Geothermie: Fegefeuer im Untergrund
Im Kanton Jura soll ein Kraftwerk mit Wärme aus dem Erdinnern Strom produzieren. Viele wehren sich dagegen; die Linke ist gespalten. Es geht um die Frage, ob Tiefengeothermie sicher ist – aber noch um viel mehr.
Der alte Mann wird laut. «Wir haben eine Kampftradition im Jura. Wir haben es ihnen gezeigt, als sie in den Freibergen einen Waffenplatz bauen wollten, wir zeigen es ihnen hier. Der jurassische Boden wird nicht mehr angerührt!»
Es ist Donnerstagabend in Courfaivre, einem lang gezogenen Dorf im Kanton Jura. Im grellen Licht der Turnhalle sitzen über 150 Menschen. Sie sind gekommen, um sich über den Stand eines Projekts zu informieren, das die Gemüter erhitzt: das geplante Geothermiekraftwerk in Haute-Sorne. So heisst die Gemeinde, zu der Courfaivre und weitere Dörfer im Talkessel westlich von Delémont gehören. Das Kraftwerk soll die Wärme aus dem Erdinnern in Strom umwandeln. Wenn alles funktioniert wie geplant, ist es 2029 am Netz. Es soll jährlich bis zu vierzig Gigawattstunden, Strom für etwa 6000 Haushalte, produzieren.
Ein vielversprechender Beitrag zur Energiewende, sagen die einen – Strom aus Geothermie ist auch Teil der Energiestrategie 2050 des Bundes. Ein Pakt mit dem Teufel, meinen die anderen. Ist Tiefengeothermie sinnvoll – und vor allem: Ist sie sicher? Um diese Fragen dreht sich die Kontroverse. Aber im jüngsten Kanton der Schweiz geht es noch um viel mehr, wie das Votum des Mannes in Courfaivre zeigt.
Der Waffenplatz in den Freibergen wurde nie gebaut. Und das Geothermiekraftwerk?
Es sei ähnlich wie bei Corona, sagt Pascal Mahon, emeritierter Professor für Staatsrecht an der Universität Neuchâtel. Der Riss gehe quer durch die Familien. «An Weihnachten gibt man sich Mühe, nicht darüber zu reden.» Mahon lebt schon lange in Lausanne, aber er stammt aus der Gemeinde, aus dem Dorf Glovelier, wo dereinst das Geothermiekraftwerk stehen soll. Er ist Präsident der Begleitkommission, die den Anlass in Courfaivre organisiert hat und in der Behörden, Wirtschafts- und Umweltverbände, aber auch Anwohner:innen sitzen. «Als ich mich für das Amt zur Verfügung stellte, sagte ein Freund: Du bist verrückt.»
Die Geschichte des Geothermiekraftwerks ist lang und kompliziert. Bereits wurde ein Rekurs vor Bundesgericht abgelehnt, eine kantonale Initiative für ungültig erklärt (vgl. «Was bisher geschah»). Als der Kanton letztes Jahr grünes Licht gab, verstärkten sich die Proteste. Es gab Demos, ein Widerstandscamp neben dem Areal, Aktivist:innen rissen einen Zaun nieder, um einen Baum zu pflanzen. Jemand beschädigte das Auto eines Geologen. David Eray, der kantonale Umwelt- und Energieminister, sagte, er sei mit dem Tod bedroht worden.
Was bisher geschah
Seit 2012 will die Firma Geo-Energie Suisse in der jurassischen Gemeinde Haute-Sorne ein Geothermiekraftwerk bauen. 2015 schloss sie eine Haftpflichtversicherung über hundert Millionen Franken ab und erhielt die Baubewilligung. Nachbar:innen legten Rekurs ein und zogen diesen nach der Ablehnung des kantonalen Verwaltungsgerichts weiter bis vor Bundesgericht. Von Umweltverbänden kamen keine Rekurse. Gegner:innen lancierten eine Initiative für ein generelles Verbot der tiefen Geothermie im Kanton, die 2017 eingereicht wurde. Im selben Jahr erhielt das Projekt eine Risikogarantie des Bundes. 2018 lehnte das Bundesgericht die Rekurse ab, ausserdem erklärte das kantonale Verwaltungsgericht die Initiative für ungültig.
