Von oben herab: Ein Esel
Stefan Gärtner kauft lieber im Net nicht ein

Eines meiner liebsten Hobbys ist der virtuelle Konsum. Virtueller Konsum geht so, dass ich finde, ich könnte mir einen Plattenspieler oder eine Uhr kaufen. Ich habe schon einen Plattenspieler, ich habe auch eine Uhr, aber man muss auch mal was ändern im Leben, muss neuen Horizonten entgegen und das alte Spielzeug durch ein neues ersetzen. Also gehe ich mit der zunächst bloss vagen Idee, wie schön es wäre, eine neue Uhr oder einen anderen Plattenspieler zu besitzen, ins Internet. Man kann, wir wissen es, sehr leicht sehr viel Zeit im Internet vertun, denn sein Prinzip ist es, dass es uns vom Hölzchen aufs Stöckchen führt, und zwar in einem totalen Überangebot. Wer früher einen Plattenspieler haben wollte, ging in den Laden und kaufte einen. Wer heute überlegt, wie hübsch ein neuer Plattenspieler wäre, der nimmt sich sein Tablet und hat sofort Zugriff auf alle Plattenspieler, die jemals hergestellt wurden. Damit lassen sich Abende, ja ganze Monate schön herumbringen, und im Ergebnis ist es allermeistens so, dass ich irgendwann die Lust verliere. Nur selten kaufe ich was, ich bin auch viel zu geizig. Mir reicht der solipsistisch-digitale Nichteinkaufsbummel als solcher. Als analoges ist mir zielloses «Shopping» dagegen fremd, weil viel zu mühsam.
Auch in dieser Hinsicht ist meine Verschweizerung nicht aufzuhalten: «Schweizerinnen und Schweizer haben keine Zeit und Lust mehr zu shoppen», schreibt die «SonntagsZeitung». «Ihre Zeit verbringen die Menschen lieber mit Familie und Freunden. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie. Die Entwicklung dürfte anhalten und den Handel weiter unter Druck setzen.» So ist das mit den Trends: Eben noch stand «Fast Fashion» auf der Tagesordnung, also der Erwerb von Billigklamotten als Freizeitbeschäftigung, jetzt verbringen die Menschen ihre Zeit lieber mit Familie und Freunden und haben auf den samstäglichen Einkaufsbummel keine Lust mehr. «Jedoch ist Shopping nicht gleich Shopping. Der Einkauf von Lebensmitteln wird noch am ehesten mit Bedeutung und Freude verbunden. Deutlich weniger ist dies beim Einkauf im Baumarkt oder von Gartenprodukten der Fall. Weit abgeschlagen sind Beauty- und Luxusartikel: Ihr Kauf löst kaum Freude aus und wird nicht als bedeutsam wahrgenommen.» Den Sozialismus gibt es zumal darum nicht mehr, weil man in ihm nicht shoppen konnte, schon gar keine Beauty- und Luxusartikel, und plötzlich lesen wir, shoppen ist out, und Beauty- und Luxusartikel sind ebenfalls out. Warum dann aber noch Kapitalismus, der sich in seiner späten Form doch über die Produktion und den Konsum von Überflüssigem («Luxus») definiert? Wo die Leut’ lieber Zeit «mit Familie und Freunden, Essen, Musikhören oder Lesen» verbringen?
Es wird wohl wieder was mit dem Internet zu tun haben, denn auf dem Familiensofa liegen, Musikhören und im Internet Quatsch kaufen ist der laute Akkord der Zeit, andernfalls ich als Erdgeschossbewohner mit Tagesfreizeit nicht die informelle Postannahmestelle für Amazon- und Hello-Fresh-Pakete wäre. Und deshalb suche ich ja nach Plattenspielern und Uhren, um vor der totalen Digitalisierung ins Analoge zu flüchten, freilich mithilfe meiner digitalen Endgeräte, und das ist, mit Eckhard Henscheids Schweizer (!) Romanfigur Herrn Jackopp zu seufzen, zwar «der Bruch in der Logik», stimuliert aber meinen «Möglichkeitssinn» (Musil) als fortwährendes Leben im konsumistischen Konjunktiv: Ich könnte das alles haben, aber ich könnte auch was ganz anderes haben, und dann bin ich Buridans Esel, der sich nicht zwischen zwei Heusäcken entscheiden kann und darüber verhungert.
Aber ich habe ja einen Aldi um die Ecke und bestücke so bedeutsam und freudvoll meinen Einkaufswagen wie im Baumarkt auch, wo ich jede Sekunde das Gefühl habe, hier in jedem Fall falsch zu sein, und das ist aber eben der Spass.
Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.
Sein Buch «Terrorsprache» ist im WOZ-Shop erhältlich unter www.woz.ch/shop/buecher.