch aus den Zitaten, die weit weniger reisserisch sind als der Text an sich, herausspüren kann. Ein Artikel, der sich ernsthaft der Frage widmen möchte, was mit Menschen passiert, die nicht mehr in der PKK aktiv sind, hätte auch diese Personen interviewen sollen.

Unabhängiger Journalismus heisst nicht, mehr Gewicht den Gegenstimmen zu geben. Und die eigene linke Position zu verschleiern aus Angst, vorgeworfen zu bekommen, man sei parteiisch, ist nicht ausgewogener Journalismus, sondern Feigheit.

Nicole Weiss, per Mail

Dass es in einem revolutionären Kampf auch Unzufriedene gibt, ist klar. Auch dass ein Ausstieg nie einfach ist – so wie es wohl auch in der WOZ oder anderen Projekten im geschützten Raum Schweiz schmerzhafte Trennungsprozesse gab und geben wird.

Beim Thema PKK-Aussteiger:innen macht es sich die WOZ jedoch zu einfach – und zeichnet so ein sehr einseitiges Bild der PKK. Wieso jetzt gerade ein Bericht über Aussteiger:innen? Wieso kommt eine Sozialanthropologin der Uni Bern zu Wort – und sonst niemand, etwa von Beritan Schweiz? Woher hat diese Forscherin ihre «Informationen»? Interessant ist, dass dies zum Zeitpunkt kommt, wo der kurdische Befreiungs- und Selbstverteidigungskampf von allen Seiten unter brutalen Druck gerät: Der Krieg der faschistischen Nationalist:innen von Erdoğan und ihrer Nato-Armee wird in ganz Nord- und Südkurdistan, Teilen des Irak und des Iran seit Jahren intensiviert, bis zum Einsatz von Giftgas und Mordkommandos, speziell gegen kämpfende Frauen.

In der Türkei werden kritische und kurdisch-solidarische Menschen unter «Terror- und Terrorunterstützungsverdacht», meist ohne Prozess, eingesperrt. Abertausende werden verhaftet, viele ermordet. In Deutschland wird kriminalisiert, wer oder was sich auf Öcalan, PKK, YPG, YPJ, YJA Star usw. beruft, Menschen werden in Erdoğans Diktatur ausgeliefert, wo sie Folter erwartet. In Schweden wurde die traditionell eher kurd:innenfreundliche Praxis durch die rechte Regierung entgegen allen demokratischen und rechtlichen Standards aus dem Weg geräumt.

Die WOZ schreibt, Öcalan würde auf der Gefängnisinsel İmralı eine lebenslange Gefängnisstrafe «verbüssen». Die Realität ist jedoch, dass man nicht mal weiss, ob er noch lebt oder unter welchen gesundheitlichen Umständen er eingekerkert ist: Seit über zwei Jahren wird ihm jeglicher Kontakt zu seinen Anwält:innen und Angehörigen verweigert! Weiter schreibt die WOZ: «Auch das Verhältnis zwischen KDP und PKK ist angespannt.» Weiss die WOZ nicht, dass die KDP des Herrscherclans von Masud Barzani und dessen Peschmerga seit langem aktiver Teil der türkischen Kriegsführung sind?

Ein paar konfuse Zeilen und isolierte Zitate dazu zu schreiben, etwas von Stalinismus hineinzuweben und eine Uniforscherin mit ein paar Sätzen zu zitieren, desinformiert mehr, als dass es über einen längerfristigen, komplexen Prozess informiert!

Gion Honegger, Zürich