Von oben herab: Von der Leine

Nr. 17 –

Stefan Gärtner über solare Felder im Wallis

Komik, als ambivalente, interpretationsoffene Angelegenheit, kann auch ein Weg sein, sich zu drücken, und wenn der SPler Peter Bodenmann plant, die Walliser Alpen mit Solarzellen zu bestücken, weil da oben Platz ist und sehr oft die Sonne scheint, fällt mir gleich die Frage ein, ob die Band Kraftwerk nicht langsam mal «Solarkraftwerk» heissen müsste; und fielen mir noch mehr solche Fragen ein, ich müsste keine Meinung haben zu einem prototypisch modernen Vorhaben, zu dem sich zwei erwartbare Meinungen haben lassen.

Die erste Meinung ist die technikfreundliche: Wenn man es machen kann, warum nicht? Die Energiewende braucht Strom, Atomkraft ist keine Lösung, und bevor wir noch mehr Windräder in die Gegend pflanzen, soll man ruhig in die Berge gehen, wovon die Schweiz ja auch genügend hat. Das ist einfacher und sicherer, als sich auf Solarparks in irgendwelchen Wüsten zu verlassen, die wir im Zweifel nicht unter Kontrolle haben.

Die zweite Meinung ist die technikskeptische: Wenn man es machen kann, soll man es eben nicht machen, denn das Machbare ist nicht selten das Unglück. «Sauberer» Strom im Übermass bedeutet auch, dass die Leute erst recht keine Hemmungen mehr haben, ihre Haushalte mit stromfressendem Schnickschnack vollzustellen und trotz Südbalkon ständig den Wäschetrockner laufen zu lassen.

In Deutschland kämpfen Leute gegen die Windkraft, weil sie die «Verspargelung» der Landschaft ablehnen, und man wird nicht sagen können, dass das schlechthin ein Quatschgrund wäre. Wo vorher Landschaft war, ist jetzt Industrie, und dass Solarpanels auf Hausdächern ein ästhetischer Gewinn wären, wird man auch nicht unbedingt behaupten müssen. Dass morgen die grosse Einsicht über uns hereinbräche, wir bräuchten gar nicht alles, was wir zu brauchen glauben, ist allerdings auszuschliessen, und hinter vieles kommt selbst asketische Analogromantik nicht mehr zurück: Die Bahn muss fahren und der Kühlschrank laufen, und wenn wir morgen den Individualverkehr verbieten und alle an der E-Bus-Haltestelle stehen, dann kommt dessen Strom halt auch nicht aus der Steckdose.

Nun also der Plan, an den steilen Südhängen der Walliser Gemeinde Grengiols sogenannte «bifaziale Solarfelder» zu errichten, mithin solche, deren Panels beidseitig Strom produzieren. «Das Feld würde fünf Quadratkilometer umfassen, was 700 Fussballfeldern entspricht», fasst die NZZ zusammen. «Es wäre für Schweizer Verhältnisse gigantisch. In Bodenmanns Rechnung würde das Solarfeld zwei Terawattstunden Strom liefern pro Jahr, davon die Hälfte im Winter. Das entspricht der Energie, die das grösste Wasserkraftwerk der Schweiz im Jahr produziert.» Hat Bodenmann recht, so würde ein Prozent der Schweizer Alpenfläche genügen, um die künftige Schweizer Stromlücke zu schliessen. Toll, sagen die einen, Gigantismus, schimpft der Landschaftsschutz, und dass die Zeit der einfachen Wahrheiten vorbei sei, ist ja auch so eine Feuilletonweisheit.

Mein liebstes Haushaltsutensil bleibt derweil die Wäscheleine. Sie ist für mich der Inbegriff heiler Welt, und wenn ich Bettlaken und Unterwäsche in den Wind hänge, habe ich das wirklich seltene Gefühl, etwas vollkommen richtig zu machen. Freilich hängt die Wäscheleine in einem grossen Garten, der beileibe keine Selbstverständlichkeit ist, und ob ich Sachen mitunter nur deshalb, wie Mutti das nannte, «schnell durchwasche», weil sie auf der Wäscheleine so schön und bullerbühaft trocknen? Kein Zweifel, dass die Waschmaschine zu dem unhintergehbaren Teil Technik gehört, und doch hat jemand ausgerechnet, der moderne Mensch verbringe keine Minute weniger mit seiner Wäsche als der von früher, denn der habe seine Klamotten viel seltener gewechselt.

Tja, sage ich da. Eigentlich möchte ich ständig «tja» sagen. Am liebsten natürlich bei einer guten Tasse Kaffee. Vom E-Herd.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.

Sein Buch «Terrorsprache» ist im WOZ-Shop erhältlich unter www.woz.ch/shop/buecher.