Lyrik: Hunger nach Welt

Nr. 5 –

Buchcover von «Wenn ich nach Hause komme. Gedichte und Prosa aus dem Gefängnis»
Ernst S. Steffen: «Wenn ich nach Hause komme. Gedichte und Prosa aus dem Gefängnis». Mit einer Einleitung und einem Nachwort von Anton Knittel. Kröner Edition Klöpfer. Stuttgart 2023. 120 Seiten. 30 Franken.

Am Anfang standen eine überforderte Mutter und ein vom Krieg traumatisierter Vater, der dem jungen Ernst Siegfried Steffen mit einem Besenstiel die Nase zertrümmerte und ihn in Ohnmacht prügelte. Vom Krankenhaus kam er direkt ins Heim, fing Ausbildungen an, brach sie ab. Die Strafrichter attestierten ihm eine hohe Intelligenz, aber einen «liederlichen Charakter».

Hinter Gittern stand der Rastlose schliesslich unter einem veritablen Schreibstrom. Der neu herausgegebene Gedichtband «Wenn ich nach Hause komme» liest sich wie die Soziografie eines Schriftstellers aus prekären Verhältnissen. Sein «Dazugehörigkeitsverlangen» spricht aus jeder Zeile, so der Herausgeber Anton Knittel, aber auch Desillusion. Denn ein Heimkommen wird es nicht geben, sein Leben ist nur provisorisch, steht in einem Gedicht. Der Anzug, den er trägt – sein eigenes Ich –, ist zu gross und fremd. Und wer einmal als Verbrecher stigmatisiert ist, dem wird misstraut.

In seinen Gedichten kompensiert Steffen seine verunstaltete Nase und seine berüchtigte Vergangenheit mit weissen Hemden, schwarzen Krawatten und, wenn er es sich leisten kann, mit einem roten BMW-Coupé. «Denn die Welt um uns / ist normal. / Das macht Hunger.» Er fährt, so weit das Benzin reicht, tankt, prellt die Zeche, raubt und landet wieder hinter Gittern.

In manchen Gedichten blitzt ein frecher Ton auf, in «Notlüge» klingt das so: «Abends ist die Zelle voll Sonne. / Wenn ich nach Hause komme, / Wird man mich fragen, wo ich gewesen sei, / Und ich werde sagen können: / Abends in der Sonne.» So geht ein Leben zwischen höllischen Abgründen und unstillbarer Lebensgier: An diesen Widersprüchen misst er seine Existenz. Die ewige Sehnsucht sollte man in Zement verschalen, heisst es einmal. Daraus liessen sich Träume meisseln. Oder ein Grabstein.

In der Freiheit aber ist kein Schreiben möglich, nach der Entlassung aus dem «Zuchthaus» in Bruchsal verstummt Steffen trotz zahlreicher Förderer. An seinen Vetter Siegfried Unseld schrieb er 1970, also zwei Jahre vor seinem Tod: «Ich will frei sein – das darf mich das Leben kosten.»