Wegen des Erdbebens bei einer Geothermiebohrung 2017 in Korea (vgl. Haupttext) bestellte die jurassische Regierung einen Bericht beim Schweizerischen Erdbebendienst und zog in Erwägung, das Projekt abzubrechen. 2022 entschied sie sich doch dafür – mit zusätzlichen Sicherheitsauflagen. Der Bund unterstützt das Kraftwerksprojekt mit neunzig Millionen Franken.
Am lautesten mobilisiert ein Verein namens Citoyens Responsables Jura, kurz CRJ. Ihr Flugblatt warnt vor Erdbeben bis zur Stärke 6, «zahlreichen chemischen Produkten» auf der Baustelle und gefährlichen Tests – den grössten dieser Art, die es weltweit je gegeben habe. Als die Bauarbeiten Ende Oktober begannen, protestierten die CRJ vor der Gemeindeverwaltung und forderten, die Gemeinde solle einen Baustopp verfügen. Die Gemeinderät:innen würden «vier Jahre Fegefeuer» erleben, wenn sie nicht die richtige Entscheidung träfen – so zitierte der «Quotidien Jurassien» den CRJ-Präsidenten Jack Aubry. Die CRJ boykottieren die Begleitkommission.
Anfragen der WOZ über die Website des Vereins, ob ein Treffen möglich sei, bleiben lange unbeantwortet. Schliesslich kommt ein Mail, das vorgeschlagene Datum gehe nicht. Auf neue Vorschläge keine Reaktion.
Die Erdbebengefahr
Geothermie, die Wärme aus dem Erdinnern, lässt sich vielfältig nutzen: mit Wärmepumpen zum Heizen, als Thermalwasser, für die Stromproduktion. In Riehen bei Basel werden schon 9500 Menschen mit Fernwärme aus dem Erdinnern versorgt. Für die Heizung eines einzelnen Hauses genügt es, rund 100 Meter tief zu bohren; die Bohrungen von Riehen reichen bis in 1550 Meter Tiefe. Im Jura soll Strom erzeugt werden. Dafür muss viel tiefer gebohrt werden: 4000 bis 5000 Meter.
Ein solches Kraftwerk ist zum Beispiel im Elsass bereits in Betrieb. In der Schweiz gibt es noch keins. Der erste Versuch endete im Dezember 2006 in Basel mit einem lauten Knall und einem Erdbeben der (deutlich spürbaren) Magnitude 3,4. Es gab Schäden an Gebäuden. Kurz darauf folgten drei weitere ähnlich starke Beben. Das Projekt wurde abgebrochen.
Vor zehn Jahren in St. Gallen lief es auch nicht gut: Erdbeben, Ende des Projekts (siehe WOZ Nr. 32/13 und WOZ Nr. 33/13). Noch schlimmer kam es 2017 in Pohang, Südkorea. Dort löste eine Geothermiebohrung sogar ein Beben der Stärke 5,4 aus. Kann man es den Jurassier:innen da verübeln, dass sie misstrauisch sind?
In Haute-Sorne werde es anders, verspricht Peter Meier. Er ist seit 2011 Geschäftsführer der Geo-Energie Suisse AG, die das Projekt leitet. Gegründet wurde die Firma 2010, nicht von grossen Stromkonzernen, sondern von regionalen Energieversorgern, darunter die Stadtwerke von Basel, Bern und Zürich. Meier ist 58, ETH-Ingenieur, ein freundlicher Mann, dem anzumerken ist, dass ihn die Geothermie fasziniert. Und dass er nicht so schnell lockerlässt. Wenn er vom Widerstand gegen das Projekt spricht, klingt er oft lakonisch. Nicht, als lasse er sich davon beirren.
