Von oben herab: Sauber bleiben

Nr. 17 –

Stefan Gärtner über Papier und Schrott

Natürlich wohnt in mir auch ein Spiesser, und als hätte ichs geahnt, war ich eben mit dem Wagen in der Waschstrasse, weil ich eh unterwegs war und es zwar souverän ist, sein Auto vergammeln zu lassen, aber gleichzeitig anzeigt, dass man sich das leisten kann. Ausserdem werden im Fahrzeug noch sehr minderjährige Kinder transportiert, und bevor ich das letzte Auto kaputt gefahren habe, hatten sich Ameisen eingenistet und auf den Essensresten eine sehr solide Existenz aufgebaut. Doch wie schrieb Otto von Bismarck 1859 an seine Frau: «Was sind unsere Staaten und ihre Macht und Ehre vor Gott anders als Ameisenhaufen und Bienenstöcke, die der Huf eines Ochsen zertritt, oder das Geschick in Gestalt eines Honigbauern ereilt.» Oder eben ein ungeschickt postiertes Verkehrsschild!

Abgesehen von diesen praktischen Erwägungen will ich aber gern zugeben, dass ich zu den Leuten gehöre, denen Sauberkeit mehr einleuchtet als Unordnung, was Folge mangelnden Weltvertrauens ist. Ein so schwacher, zumal bürgerlicher Charakter wie ich ist auf Berechenbarkeit angewiesen, mithin darauf, dass alles an seinem Platz ist, und darum bin ich auch der geborene Kolumnist, denn die Kolumne kommt so verlässlich wie der Imker im Mai oder das Rindvieh in der «Weltwoche». Und kaum habe ich den blitzblanken, per «Gratis-Powersauger» von Salzstangenresten und Bonbonpapier befreiten Kombi abgestellt, erreicht mich diese Nachricht: «Immer mehr Schweizer entsorgen in Deutschland ihren Müll. Schweizer Verpackungsmüll darf dort jedoch nicht entsorgt werden» («20 Minuten») und Hausmüll nicht im öffentlichen Abfalleimer, was aber Schweizer wohl auch nicht öfter tun als Deutsche. Die Brisanz des Artikels besteht also darin, dass die Schweizerin nicht auf den Schweizer Wertstoffhof, sondern auf den deutschen fährt. «Die Entsorgung von Sperrmüll und Hausmüll auf den Recyclinghöfen ist für Schweizer ohne Wohnsitz im (deutschen) Landkreis Waldshut nicht erlaubt. Wenn Schweizer Bürger jedoch tatsächlich Wertstoffe wie Papier oder Schrott auf den Recyclinghöfen des Kreises anliefern, tragen sie zur Finanzierung des Müllgebührensystems bei, ohne zusätzliche Kosten zu verursachen» (ebd.). Da ist es dann direkt Landesverrat, einen Stapel «20 Minuten» als Kombination aus Papier und Schrott nach Deutschland zu karren und lieber das deutsche als das Schweizer Müllgebührensystem zu unterstützen.

Verpackungsmüll wird aber in Deutschland nur entsorgt, wenn der deutsche «Gelbe Punkt» darauf ist. Teilnehmende Firmen entrichten eine Lizenzgebühr, damit ihre Verpackungen gesammelt und der Entsorgung in fernen Drittweltländern zugeführt werden, wobei «Entsorgung» heisst, dass der Müll keine Sorgen mehr macht, jedenfalls nicht zu Hause. Wer einen Grund für die Schweizer Usance sucht, dass Leute eine Staatsgrenze passieren, um Abfall loszuwerden, mag ihn in dem Gefühl entdecken, dass Müll erst dann richtig verschwindet, wenn er im Ausland ist, wie Müll der hochdruckgereinigten Schweiz anscheinend sogar dann suspekt bleibt, wenn er sich noch verwenden lässt. «Müll. Eine schmutzige Geschichte der Menschheit» hat der Münchner Historiker Roman Köster sein einschlägiges Buch genannt, und ist es jetzt ein Zufall, dass «Schweiz» im Sachregister gar nicht vorkommt? Auch international ist die Eidgenossenschaft ja ein sauberer Akteur, der allenfalls den einen oder anderen trüben Geldstrom in vertrauens- oder immerhin kreditwürdige Hände leitet, die sich ihrerseits die Finger nicht schmutzig machen.

«Geldwäscheland Schweiz» lautete denn auch eine FAZ-Schlagzeile im Februar, weil die Zahl der Verdachtsfälle «rasant» gestiegen sei, und zwar bin ich der Letzte, der die Neigung kriminalisieren darf, schmutziges Geld zu säubern, bevor man es parkt. Dass der Lack dann irgendwann ab ist, ist aber genauso wahr.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.

Sein Buch «Terrorsprache» ist im WOZ-Shop erhältlich unter www.woz.ch/shop.