Klimaschutz: «Ein Verstoss gegen den Volkswillen»
Im Juni sagten die Stimmenden Ja zum Klimaschutzgesetz – und damit zu griffigen Massnahmen. Am neuen CO₂-Gesetz, das jetzt ins Parlament kommt, ist allerdings gar nichts griffig.
Zwei klimapolitische Abstimmungsresultate prägten die auslaufende Legislatur: das Nein zum CO₂-Gesetz im Juni 2021 und das Ja zum Klimaschutzgesetz im Juni 2023. Ein knappes Nein (51,6 Prozent) versus ein deutliches Ja (59,1 Prozent).
Nach dem Nein im Juni 2021 überarbeitete das Umweltdepartement das CO₂-Gesetz – noch unter der damaligen SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga. Nach einer ersten Begutachtung durch die Umweltkommission des Ständerats (Urek-S) kommt es nun nächste Woche in den Ständerat.
«Das CO₂-Gesetz hat auf den ersten Blick nicht viel mit dem Klimaschutzgesetz zu tun», sagt Marcel Hänggi, Initiant der Gletscherinitiative, die für das Klimaschutzgesetz zurückgezogen wurde. «Es gilt bis 2030, das Klimaschutzgesetz setzt hingegen Ziele ab 2031. Aber was wir bis 2030 machen, entscheidet darüber, ob sich das Klimaschutzgesetz danach überhaupt noch wie vorgesehen umsetzen lässt.»
In die Sackgasse «kompensieren»
Im Klimaschutzgesetz ist festgeschrieben, dass die Schweiz bis 2050 netto null Treibhausgase erreichen muss – mit einem Zwischenziel für 2040. «Soweit möglich» müssen die Verminderungsziele «durch Emissionsverminderungen in der Schweiz erreicht werden».
Und hier gibt es eine eklatante Differenz zum CO₂-Gesetz. Dieses schreibt fest, dass sich der CO₂-Ausstoss zwischen 1990 und 2030 halbieren soll. Es setzt dafür aber nicht auf eine Dekarbonisierung der Schweizer Wirtschaft und Gesellschaft, sondern will die Reduktionsziele durch «Kompensationen» im Ausland erreichen. Über die gesamte Periode beträgt der Auslandsanteil rund ein Drittel, im laufenden Jahrzehnt sogar mehr als die Hälfte.
«Wenn die Schweiz die Kompensationsstrategie bis 2030 verfolgt, wird es danach kaum noch möglich sein, den im Klimaschutzgesetz festgeschriebenen Absenkpfad im Inland zu erreichen», sagt Hänggi. Auch die Umweltallianz, zu der WWF, Pro Natura, VCS und Greenpeace gehören, kritisiert: «Uns ist kein anderes vergleichbares oder grösseres Land bekannt, welches nur annähernd im gleichen Umfang seine Verpflichtung im Ausland statt im Inland erfüllen will.»
«Wenn das Parlament das CO₂-Gesetz so umsetzt, ist das ein Verstoss gegen den Volkswillen», sagt Hänggi. Auch der kürzlich beschlossene Autobahnausbau sei mit dem Klimaschutzgesetz nicht kompatibel. Das Parlament handle, als würde es sich für das Abstimmungsresultat vom 18. Juni überhaupt nicht interessieren. «Dabei hat es die Vorlage selbst ausgearbeitet.» Seit Jahren weist Hänggi darauf hin, dass das «Kompensieren» in anderen Ländern mit dem Pariser Klimaabkommen langfristig nicht vereinbar ist: Wenn alle Länder auf netto null kommen müssen, kann man keine Emissionen mehr in irgendein Ausland auslagern.
Die Illusion vom grünen Fliegen
«Nach dem Nein von 2021 hat Bundesrätin Sommaruga alles aus dem Gesetz gestrichen, was irgendwelche Interessengruppen verärgern könnte», sagt Patrick Hofstetter, Klimaschutzexperte beim WWF Schweiz. Das ist dem Gesetz anzumerken: Eine Flugticketabgabe ist nicht mehr vorgesehen, dafür soll dem Flugbenzin wie in der EU problematischer Agrotreibstoff beigemischt werden. Die CO₂-Abgabe auf Heizöl und Gas, die teilweise an die Bevölkerung rückverteilt wird – ein bewährtes Instrument, das umweltfreundliches Verhalten belohnt –, wird beibehalten, aber nicht erhöht. Grosse CO₂-Emittenten können heute schon davon befreit werden und stattdessen am europäischen Emissionshandelssystem teilnehmen. Neu sollen alle Firmen die Abgabe loswerden können, wenn sie sich zu Dekarbonisierungsplänen verpflichten.
Eine Lenkungsabgabe auf Benzin und Diesel ist weiterhin nicht geplant; die Autolobby hat sich bisher immer durchgesetzt. Stattdessen «kompensieren» die Treibstoffimporteure ebenfalls Emissionen, und es gibt weiterhin CO₂-Zielwerte für den Import von Neuwagen – an die sich die Autoimporteure aber Jahr für Jahr nicht halten; sie zahlen lieber Bussen in Millionenhöhe. Auch Einschränkungen für den Finanzplatz sind nicht vorgesehen, nur die Pflicht zur «Berichterstattung über die Risiken, die vom Klimawandel ausgehen».
Das CO₂-Gesetz setzt also ausgerechnet auf zwei Instrumente, die im Verdacht stehen, der Umwelt mehr zu schaden als zu nützen: «Kompensation» und Agrotreibstoffe. Während Erstere breit diskutiert wird, ist es um Agrotreibstoffe ruhig geworden. Dabei standen sie vor einem Jahrzehnt heftig in der Kritik von Umwelt- und Entwicklungsorganisationen. «Die Beimischquote der EU ist hochproblematisch», sagt Hofstetter. «Um die geplanten Mengen an Treibstoff aus pflanzlichen Quellen zu erzeugen, müssen weitere Wälder abgeholzt werden.» Erneuerbares Flugbenzin lässt sich auch mithilfe von Solar- und Windstrom herstellen. Doch bei den gigantischen Mengen, die der Flugverkehr braucht, ist die Umstellung auf «grünen» Treibstoff illusorisch.
«Ich hoffe, dass die Umweltkommission des Nationalrats den Kurs der ständerätlichen Kommission korrigiert und ein paar Pflöcke einschlägt», sagt Hofstetter.