CO2-Gesetz: Es gibt kein Ausland mehr, in dem man kompensieren kann

Nr. 11 –

Nächste Woche diskutiert der Nationalrat wieder über das CO2-Gesetz. Die Vorlage hat Mängel, doch besser wird sie wohl nicht mehr werden – es herrscht Angst vor der SVP.

Warum nicht jetzt schon demokratisch festlegen, wer wie viel CO2 ausstossen darf? Betankung eines Flugzeugs in Genf. Foto: Salvatore Di Nolfi, Keystone

«Wir sind einen Riesenschritt weiter als vor einem Jahr!», sagt die Schaffhauser SP-Nationalrätin Martina Munz. Sie spricht vom CO2-Gesetz. Und hat recht – schliesslich war die Wintersession Ende 2018 ein Tiefpunkt in der Schweizer Klimapolitik: Nachdem die rechte Mehrheit des alten Parlaments den ungenügenden Entwurf weiter verwässert hatte, sah sich die Linke gezwungen, die Vorlage abstürzen zu lassen. (Die SVP schloss sich an, weil sie den Klimaschutz sowieso sabotiert.) Nächste Woche kommt das CO2-Gesetz wieder in den Nationalrat. Und verglichen mit Dezember 2018 ist man tatsächlich einen grossen Schritt weiter: Im Herbst hat der Ständerat die Vorlage deutlich verbessert. Die Frage ist nur: Genügt das?

Doch diese Frage traut sich kaum mehr jemand zu stellen. Denn es gilt als sicher, dass die SVP das Referendum gegen das Gesetz ergreifen wird. Für PolitikerInnen und Umweltverbände hat der Abstimmungskampf bereits begonnen. «Diese Abstimmung müssen wir mit solider Mehrheit gewinnen», sagt Munz. «Lieber eine mehrheitsfähige Vorlage als ein tolles Gesetz, das an der Urne durchfällt. Das wäre ein Desaster – es würde fünf, sechs Jahre dauern, bis wir endlich griffige Massnahmen in einem Gesetz verankert hätten.» Ähnlich argumentiert WWF-Klimaexperte Patrick Hofstetter.

Keine Massnahmen gegen Banken

Einiges sei gut aufgegleist, sagt er. So will das Gesetz die Limiten, wie viel CO2 ein Personenwagen noch ausstossen darf, schrittweise verschärfen – analog zur EU. Neue Heizungen sollen noch maximal zwanzig Kilo CO2 pro Quadratmeter verursachen dürfen – das ist zwar kein Ölheizungsverbot, aber ein Haus muss schon sehr gut isoliert sein, damit dieser Wert mit einer Ölheizung eingehalten werden kann. «Das ist eine Regelung, die ‹einschenkt›», sagt Hofstetter. «Umso unverständlicher, dass die Umweltkommission des Nationalrats sie abschwächen will: Sie soll erst 2026 für alle Kantone gelten – statt 2023, wie vom Ständerat vorgesehen.» Diese Verzögerung, hat der WWF ausgerechnet, würde etwa acht Millionen Tonnen CO2 zusätzlich verursachen.

Auch die geplante Flugticketabgabe findet Hofstetter gut. Ihn stört allerdings die Begrenzung auf 30 bis maximal 120 Franken pro Ticket: «Nach oben sollte mehr möglich sein. Wenn 30 Franken für einen Economy-Flug in Europa gelten, sind 120 für einen Businessclass-Langstreckenflug zu wenig.» Weiter kritisiert er, dass das Gesetz keine Massnahme vorsieht, um klimaschädliche Investitionen von Schweizer Banken zu verhindern.

Doch trotz aller Kritik sagt Hofstetter: «Die Vorlage des Ständerats ist eine gute Grundlage, um darauf die Gesetzgebung aufzubauen. Die Instrumente sind noch nicht griffig genug, aber wenn sie einmal eingeführt sind, können wir sie hoffentlich griffiger gestalten.» Doch die Frage bleibt: Genügt das neue CO2-Gesetz? Lassen sich damit die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreichen, zu denen sich die Schweiz notabene verpflichtet hat? Nein. Marcel Hänggi, Initiator der Gletscherinitiative, hat es ausgerechnet: Selbst wenn die Umsetzung des Gesetzes reibungslos klappt und sich nichts verzögert, ist das Emissionsbudget der Schweiz bis 2029 aufgebraucht, wenn sie das 1,5-Grad-Ziel ernst nimmt.

Strukturen neu denken

Dazu kommt: Weder der Bundesrat noch die meisten ParlamentarierInnen haben das Pariser Abkommen verstanden. Weiterhin wollen sie einen Teil der CO2-Reduktion durch Kompensieren im Ausland erreichen – indem die Schweiz in anderen Ländern etwa Solaranlagen oder Aufforstungen finanziert. Wie hoch dieser Teil sein darf, ist umstritten. Mit Paris müssen aber alle Länder spätestens 2050 netto null Treibhausgasausstoss erreichen. Da gibt es kein Ausland mehr, in dem man kompensieren kann. Wer es weiterhin tut, hält bloss überholte klimaschädliche Strukturen am Leben. «Die Halbierung muss im Inland stattfinden», betont die Klimaforscherin und ETH-Professorin Sonia Seneviratne. «Und wir sollten anderen Ländern helfen, ihre Ziele zu erreichen – zusätzlich, nicht als Kompensation.»

Auch der geplante Aufschlag von zehn bis zwölf Rappen auf einen Liter Benzin wird in Kompensationsprojekte fliessen. Denn die Autolobby im Parlament verhindert schon seit den neunziger Jahren eine CO2-Abgabe auf Treibstoffe, wie es sie immerhin seit 2008 auf Heizöl und Gas gibt und bald auf Flugtickets geben soll. Als Lenkungsabgabe wird die CO2-Abgabe teilweise an die Bevölkerung rückverteilt und belohnt umweltfreundliches Verhalten und geringen Konsum. Das wäre auch bei Treibstoffen sinnvoll, wie Seneviratne sagt: «Die Lenkungsabgabe ist ein gutes, faires Instrument.»

Darüber hinaus wäre eine Politik nötig, die bei den Strukturen ansetzt und klimaschädliche Investitionen verunmöglicht. Einen Anfang könnte das CO2-Gesetz machen, wenn es – wie vom Ständerat geplant, aber von der Nationalratskommission abgelehnt – die Umweltverträglichkeitsprüfung für grosse Bauprojekte um den Klimaaspekt erweitern würde. Seneviratne sagt: «Mit Infrastruktur sind Langzeitemissionen verbunden. Wir dürfen nichts mehr bauen, was noch zwanzig und mehr Jahre lang CO2 verursacht.»

Im strukturellen Bereich sollten wir weiterdenken: Umweltverträglichkeitsprüfungen braucht es nicht nur für Bauvorhaben. Die Schweiz sollte sich dazu verpflichten, jedes Gesetz und jede Neuerung zu durchleuchten: Sind sie Paris-kompatibel? Und da wir schon wissen, wie viel CO2 wir noch «zugute» haben: Warum nicht jetzt schon demokratisch festlegen, wer wie viel ausstossen darf? Doch diese beiden Ideen stammen leider nicht aus dem Parlament. So ähnlich schlägt das einer vor, der kein Umweltpolitiker ist, aber die Dringlichkeit des Klimanotstands verstanden hat: der ehemalige SRG-Direktor Roger de Weck.