Die Gemeinde Haute-Sorne
Im Jura ist ein sogenanntes petrothermales Kraftwerk geplant wie damals in Basel: Im kristallinen Grundgestein, das tief unter dem Jurakalk liegt, erzeugt man künstliche Hohlräume und lässt Wasser hinein, das heiss wieder an die Oberfläche kommt. «Wir machen den Untergrund durchlässig, aber viel schonender als in Basel», sagt Meier. «Seit 2006 haben wir viel dazugelernt.» Man werde den Fels vorsichtig mit geringen Wassermengen stimulieren, viele kleine Reservoirs schaffen. «Wir haben das Verfahren im Versuchsstollen der ETH im Bedrettotal getestet – mit Erdbebenmonitoring –, und es hat funktioniert.» Entscheidend sei auch: St. Gallen und Pohang lägen in geologischen Störungszonen; im Jura versuche man, solche zu vermeiden. In Pohang sei man auf eine Störungszone gestossen und habe stur weitergemacht. «Das würden wir nie tun.» Es sei gut, bei einer solchen Entscheidung nicht unter ökonomischem Druck zu stehen: «Wir sind nicht auf schnelles Geld aus. Wir gehören Stadtwerken mit einer langfristigen Ausrichtung.»
Das Beben in Korea liess den Kanton Jura vorsichtig werden. Er verfügte einen vorläufigen Stopp des Projekts und verlangte einen Bericht des Schweizerischen Erdbebendiensts. Dieser empfahl ein vorsichtiges Vorgehen – und darauf haben sich der Kanton und Geo-Energie Suisse inzwischen geeinigt: Bewilligt sind nur die Bohrung des ersten Lochs und die anschliessende Teststimulation. Dann wird die Risikostudie aktualisiert. Das zweite Loch wird nur gebohrt, das Kraftwerk nur gebaut, wenn in der ersten Phase alles gut geht. Das heisst unter anderem: wenn keine Erdbeben mit einer Magnitude von über 2 ausgelöst werden. «Wenn wir merken, dass das Gestein seismisch sehr aktiv ist, dass wir eine grössere Störungszone aktivieren, hören wir sicherheitshalber schon bei kleinerer Magnitude auf», sagt Meier. In der Gemeinde werden Sensoren aufgestellt, Anwohner:innen können auf Kosten des Projekts bestehende Risse an ihren Gebäuden dokumentieren lassen.
«Wir rechnen mit einer Wahrscheinlichkeit von 25 Prozent, dass das Projekt abgebrochen wird», sagt Meier.
Ist das Fracking?
Der Wind bläst giftig auf der Baustelle in Glovelier, Wolken verhüllen die Jurahöhen. Ende Oktober haben die Bauarbeiten begonnen. Der Sicherheitsmann am Eingang des Zauns verlangt auch Peter Meiers ID. Noch ist nicht viel zu sehen, ein Bagger fährt herum. Ab dem Frühsommer 2024 soll hier der vierzig Meter hohe Bohrturm stehen und vier Monate lang Tag und Nacht im Einsatz sein. Die vom Kanton vorgeschriebenen Lärmschutzmassnahmen seien strenger, als das Gesetz für normale Baustellen vorgebe, und ziemlich teuer, sagt Meier.
In der nahen Industriezone imprägnierte früher eine Firma Eisenbahnschwellen mit giftigen Stoffen, die Altlasten stecken immer noch im Boden. Natürlich werde man darauf achten, das Grundwasser nicht zu verschmutzen, sagt Meier. «Und die verschiedenen Grundwasserschichten dürfen nicht verbunden werden. Solche Probleme gibt es eher bei Erdwärmesonden in geringerer Tiefe, weil dort die Sicherheitsstandards tiefer sind.» Was passiert, wenn bei der Bohrung schwach radioaktiver Schlamm an die Oberfläche kommt, was immer passieren kann? «Dann wird er korrekt entsorgt.»
