Deutschland in der Krise: Der Protestantismus ist ein schlechter Ratgeber

Nr. 38 –

Deutschland ist in grosser Aufregung über die eigenen Wirtschaftszahlen – die Konjunktur lahmt wie nirgendwo sonst in Europa. Diese Woche war es das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), das, wie viele Organisationen vor ihm, dem Land eine Rezession voraussagte. Ausgerechnet Deutschland, das ab Mitte der nuller Jahre mit seinem Wachstum alle übertrumpfte und nach der Finanzkrise 2008 Länder wie Italien oder Griechenland mit protestantischer Moral belehrte.

Nun ächzt Deutschland ironischerweise genau an dieser Moral. Die Löhne der Angestellten tief halten, um möglichst billig und entsprechend viel Waren ins Ausland zu exportieren: Das war die Strategie, die Deutschland seit zwanzig Jahren verfolgte und die die damalige CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel nach der Finanzkrise allen europäischen Ländern vorschrieb. Auf diese Weise hat Deutschland lange Zeit viel mehr exportiert als importiert, wodurch sich andere Länder bei Deutschland verschuldeten.

So wie die EU-Kommission sieht auch das IMK in den tiefen Löhnen einen Hauptgrund des deutschen Nullwachstums – neben den hohen Energiepreisen und den steigenden Zinsen, mit denen die EU-Kommission die Inflation zu bekämpfen versucht. Zwar waren die Löhne in den Jahren vor Corona etwas gestiegen, seither stagnierten oder schrumpften sie jedoch – insbesondere seit der hohen Inflation. Nun sinkt die Inflation zwar wieder und die Reallöhne sind zwischen April und Juni leicht angestiegen, wie das IMK schreibt, doch das reiche nicht. Das Ergebnis: Die Leute konsumieren weniger.

Da gleichzeitig die Wirtschaft weltweit kriselt, gelingt es Deutschland nicht mehr, die mangelnde Nachfrage mit Exporten in die USA oder China zu kompensieren. «Ist Deutschland erneut der kranke Mann Europas?», fragte das britische Finanzblatt «The Economist» kürzlich. So wurde das Land Anfang der nuller Jahre rundum bezeichnet, bevor der damalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder mit seiner «Agenda 2010» auf tiefe Löhne und Rekordexporte setzte. In der Krise rächt sich nun, was über viele Jahre als deutsches Exportmodell gepriesen wurde.