Film: Verführung und Schicksal
Ein Mädchen und ein Junge spielen zusammen im Park. Sie kennen sich aus der Schule, konkurrieren oft um die beste Note. Eines Tages werde sie den Jungen wahrscheinlich heiraten, sagt das Mädchen zu seiner Mutter. 24 Jahre später unterhalten sich die beiden Protagonist:innen in einer Bar, 10 000 Kilometer entfernt. Neben ihnen ein Mann, der sie nicht (und doch) versteht, und im Off spekulieren zwei Personen darüber, in welcher Beziehung die drei zueinander stehen.
Das koreanische Konzept In-Yun kommt aus dem Buddhismus und besagt, dass eine enge Verbindung zwischen zwei Menschen auf Begegnungen in früheren Leben zurückgeht. Ob sie daran glaube, wird Nora (Greta Lee) von Arthur (John Magaro) gefragt. «Leute in Korea erzählen das, wenn sie jemanden verführen möchten», sagt Nora. In der Regel funktioniere es.
«Past Lives», das leicht autobiografisch gefärbte Erstlingswerk der südkoreanisch-kanadischen Regisseurin Celine Song, schwingt trügerisch sanft zwischen diesen Polen von beinah religiöser Bedeutsamkeit und jenen profaneren Antrieben, die das Leben in seine scheinbar willkürliche Spur lenken. Man muss nicht an frühere Existenzen und Reinkarnationen glauben, um sich Alternativen zum eigenen Lebensverlauf vorstellen zu können – sei es in einer alternativen Realität oder bloss in einer Fantasie. Der wehmütige Effekt bleibt derselbe.
Das Mädchen verlässt Korea als Kind, findet den Jungen (Teo Yoo) zwölf Jahre später wieder auf Facebook. Zu den alten Gefühlen kommen neue, zwölf weitere Jahre vergehen. Wieder treffen sich die beiden in einem Park, einem anderen, und unterhalten sich über In-Yun. Verführung und Schicksal. Selten wurde in einem Film so authentisch, ehrlich, verletzlich und berührend über Beziehungen geredet, und selten sieht man solche Gratwanderungen zwischen Romantik und Pragmatismus, Melancholie und Zuversicht auf so unangestrengte Weise gelingen. «Past Lives» schmerzt und tröstet auf eine Weise, dass es an eine kleine Offenbarung grenzt.