«Stopp tiefe Geothermie – wir sind keine Versuchskaninchen!», steht an der Mauer neben dem Gelände. Auf der Wiese stehen Reste von Transparenten, eine Stoffpuppe namens «Frackinger» baumelt an einem Holzgerüst. «Jura sans Fracking» liest man überall in der Gemeinde auf Autoklebern, Transparenten und Hauswänden. Fracking ist die Methode der Ölindustrie, künstliche Risse im Gestein zu erzeugen, um an Erdöl und -gas zu kommen. Im Jura geht es nicht um Öl oder Gas – aber technisch um fast dasselbe Vorgehen. Die Bohrlochausrüstungen beruhten «auf der grossen Erfahrung und der eindrücklichen Lernkurve der Erdöl- und Erdgasindustrie»: So steht es auch auf der Website von Geo-Energie Suisse. Die Methode sei ähnlich, sagt auch Peter Meier. «Aber wir injizieren keine Chemikalien und keinen Sand, nur Wasser.» Im Sedimentgestein brauche man bei der Erdölförderung Zusatzstoffe, damit sich die erzeugten Klüfte nicht wieder verschlössen. Im kristallinen Sockelgestein von Haute-Sorne seien Zusatzstoffe nicht nötig.
Eine weitere Frage treibt viele um: Wie steht es um den Wasserverbrauch des Geothermiekraftwerks? In der Umweltverträglichkeitsprüfung von 2014 wurde der Wasserverbrauch auf total 400 000 Kubikmeter geschätzt. Heute geht Geo-Energie Suisse von weniger aus: 5000 Kubikmeter in der Testphase, 100 000 Kubikmeter, falls das Projekt zum Laufen kommt. «Am Ende steht ein geschlossener Wasserkreislauf», sagt Meier.
Das Flüsschen Tabeillon, das durch Glovelier fliesst, führt im Sommer oft nur noch wenig Wasser. An der Veranstaltung in Courfaivre sagt Jean Fernex vom jurassischen Umweltamt, der Tabeillon sei sehr verletzlich. Es werde in Zukunft wohl mehrere Monate im Jahr ein Entnahmeverbot geben. «Die Gemeinde Haute-Sorne ist nicht verpflichtet, Geo-Energie Suisse das Wasser zu liefern», stellt er klar. Aber woher soll das Wasser dann kommen? Man werde die Entnahme aus dem nahen Flüsschen Sorne prüfen, sagt Olivier Zingg von Geo-Energie Suisse. «Wenn es nicht reicht, bringen wir Wasser mit Tanklastwagen oder – vermutlich besser – mit Tankzügen.»
Die Leitungen in Haute-Sorne wurden in den letzten Jahren saniert. Davor gingen wegen Lecks jedes Jahr 350 000 Kubikmeter verloren.
Die grüne Befürworterin
Eine Woche vor dem Baustellenbesuch ist das Wetter noch strahlend schön. Am Bahnhof Delémont reiht sich ein Lokal ans andere. Die meisten Leute trinken ihren Espresso oder Weisswein draussen auf dem Platz. Pauline Godat geht lieber hinein in eine dieser Bars, in denen man auf Rennpferde wetten kann. Die Kopräsidentin der jurassischen Grünen spricht lebhaft und schnell.
«Wir haben an der Generalversammlung 2020 beschlossen, dass wir die Geothermie unterstützen – nach einer langen Diskussion», erzählt sie. «Wir wollen einen breiten Mix von erneuerbaren Energien – und die Geothermie ist ein Teil davon –, um die fossile Energie und die Atomkraft hinter uns zu lassen.» Aber vor allem müsse man den Energieverbrauch senken, Energie effizienter einsetzen und Verschwendung vermeiden. Die Angst vor Erdbeben verstehe sie, «aber das Vorgehen ist sehr vorsichtig». Sie weist darauf hin, dass im Jura natürliche Beben nicht selten sind. Im März wurde in der Ajoie sogar die Magnitude 4,3 gemessen. «Geothermie ist nicht die eine grosse Hoffnung, um das Klima zu retten. Aber sie kann einen Beitrag leisten. Sie ist es wert, genauer erforscht zu werden.»
