Ein Traum der Welt: Dwende zwischen Welten
Annette Hug erlebt Theater als notwendig
Während die mediale Öffentlichkeit unter den Regierungen Duterte und Marcos zunehmend verödet ist, sind die Aufführungen im Peta-Theater in Quezon City, Metro Manila, regelmässig ausverkauft. Auf der Bühne nimmt Gestalt an, was sonst vornehmlich im privaten Raum zur Sprache kommt. Im Stück «The Reconciliation Dinner» (Versöhnungsessen) ist der Bühnenhintergrund auch ein Bildschirm. Da ist nachzulesen, wie sich zwei Familien über SMS und soziale Medien verfeinden. Ein langer Lockdown verstärkt die Entfremdung. Man streitet sich über Drogenpolitik, einen Diktatorenclan und schliesslich den Präsidentschaftswahlkampf 2022. Aber es könnte auch um Impfverweiger:innen und Klimapolitik gehen, um Momente, in denen man sich nicht mehr einig wird, was «Realität» ist.
Das Kammerspiel auf der Peta-Bühne führt von einem ersten Streit 2016 zum Versuch der Versöhnung bei einem Dinner im Dezember 2022. Es bietet innere Monologe, offenen Streit, Komik, Lecture Performance und Katharsis. Das Publikum lacht, weint und steht beim Applaus. In weniger als zwei Stunden gewinnen die vergangenen Jahre eine neue Realität – eine geteilte Wirklichkeit.
Das Hochgefühl, das diese Vorstellung auslöst, trägt auch ausserhalb des Theaters. Der Witz in den Details der überfordernden Stadt wird sichtbar. Im Vertrauen, damit nicht allein zu sein, wächst meine Neugier wieder: Warum heisst eine Mikrokreditgenossenschaft «Dwende», was doch der Name einer Art von Kobold ist, der mutwillig Schaden anrichtet? Ihrem Geschäft bringe er vielleicht Glück, sagt mir die Sekretärin der Genossenschaft, deren Büro nur ein Unterstand ist.
Für Federico García Lorca war der «Duende» 1933 das Gegenstück zum Engel und zur Muse, eine Kraft, die aus den Fusssohlen kommt und Kunst erst ermöglicht, im Theater zum Beispiel, in der Musik, vor allem im Flamenco, aber auch Gedichte seien nur gut, wenn «der Duende in Erscheinung tritt». Das kann man nicht in einem Video festhalten, weil der Moment wichtig ist, das Ereignis, wenn in einem Theater 200 Leute zusammenkommen und auf der Bühne sechs Leute hilflos scherzen, dann aber plötzlich einer seine Knarre zieht und alles erstarrt. Und man weiss nicht: Ist das ernst? Ist das Scherz?
So ist das im wirklichen Leben: Man weiss nicht, wanns gefährlich wird. Aber auf der Bühne ist der Moment gleichzeitig wirklich und ungefährlich. Man kann endlich darüber nachdenken und später, auf einem Spaziergang, wandern die Gedanken zurück zu Federico García Lorca, der 1936 von Faschisten erschossen wurde. 1933 hatte er sich noch die Freude gemacht, mit dem Duende die europäisch-mexikanische Kunstgeschichte neu zu ordnen. Behelfsmässig. Diese Geschichte führte über den Galeonenhandel zwischen Acapulco und China auch nach Manila, wo man den Duende heute mit w schreibt, also Dwende, weil die Revolutionäre des späten 19. Jahrhunderts die deutsche Orthografie für die rationalste hielten und spanischen Worten die Buchstaben K und W aufdrückten. Heute rührt ein Theaterabend an Lorcas Hymne auf diesen seltsamen Geist der Kunst. Auf einer Bühne werden die «dunklen Klänge» erfahrbar, «hinter denen in trauter Intimität Vulkane, Ameisen, die Zephire und die grosse sich an die Milchstrasse drängende Nacht existieren».
Annette Hug hat in Quezon City ein Stück von Floy Quintos angeschaut und Federico García Lorcas Essay «Spiel und Theorie des Duende» in der 2023 erschienenen Übersetzung von Sabine Giersberg gelesen.