Literatur: Alte Muster, neue Wolle
Wie sich sprachlich herantasten an eine Erfahrung, für die in der literarischen Tradition erst seit wenigen Jahren Worte gefunden werden? Anna Ospelt schreibt in ihrem zweiten Werk, «Frühe Pflanzung», über das Mutterwerden, indem sie eine «poetische Bepflanzung der Schwangerschaft» vornimmt: Sie setzt kurze, schlichte Notate auf die weisse Seite und lässt diesen Raum, um mit der Leserin zu wachsen.
«Ich habe Blumenzwiebeln gesetzt. Blumen, die blühen, wenn das Baby geboren wird. Man weiss nicht genau, wann.» Weder über die Pflanzen, die sie pflegt, noch über das Kind, das in ihr heranwächst, hat die Erzählerin Kontrolle. Dichte, prägnante Sätze bilden eine Einheit und fügen sich zur losen Prosa aneinander. Poetische Fotografien von Eicheln, von Äpfeln, von Stickereien ergänzen den Text. Die zarte Ästhetik übergeht jedoch nicht die Schwere der Erfahrung, einen Menschen zur Welt zu bringen. Das Gedeihen ist stets mit Fragilität und Endlichkeit verbunden: «Eine Schneedecke legt sich über die Blütenspriesse.» Die Erzählerin wird nach der Geburt von Schüttelfrost heimgesucht. Es fühle sich an, als hätte sie eine Schutzschicht abgelegt oder gar abgegeben. Auch fünf Monate nach der Geburt fühlt sie sich in durchlässigem Zustand.
Das Staunen wird abgelöst von scharfen Kommentaren zu den gesellschaftspolitischen Umständen, die zur Erschöpfung der Eltern, besonders der Mütter, führen. Als Autorin muss sie sich die Zeit zum Schreiben erkämpfen: «Mein Ringen um Schreibzeit. Mein schlechtes Gewissen beim Zeiteinfordern.»
Autorinnen versuchen vermehrt, für das Mutterwerden eine Sprache zu finden. Indes ist das Mutterwerden eine Angelegenheit, die von Generation zu Generation weitergegeben wird – eine sprachlose Weitergabe, die zugleich mit mächtigen Erwartungen verbunden ist. Ospelt schreibt dazu: «Ich stricke mit der Wolle meiner Grossmutter eine Decke. Ich stricke alte Muster. Das in alte Muster gewickelte Kind? – Ich kaufe meine eigene Wolle ein.»