Godat sagt, die Grünen hätten wegen ihrer Position zur Geothermie Stimmen und Mitglieder verloren. «Manche hatten bei den Coronamassnahmen das Gefühl, etwas werde ihnen von aussen aufgezwungen. Jetzt bei der Geothermie haben sie es auch.» Einigen Mitgliedern fehle der Wille, Differenzen zu akzeptieren: «Sie haben die Haltung: Wenn ich nicht hundert Prozent einverstanden bin, gehe ich.»
Welch heisses Eisen das Geothermiekraftwerk ist, zeigen die Antworten anderer Parteien auf eine schriftliche Anfrage. Nur die Grünliberalen befürworten das Projekt klar. Die SVP antwortet nicht. Die Mitte schreibt, man könne keine Position beziehen, ohne die Mitglieder zu fragen. Die FDP schreibt, einige fänden die Vorsichtsmassnahmen ausreichend, andere das Risiko hoch. Die SP schreibt, sie habe sich nie offiziell positioniert. Vier SP-Kantonsrät:innen unterstützten 2018 eine Motion für den Abbruch des Projekts. Sechs waren dagegen, zwei enthielten sich.
«Das Risiko nicht wert»
Haute-Sorne hat Supermärkte, zwei Autobahnanschlüsse, halbstündliche S-Bahn-Verbindungen. Aber auch ein Hinterland, in dem die Zeit stehen geblieben scheint. Gleich bei der Geothermiebaustelle zweigt eine Strasse nach Süden ab. Im nahen Dörfchen Berlincourt hängt fast an jedem Haus ein Protestschild. Dann führt die Strasse in den Wald, durch eine Juraklus mit weissen Felswänden. Dahinter liegt Undervelier. Angejahrte Häuser, verwilderte Gärten, kaum Neubauten. Eine gute Gegend, um Krimis zu drehen, das weiss auch SRF. An der Dorfbeiz hängt ein «Sans Fracking»-Schild neben einem Transparent vom feministischen Streik. Das ehemalige Hotel Aux Galeries du Pichoux beherbergt ein Wohnkollektiv und einen Bioladen. Es gibt frisches Gemüse und Früchte, Schmuck aus Leder, handgebundene Besen und Postkarten von lokalen Künstler:innen. Und ein Regal mit Flugblättern: selbstorganisierte Gemüsebauausbildung, ein BnB im Nachbardorf, einmal im Monat kollektives Festmahl in der Dorfbeiz, Stopp Fracking.
Der Laden sei der Treffpunkt des Dorfes, sagt Cora Dubach. Sie ist Juristin, stammt aus Winterthur. Heute lebt sie auf dem Hof Le Montois, der zur Kooperative Longo Maï gehört. Der Hof liegt ausserhalb des Dorfes am Hang, verborgen hinter Obstbäumen. Wasser aus dem nahen Bach treibt ein kleines Kraftwerk an.
Beim Zmittag sitzen drei Generationen, die meisten nicht verwandt. Ein Bewohner muss los nach St. Gallen, zur Verleihung des Paul-Grüninger-Preises. Seit der Gründung vor fünfzig Jahren setzt sich Longo Maï für Solidarität mit Geflüchteten und für alternative Wirtschaftsweisen ein. Alle hier seien gegen das Geothermiekraftwerk, sagt Dubach. Sie hat weitere Gegner:innen aus dem Dorf eingeladen – und Léa Petitjean, eine Aktivistin der CRJ. So kommt es doch noch zu einem Treffen.
Petitjean redet noch schneller als Pauline Godat. Sie ist Biobäuerin in Berlincourt und überzeugt: «Unser Dorf wird geopfert.» Dass das Geothermieprojekt bei der Erdbebenstärke 2 abgebrochen werden soll, beruhigt sie nicht: «Vielleicht löst das Fracking später noch viel stärkere Beben aus.» Niemand wisse, wie es im Untergrund aussehe. Petitjean glaubt auch nicht, dass nur Wasser für die Stimulation des Gesteins zum Einsatz komme. «Da sind wahrscheinlich doch chemische Zusätze drin.» Sie sei nicht gegen jede Geothermie: «Das Problem ist nicht das Bohrloch, sondern das Fracking. Und für so wenig Strom? Das Risiko ist es nicht wert.»
