Proteste in Guatemala: Die Maya zeigen ihre Macht
Seit Anfang Oktober legen die Indígenas das Land lahm. Sie kämpfen für die Möglichkeit, die korrupte Elite demokratisch abzuwählen.
Dass die Indígenas Guatemalas, wenn sie sich einig sind, das Land lahmlegen können, wusste man schon. Zuletzt haben sie es 2015 getan, als ihre Proteste den damaligen Präsidenten zu Fall brachten. Noch nie aber waren sie sich so einig wie derzeit, und noch nie haben sie das Land so lange und so effektiv blockiert wie in diesen Wochen. Die Proteste begannen am 2. Oktober und wuchsen schnell an – auf über 120 Blockaden an strategisch wichtigen Überlandstrassen und Kreuzungen. Seither steht Guatemala weitgehend still. Am vergangenen Freitag zogen Zehntausende von Maya in die Hauptstadt, um das Parlament, den Regierungspalast, den Obersten Gerichtshof und die Generalstaatsanwaltschaft abzuriegeln.
«Wir fordern nichts Kompliziertes wie eine Verfassungsänderung», sagt Luis Pacheco, einer der Sprecher der Bewegung. «Was wir verlangen, ist ganz einfach zu erfüllen.» Präsident Alejandro Giammattei solle seine Generalstaatsanwältin María Consuelo Porras entlassen, dazu auch den Richter Freddy Orellana und die Staatsanwält:innen Rafael Curruchiche und Cinthia Monterroso. Selbst Luis Almagro, Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten und nicht eben ein Freund von Strassenprotesten, klagte schon öffentlich, die Generalstaatsanwaltschaft Guatemalas agiere «voreingenommen und irrational». Sie versuche, «die Unabhängigkeit von Wahlen auszuhebeln» und gefährde «die demokratische Stabilität Guatemalas». Konkret versucht Porras, gemeinsam mit korrupten Richtern, das Ergebnis der Präsidentschaftswahl vom 20. August zu annullieren.
Manöver gegen den Wahlsieger
Diese Wahl hatte der Sozialdemokrat Bernardo Arévalo überraschend gewonnen. Bei Umfragen waren ihm stets nur zwischen zwei und drei Prozent der Stimmen prognostiziert worden. Nachdem die Wahlbehörde aber alle anderen Kandidat:innen, die nicht zur schmalen Elite des Landes gehören, mit fadenscheinigen Begründungen vom Urnengang ausgeschlossen hatte, erreichte Arévalo im ersten Wahlgang vom 25. Juni 15,5 Prozent. Er landete damit hinter der konservativen Sandra Torres (21,1 Prozent), einer Vertreterin der Elite, auf dem zweiten Platz und kam in die Stichwahl. Diese gewann er mit 60,9 Prozent der Stimmen. Seither versucht die alteingesessene Elite mit juristischen Mitteln, die Amtsübernahme Arévalos Mitte Januar kommenden Jahres zu verhindern.
Torres hat ihre Niederlage bis heute nicht eingestanden. Sie klagte gegen das Ergebnis, das gefälscht worden sei. Beweise dafür hat sie nie vorgelegt. Dann hetzte Generalstaatsanwältin Porras, eine enge persönliche Freundin des amtierenden rechten Präsidenten Giammattei, ihren Staatsanwalt Curruchiche auf den Movimiento Semilla, die Partei Arévalos. Bei deren Gründung 2016, so Curruchiche, seien gefälschte Unterschriften eingereicht worden. Auch dafür fehlen bislang öffentlich präsentierte Beweise. Aber die Staatsanwaltschaft fand in Orellana einen willigen Richter, der die Partei vorläufig suspendierte. Damit können ihre Abgeordneten ihr Amt im ebenfalls am 25. Juni neu gewählten Parlament nicht antreten. Und es ist umstritten, ob der Kandidat einer suspendierten Partei Präsident werden kann. Selbst wenn Arévalo am 14. Januar vereidigt werden sollte, hätte er dann keinerlei parlamentarische Rückendeckung. Auch wenn diese mit 23 von 160 Abgeordneten ohnehin nicht eben stark wäre.
«Historische» Allianz
Der Movimiento Semilla war nach den Protesten von 2015 gegründet worden. Damals hatte eine breite Allianz aus Student:innen, Intellektuellen und Indígenas den rechten Präsidenten Otto Pérez Molina und seine Vizepräsidentin Roxana Baldetti gestürzt. Eine internationale Jurist:innenkommission, die damals die Staatsanwaltschaft bei Korruptionsermittlungen unterstützte, hatte herausgefunden, dass die beiden ihre Patriotische Partei nur gegründet hatten, um den Staat nach Strich und Faden auszunehmen. Sie sitzen noch heute in Haft. Jimmy Morales aber, der Nachfolger von Pérez Molina, verwies die internationalen Jurist:innen des Landes. Seither bereichert sich die Elite in Guatemala wieder so schamlos wie zuvor.
Getragen wird der Movimiento Semilla vor allem von städtischen Intellektuellen; Vertreter:innen der gut zwanzig Mayavölker Guatemalas sind darin kaum zu finden. Diese stellen rund die Hälfte der guatemaltekischen Bevölkerung, neunzig Prozent von ihnen leben in Armut. Sie haben ihre eigenen Organisationen, die oft untereinander zerstritten sind. Die jetzt gefundene breite Allianz, zu der alle grossen Mayavölker gehören, nennt die Anthropologin Irma Alicia Velásquez Nimatuj «historisch». Die Professorin an der US-Universität Stanford ist selbst eine Maya und sagt: «Die Indígenas sind Arévalos wichtigster Partner.» Sollte er ins Amt kommen, «wird er mit ihnen arbeiten müssen».
Die Indígena-Bewegung selbst hält aber vorläufig Distanz. «Wir repräsentieren keine Partei, und wir verteidigen auch nicht Arévalo», sagt ihr Sprecher Pacheco. «Selbst wenn er uns sagen würde, wir sollten nach Hause gehen, würden wir bleiben.» Den Maya geht es nicht um einen Präsidenten, sondern darum, dass es möglich sein muss, die korrupte Elite mit demokratischen Wahlen von der Macht zu vertreiben.