Filmfestspiele Berlin: Im Kampf, im Tanz

Nr. 8 –

Die Krisen überlagern sich und das Kino reagiert. Auch an der Berlinale wütet der Krieg – und es gärt Zwischenmenschliches aller Art.

Ein Still aus dem Film «AI: African Intelligence»: Menschen mit Trommeln an eine Ritual
Reflexionen über den Zusammenhang zwischen künstlicher Intelligenz und rituellen Besessenheitsritualen: Manthia Diawaras «AI: African Intelligence». Still: Lumiar Cité, Maumaus


Die Dinge werden schneller normal, als sich die Frontlinien verschieben. Mitten in der Stadt suchen Männer mit Metalldetektoren nach Blindgängern, daneben rollt der Alltagsverkehr. Vor einem ausgebrannten russischen Panzer ist ein Umfahrungsschild angebracht. Eine blonde Frau klettert darauf und hält sich am Geschützrohr fest, um schöner für ein Handyfoto posieren zu können. Piotr Pawlus und Tomasz Wolski tun «In Ukraine» nicht mehr, als unkommentiert Bilder dieser Art aneinanderzureihen. In Berlin lief der Film in der Nebensektion Forum, während Sean Penn an der Galapremiere seines Films «Superpower» zeigen durfte, was der Ukrainekrieg mit ihm zu tun hat. Wenn sich die unlösbaren globalen Krisen immer mehr zu überschneiden beginnen, sieht man an der diesjährigen Berlinale immerhin, welche sich gerade in den imaginären Vordergrund gedrängt haben.

Es braucht das Trübe

Der halbe Potsdamer Platz ist eine Baustelle und scheint auf eine grossartige Zukunft zu warten, während an jeder Ecke für die neu angelaufene Serie «Der Schwarm» geworben wird, wo sich die Natur koordiniert gegen den Menschen zu wehren beginnt. Das Thema zieht sich durch alle Sektionen der Berlinale. Etwa im hochsymbolischen «The Survival of Kindness», der zwischen maximaler Abstraktion und taktiler Konkretheit alterniert: Der Australier Rolf de Heer schickt hier eine nur Black Woman genannte Frau (Mwajemi Hussein) durch eine verbrannte und verseuchte Landschaft, in der es sich der Faschismus wieder eingerichtet hat. Der ungarische Animationsfilm «White Plastic Sky» wiederum stellt eine Zukunft vor, in der Menschen zur ökologischen Nahrungsquelle umfunktioniert werden.

Interessanter wird es da, wo die apokalyptischen Vektoren aus der Peripherie betrachtet werden. «El eco» von Tatiana Huezo, ein sanft hybrider Dokumentarfilm aus dem Norden Mexikos, blickt auf das, was bleibt, auch wenn sich alles ändert: die Liebe von Kindern zu anderen Lebewesen; die Fürsorge, die einer sterbenden Grossmutter entgegengebracht wird; aber auch die patriarchalen Strukturen, die Väter ihren Söhnen beibringen lassen.

Oder der hypnotische Essayfilm «AI: African Intelligence», in dem der malische Filmemacher und Theoretiker Manthia Diawara einen Vergleich zwischen künstlicher Intelligenz und rituellen Besessenheitsritualen zieht. Dabei vollzieht Diawara sein entschieden antipositivistisches Argument nicht sprachlich, sondern zeigt ausführlich die intensiven Ndeup-Tänze der fast hundertjährigen Mère-Bi, deren stundenlange Ausdauer sich anders als mit Mystizismus kaum erklären lässt. Damit verschiedene Wahrheiten – etwa die dominanten Weltinterpretationen des Westens und die afrikanische Spiritualität – nebeneinander existieren könnten, brauche es das Trübe, Undurchsichtige, so der Filmemacher.

Mystische Tänze passen auch zu anderen Krisen. Etwa denjenigen der EU-Aussengrenzen, des Neokolonialismus und der Männlichkeit, die Giacomo Abbruzzese in seinem Film «Disco Boy» zu einem sensorischen Reigen sondergleichen verknüpft. Franz Rogowski spielt da den Belarusen Aleksei, der illegal nach Frankreich reist, sich der Fremdenlegion anschliesst, deren Ausbildung durchläuft und schliesslich irgendwo im nigerianischen Urwald auf Jomo (Morr Ndiaye) trifft. Seelenverbindungen und unerklärliches Wiedererkennen, Männerkörper im Training, im Kampf, im Tanz: Schon in Locarno handelte der schönste Wettbewerbsfilm von der Fremdenlegion; als ob sich mit diesem Relikt aus dem 19. Jahrhundert präziser über unsere Gegenwart reden liesse als mit Milieus, die näher an der heutigen Wirklichkeit sind.

Letzteres versucht «Manodrome» von John Tengrove, wo ein werdender Vater voller Geldsorgen, Selbsthass und Aggressionen namens Ralphie (Jesse Eisenberg) von einer Art Incel-Sekte unter der Leitung eines Jordan-Peterson-Verschnitts (Adrien Brody) auf destruktive Bahnen geführt wird. Konsequenterweise versucht der Film in keinem Augenblick, seinen Protagonisten sympathisch wirken zu lassen, aber sein Porträt einer Männlichkeit, die sich selbst von der «Gynosphäre» loslösen möchte, gerät dann doch etwas zu brachial.

Zu offensichtlich toxisch

Etwas unterkomplex in seiner Figurenzeichnung ist leider auch «Ingeborg Bachmann. Reise in die Wüste» geraten, Margarethe von Trottas mit Spannung erwarteter Spielfilm über die Liebe zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch. Das liegt am wenigsten noch an Vicky Krieps, die Intelligenz, Neugier und Verletzlichkeit der Schriftstellerin in allen ihren Widersprüchen sehr überzeugend auf die Leinwand bringt. Weil aber Max Frisch (Ronald Zehrfeld) eintönig unsympathisch als eifersüchtiger Spiesser inszeniert wird, ohne dass erkennbar würde, was dessen Attraktivität für die Schriftstellerin hätte ausmachen sollen, kommt der Film als Studie einer offensichtlich toxischen Beziehung nie so richtig in die Gänge.

Um Längen glaubwürdiger und nachfühlbarer ein anderes Liebesdrama, das ohne falsche Dramatik auskommt: In «Past Lives» verknüpft die südkoreanisch-kanadische Regisseurin Celine Song auf so intelligente wie berührende Weise die Themen Emigration, Schicksal, Identität und Seelenverwandtschaft. Der Film wartet auch mit einigen der schönsten und authentischsten Dialoge über Beziehungen seit langem auf – und zeigt schliesslich, dass es Dinge gibt, die nie normal sein werden.