Leser:innenbriefe

Nr. 35 –

Die Rechte der Verwahrten

«Verwahrung: ‹Waschen, kochen, kann ich das überhaupt noch?›», WOZ Nr. 32/23

Dieser Artikel drängt geradezu auf, dass wir Verwahrten aus dem Thorberg (TB) uns darauf melden. Wir sind mit Langzeitstrafgefangenen zusammen auf einer Abteilung untergebracht, weshalb argumentiert wird, dass wir Verwahrten nicht (bzw. nur sehr marginal für alle hier Untergebrachten) von unseren Rechten Gebrauch machen können! Abstandsgebot? Dafür gebe es in der Schweiz keine rechtliche Grundlage, hat Herr Benjamin Brägger als Sekretär des Strafvollzugskonkordats Nordwest- und Innerschweiz (NWI-CH) letzthin auf meine Anfrage geantwortet! Das empört.

Einen grossen Kranz möchten wir Rechtsanwalt Stephan Bernard winden, der sich unermüdlich für die Rechte von Verwahrten einsetzt gegen jegliche Widerstände, die vor allem auch wir Betroffene im präventiven Freiheitsentzug erfahren müssen. Wer sich als Verwahrter im TB auch via Anwalt vehement und hartnäckig für Erleichterungen einsetzt, der wird genötigt und vor «die Wahl» gestellt, seine Eingaben zurückzuziehen oder «rauszufliegen», auf Behördendeutsch: «zur Verfügung gestellt», also in eine andere JVA verlegt zu werden.

Wie bereits der Artikel über Verwahrungen vom 3. November 2022 (siehe WOZ Nr. 44/22) belegte und der jetzige erst recht, werden die Rechte von Verwahrten im nichtpunitiven präventiven Freiheitsentzug negiert, oder man wird vor allem mit Verlegung zusätzlich bestraft, da es ja gar keine Alternativen gibt in der Schweiz, wie der Artikel erneut hervorhebt.

Sechs Plätze für rund 145 Menschen im «Sonderopfer für die Gesellschaft» – nicht nur ein Hohn für die Schweiz, sondern für jeden Justizvollzugsangestellten, der mit dieser Ungerechtigkeit auch noch seinen Lohn verdient.

Romano Schäfer, Krauchthal

Persönlichkeitsrechte

«Medienanwälte: Till Lindemann und die Anzugskrieger», WOZ Nr. 34/23

Seit Jahren gibt es die populistische Tendenz, Anwält:innen zu verunglimpfen, weil sie sich für die Interessen ihrer Mandant:innen einsetzen. Genau das ist aber ihre Funktion in einem Rechtsstaat. Der Artikel des Redaktors erweckt den Eindruck, Persönlichkeitsrechte seien lediglich ein lästiges Mittel, um Journalist:innen zu drangsalieren. Man muss aber keine Sympathien für Till Lindemann haben, um anzuerkennen, dass alle Bürger:innen Persönlichkeitsrechte haben und auch das Recht auf den Versuch, diese vor Gericht durchzusetzen. Der Artikel interessiert sich nicht für die Argumente und kann in all dem nur «Schaden» für die Interessen von Journalist:innen sehen. Damit ist der Artikel selbst, was er den «Anzugskriegern» vorwirft: zynisch.

Paul Mongré, per E-Mail

«Victim blaming»

«Zwangsarbeiterinnen: Ins Toggenburg verschleppt», WOZ Nr. 28/23

Zur Buchbesprechung «Ins Toggenburg verschleppt», die meiner Meinung nach insgesamt etwas am Thema des Buches vorbeigeht (viel Platz für die Themen Verdingkinder und Jenische, zu wenig zur Zwangsarbeit von jungen Frauen in der Industrie und zu den Profiteuren dieser Praxis): Gestört hat mich der letzte Abschnitt: «Ein auffälliger Aspekt dieses Fürsorgeterrors ist auch die ständige Angst der Behörden vor der weiblichen Sexualität […].» Haben die Behörden, die zum Teil selber übergriffig waren, wirklich Angst vor weiblicher Sexualität? Eher handelt es sich um systematisches «victim blaming». Schade, dass der Autor dieses grundlegende Problem übersehen hat.

Patricia Muheim, per E-Mail

Gesunde Portion Demut

«PKK-Aussteiger:innen: Das Leben nach der Revolution», WOZ Nr. 31/23

Am 3. August 2014 begann der Genozid gegen die Jesid:innen durch den Islamischen Staat im Süden Kurdistans. Das jesidische Volk sollte ausgelöscht werden, gezielt richtete sich der Angriff gegen Frauen, der Genozid war zugleich Femizid. Es waren Kräfte der kurdischen Freiheitsbewegung, massgeblich geprägt von der PKK, die dies verhinderten.

Neun Jahre später begeht die WOZ diesen Jahrestag mit einem Artikel gegen die PKK, der in seinem Inhalt nicht bloss unsolidarisch, sondern demagogisch ist. Wüsste man es nicht besser, meinte man beim Lesen, eine türkische Regierungszeitung in den Händen zu halten.

Als Linke ist man parteiisch für die Sache der Unterdrückten, parteiisch für die Kämpfe derselben gegen Ausbeutung und Unterdrückung, parteiisch für die Kräfte, die innerhalb dieser Kämpfe wirken. Das heisst nicht, dass eine Kritik aus den Metropolen an den Kämpfen in den Weltregionen, die oft und lange genug durch diese Metropolen gegängelt wurden und weiterhin werden, nicht möglich ist. Aber gewiss sollte eine solche Kritik von einer gesunden Portion Demut gekennzeichnet sein, gewiss sollte sich eine Kritik an Freund:innen von einer Kritik an Feind:innen unterscheiden.

Die WOZ entscheidet sich für eine Kritik ohne Solidarität, ohne Differenzierung, ohne Versuch, nachzuvollziehen, weshalb die Bedingungen einer kämpfenden Partei, die es seit nunmehr 45 Jahren gibt, sich von jenen unterscheiden mögen, die links-liberale Journalist:innen in einem der reichsten Länder der Welt kennen.

Die Verteufelung der PKK dient letztlich nur dem Feind. Im Palast in Ankara muss man sich ins Fäustchen lachen, wenn angesichts von Todesdrohnen in Rojava, Giftgasangriffen in den kurdischen Bergen, Stauungen der türkisch-syrischen Flüsse, des 100-Jahr-Jubiläums des Lausanner Vertrags, der die Kolonisierung Kurdistans festschrieb, die WOZ nichts Besseres weiss, als so etwas zu veröffentlichen.

Rojava Komitee Zürich