Misstrauisch macht sie auch die Kommunikation der Behörden: «Dauernd heisst es: ‹Ihr müsst keine Angst haben, nur die Testphase ist bewilligt.› Als wäre es danach vorbei. Das ist doch Salamitaktik!» Und besonders misstrauisch macht sie die Existenz der eigens für das Projekt gegründeten Firma Geo-Energie Jura. «Das ist eine Briefkastenfirma in Bassecourt, die haben nicht einmal ein Büro.» Die Firma werde hier Schaden anrichten, sich dann für zahlungsunfähig erklären und aus dem Staub machen.
Geo-Energie Jura gibt es allerdings nur, weil der Kanton und die Gemeinde die Gründung einer ansässigen Firma forderten – in die auch die lokale Bevölkerung investieren könne.
Die Bäuerin prangert den enormen Wasserbedarf des Geothermiekraftwerks an. Auf den Einwand, ihre Zahlen seien nicht mehr aktuell, verweist sie auf den kantonalen Sondernutzungsplan und die Umweltverträglichkeitsprüfung. Beide stammen von 2014. «Diese Dokumente sind immer noch Grundlage des Projekts. Wenn die Angaben darin nicht mehr stimmen, braucht es neue Dokumente!» Warum gingen die CRJ nicht vor Bundesgericht, als die Initiative für ein kantonales Tiefengeothermieverbot für ungültig erklärt wurde? «Wir hatten nicht genug Geld.» Petitjean bezweifelt auch, dass Regierungsrat David Eray bedroht wurde. «Vor der Veranstaltung ging er allein, ohne Personenschutz, durch die Menge. Und nachher, als kritische Fragen gestellt wurden, hatte er plötzlich Angst?» Was sagt sie zum teils rabiaten Auftreten von CRJ-Mitgliedern, zu Jack Aubrys erwähntem «Fegefeuer»-Satz? «Ich stand neben ihm. Er hat das nicht gesagt.»
Alle Formen von Energieproduktion haben Nachteile, auch die erneuerbaren. Worauf würde Léa Petitjean setzen? Auf «sobriété», sagt sie: Genügsamkeit, Sparsamkeit. Der Energieverbrauch müsse radikal gesenkt, der Rest dezentral produziert werden. «Weg von den Lobbys, weg vom Staat, lokale Initiativen bevorzugen.»
«Wir sind nicht gegen dieses Projekt, weil es hier im Jura ist», sagt ein Mann aus dem Dorf. Es gehe um viel Grundsätzlicheres: «Keine Energieform hat je eine andere ersetzt. Es kamen einfach immer mehr dazu. Der Energieverbrauch steigt und steigt.» Am Tisch entsteht eine angeregte Diskussion über die Konsumgesellschaft und Alternativen. Am besten möglichst Lowtech, ist man sich einig: Solarwärme, kleine Windräder. «Wer entscheidet, wie gross Projekte geplant werden, und wer verdient daran?», fragt Dubach. «Ich bin für eine basisdemokratische Energieversorgung ohne Profit.»
Spät dran
«Wir sind zu spät», bedauert Pascal Mahon, der Präsident der Begleitkommission. «Diese Kommission hätte viel früher anfangen sollen. Jetzt sind die Meinungen verfestigt – man ist 200 Prozent dafür oder 200 Prozent dagegen.» Er bedauert, dass die Bevölkerung nicht über das Projekt abstimmen konnte. «Das Resultat hätte mich interessiert.»
Peter Meier ist zuversichtlich: «Wenn wir erfolgreich sind, werden wir weitere Projekte realisieren können.» Und wenn nicht? «Dann ist Geothermie für die Stromproduktion in der Schweiz wohl für einige Zeit vom Tisch.»