Demoverbote: Wen soll das schützen?

Nr. 43 –

Die Demoverbote in Bern, Zürich und Basel sind mehr als fragwürdig. Denn die Versammlungsfreiheit muss auch in politisch unruhigen Zeiten gelten.

Angedacht wäre ein grosses Demowochenende gewesen. In Basel hatten Coronaleugner:innen und Rechtsextreme aus dem In- und Ausland seit Wochen für den Samstag mobilisiert, ebenso die autonomen Gegendemonstrant:innen. In Zürich plante die GSoA ihre Kundgebung «für einen gerechten Frieden» in Nahost, während Aktivist:innen in Gedenken an Roger «Nzoy» Wilhelm, einen in der Romandie von der Polizei erschossenen Schwarzen Zürcher, durch die Stadt ziehen wollten und eine propalästinensische Gruppe zum Protest aufrief. Auch in Bern waren Anlässe vorgesehen.

Doch dann schoben die Behörden dem Treiben einen Riegel vor, entzogen bereits erteilte Bewilligungen wieder, erliessen Demoverbote per Allgemeinverfügung – in Bern und Basel generell, in Zürich teilweise (die Nzoy-Demo durfte stattfinden), überall für mehrere Tage. Die Begründung in allen drei Städten: «die sich zuspitzende Sicherheitslage im Nahen Osten». Erlaubt blieben sportliche Spassveranstaltungen und andere Massenevents.

Die pauschalen Versammlungsverbote in Deutschschweizer Städten – in Lausanne etwa durften am Samstag Tausende für die Rechte der Palästinenser:innen demonstrieren – riefen umgehend Expertinnen und Menschenrechtler auf den Plan. Amnesty International sprach von «schweren und unverhältnismässigen Eingriffen in verfassungsmässige Grundrechte», die Demokratischen Jurist:in­nen (DJS) von einem «nicht zu rechtfertigenden Widerspruch zu demokratischen Prinzipien». Das Uno-Menschenrechtsbüro appellierte an die staatliche Pflicht, «sichere Räume für Kundgebungen, kritische Stimmen zum Konflikt oder Solidaritätskundgebungen mit Israelis oder Palästinensern zu schaffen» – und auch diverse renommierte Staatsrechtler:innen erachteten die Massnahme als «schwer nachvollziehbar».

Das Gesetz gibt den vielen Kritiker:innen recht: Das Bundesgericht pocht in seiner Rechtsprechung immer wieder auf die Versammlungsfreiheit – und das «besonders auch in politisch unruhigen Zeiten». Und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte rügte die Schweiz erst letztes Jahr für ihre restriktiven Einschränkungen der Versammlungsfreiheit während der Coronapandemie.

Seit den antisemitischen Massakern der islamistischen Hamas an mehr als 1400 Zivilist:innen und den Bomben der israelischen Armee auf den Gazastreifen eskaliert die Situation bisweilen auch in Westeuropa, der reale Nahostkonflikt dort wird auch hier von Hass überlagert. In Berlin wurden Molotowcocktails auf ein jüdisches Gemeindezentrum geworfen, Häuser, in denen Jüd:innen leben, mit Davidsternen markiert. Auch in der Schweiz haben antisemitische Vorfälle in den letzten Wochen markant zugenommen. Zugleich sehen sich Muslim:innen vermehrt rassistischen Ressentiments und pauschalen Vorverurteilungen ausgesetzt.

Eine potenziell gefährliche Dynamik, die durch das Verhindern von Demos allerdings kaum entspannt wird. Im Gegenteil: «Ein generelles Verbot verhindert die notwendige öffentliche Auseinandersetzung mit den drängenden Fragen unserer Zeit», schreiben die DJS. Jüdische Menschen in der Schweiz dürften sich dadurch kaum sicherer fühlen, zumal die Bedrohung durch die extreme Rechte, die noch immer für einen grossen Teil antisemitischer Übergriffe verantwortlich ist, so keinesfalls verschwindet. Viel mehr würde da etwa eine grosszügigere Beteiligung an den Kosten für den Schutz jüdischer Einrichtungen helfen, von denen der Staat noch immer den kleineren Teil abdeckt. Oder die konsequente Ahndung antisemitischer Übergriffe.

Angesichts der Pauschalverbote drängt sich der Verdacht auf, dass die Behörden vor allem jenen Protest ins Visier nehmen, der ihnen unliebsam erscheint. Schliesslich konnten während der Pandemie Coronaleugner:innen mit gewaltbereiten Rechtsextremen problemlos durch die Strassen ziehen und antisemitische Symbole in die Luft recken. Und auch die Coronademo in Basel mit als antisemitisch bekannten Köpfen schien bis vor kurzem kein Problem. Doch ob einem die Anliegen der Protestierenden passen oder nicht: Eine aufgeheizte Stimmung ist kein Anlass für die präventive Einschränkung elementarer Grundrechte.