Medienanwälte: Till Lindemann und die Anzugskrieger
Der Sänger von Rammstein geht mit Staranwälten gegen Medienberichte vor. So sollen kritische Recherchen strategisch diskreditiert werden.
«Auf der ganzen Welt nutzen Männer ihre Machtposition aus. Mädchen sexuell zu missbrauchen, weil sie so ein ganzes riesen fucking System um sich herum haben, beschützt zu werden. Und es ist einfach nichts Neues. Wir wissen, dass so was passiert. Und Till Lindemann ist einer davon» (sic). Das sind einige der Sätze, die die Youtuberin Kayla Shyx in der Öffentlichkeit nicht mehr sagen darf. Ein System von patriarchalem Machtmissbrauch anzuprangern, soll nun also eine Persönlichkeitsverletzung sein?
Das Landgericht Hamburg hat einem Antrag der Anwälte von Rammstein-Sänger Lindemann recht gegeben, dass Shyx bestimmte Passagen aus einem Video entfernen muss – gut eine halbe Minute von über dreissig. In dem Video erzählt sie von ihren verstörenden Erfahrungen im Backstagebereich nach einem Konzert der Band. Das Video wurde gegen sechs Millionen Mal angeklickt und ist ein wichtiges Zeuginnendokument im #MeToo-Skandal um die Band. Der Preis für Shyx ist hoch, zum Hass der Rammstein-Fans kommen nun auch hohe Prozesskosten.
Lieblingsgericht der Promis
Rammstein haben in diesem Sommer einige Schlachten geschlagen – mit Pyrotechnik und maskulinistischer Marschmusik auf ihrer Stadiontour durch Europa, zuletzt aber vor allem auf der juristischen Bühne. Nachdem die Irin Shelby Lynn im Mai ihre Vermutung öffentlich gemacht hatte, sie sei nach einem Konzert der Band unter Drogen gesetzt worden, um Sex mit Lindemann zu haben, hat der Beschuldigte zum breit angelegten Gegenschlag ausgeholt. Dazu hat Lindemann die auf Klagen von Prominenten gegen Medien spezialisierte Berliner Kanzlei Schertz Bergmann engagiert. Die Staranwälte konnten einige Erfolge erzielen, nicht nur gegen Shyx, auch die «Süddeutsche Zeitung», der NDR oder der «Spiegel» mussten nach einstweiligen Verfügungen vorerst Passagen aus ihren Artikeln entfernen. Im Kern geht es um Sätze, die suggerieren, junge Frauen hätten gegen ihren Willen mit Lindemann Sex gehabt oder seien mit Substanzen gefügig gemacht worden.
Die Anwälte von Lindemann sind nicht immer erfolgreich, letzte Woche etwa wurde ein Unterlassungsantrag gegen Shelby Lynn abgewiesen. Auch lässt sich aus den Erfolgen gegen deutsche Medien keinesfalls schliessen, dass die Berichterstattung zum Fall aus juristischer Sicht grundsätzlich problematisch wäre. Auch die Kampagnenplattform Campact hat neulich einen Sieg gegen Lindemann erzielt, als dieser einen Antrag gegen den Text der Onlinepetition «Keine Bühne für Rammstein» zurückgezogen hat. Laut dem Landgericht Berlin ist es nun immerhin zulässig, das von Rammstein betriebene System zur Rekrutierung von Groupies als «sexuellen Missbrauch» zu bezeichnen.
Das könnte aber auch daran liegen, dass hier das Landgericht in Berlin und nicht das in Hamburg entschieden hat. Weil die betroffenen Medienberichte in ganz Deutschland abrufbar sind, konnten sich die Kläger ein Gericht aussuchen. Die Wahl des Hamburger Gerichts durch Lindemanns Anwälte ist nicht zufällig: Dieses hat den Ruf, eher zugunsten verletzter Persönlichkeitsrechte als zugunsten der Pressefreiheit zu entscheiden. Zuletzt wurden dort auch einstweilige Verfügungen gegen Artikel über Ex-«Bild»-Chefredaktor Julian Reichelt, den Comedian Luke Mockridge oder den ehemaligen «Magazin»-Chefredaktor Finn Canonica erstritten.
Zweifel säen
Doch auch wenn die Anträge auf einstweilige Verfügungen später zurückgezogen werden, wie im Fall von Canonica und dem «Spiegel» geschehen, oder die Entscheide von einer höheren gerichtlichen Instanz wieder aufgehoben werden – der Schaden ist angerichtet. Die spätere Meldung, dass mit einem Artikel doch alles rechtens war, interessiert gemeinhin deutlich weniger als die Aufdeckung angeblicher medienethischer und handwerklicher Fehler, gerade im heutigen medienfeindlichen Klima. Die Strategie von Lindemanns Anwälten ist deshalb zynisch, weil sie darauf baut, Zweifel an seriösen Recherchen zu säen.
Dass es dabei nicht nur um juristischen Eifer im Dienst des zahlungskräftigen Kunden geht, verraten gewisse Aussagen von Schertz Bergmann. Die Medien hätten gegen die Vorgabe verstossen, «ausgewogen und objektiv» zu berichten, kommentierte einer der Anwälte einen Gerichtsentscheid zugunsten Lindemanns. Und: Der Entscheid belege «beispielhaft, wie die Verdachtsberichterstattung zum Thema ‹#MeToo› völlig aus dem Ruder gelaufen» sei. Eine Zeitung wie die NZZ zitiert solche Aussagen gern, sie sind willkommenes Futter für das Narrativ einer überbordenden Woke-Kultur.
Das juristische Hickhack treibt derweil seltsame Blüten. Bei aller Spitzfindigkeit bleibt es aber wichtig, dass die mit Ressourcen ausgestatteten Verlagshäuser auch um die kleinen Unterschiede streiten. Denn solche Geschichten haben es leider an sich, dass der Schaden viel leichter angerichtet als behoben ist. Egal, wie erfolgreich Lindemanns Gegenschlag auf juristischem Terrain am Ende ist: Medial wird die Drohkulisse für zukünftige Recherchen sowieso Wirkung zeigen.