Neapels Abfallmisere: Es ist, wie es riecht

Nr. 3 –

Missmanagement und Mafia liessen die Probleme immer grösser werden. Jetzt sahnen internationale Spediteure ab - und bald auch Schweizer Verbrennungsanlagen?

Schon im Februar könnte es so weit sein: Statt auf Neapels Strassen zu vergammeln, könnten Tausende Tonnen Müll in Schweizer Kehrichtverbrennungsanlagen enden. Denn während Italien nicht weiss wohin mit dem Dreck, der sich meterhoch in den Strassen und auf den Plätzen Kampaniens türmt, wäre ebenjener Abfall in der Schweiz ein glänzendes Geschäft. Pierre Ammann, Präsident des Verbandes der Betriebsleiter und Betreiber Schweizerischer Abfallbehandlungsanlagen, bestätigt gegenüber der WOZ, dass vierzehn Anlagen gern den Müll aus Neapel verbrennen würden. Grosse internationale Entsorgungsunternehmen seien derzeit dabei, mit den zuständigen Behörden in Italien zu verhandeln.

Warum auch nicht? Deutsche Entsorger verdienen schon seit sieben Jahren gutes Geld mit der Dauermisere von Neapel. Im April 2001 hatte sich der - auch heute noch amtierende - Gouverneur der Region Kampanien, Antonio Bassolino, mit einem Nothilfeersuchen an die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen gewandt. Seitdem ist die deutsche Remondis AG im Geschäft. Ihr Sprecher Michael Schneider will nur bestätigen, dass die Firma täglich «weit unter 1000 Tonnen» in Bremerhaven an der Nordseeküste verbrennt. Tatsächlich fasst eine Zugladung Müll, die von Neapel aus auf die rund 1600 Kilometer lange Reise geschickt wird, etwa 500 bis 550 Tonnen. Über Preise redet Schneider nicht, und auch die italienischen Staatsbahnen verschweigen sie; ein Manager sagt unter dem Schutz der Anonymität, dass pro Tonne Müll, inklusive Transport, Kosten von rund 300 Franken anfallen.

«Tal quale» - es ist, wie es ist, sagen italienische EntsorgungsexpertInnen über das Einerlei, das ohne grosse Mülltrennung in die Tonne wandert - ein stinkendes Gemisch aus Spaghettiresten und faulem Gemüse, alten Turnschuhen und aufgeweichter Pappe, Flaschen, Plastikverpackungen und Batterien. «Kein Problem», meint Schneider, «unsere hochmoderne Anlage bewältigt das problemlos.» Pierre Ammann ist skeptischer. Er glaubt, dass eine Vorkontrolle des neapolitanischen Mülls nötig sei.

Wenn es nach Italiens Ministerpräsidenten Romano Prodi ginge, wäre mit diesen Transporten nach Deutschland bald Schluss und käme auch das Geschäft mit der Schweiz nie zustande. Denn Prodi hat den «Zügen der Schande» den Krieg erklärt; er will, dass Italien eine «autonome» Lösung hinbekommt, ohne auf demütigende Nothilfe aus dem Ausland angewiesen zu sein. Um dieses Ziel aber wirklich zu erreichen, muss Prodi sich an drei Fronten durchsetzen: gegen das Missmanagement, gegen die Müllmafia, gegen das Misstrauen der BürgerInnen.

Seit vierzehn Jahren hat Kampanien zwar einen von der nationalen Regierung ernannten Müllsonderkommissar, um den «Notstand» zu beheben, doch nie sind in der Region moderne Entsorgungsstrukturen aufgebaut worden. Mülltrennung? Fehlanzeige. Die Werte liegen bei trostlosen zehn Prozent, in der Stadt Neapel gar nur bei sieben Prozent. Entsorgungsanlagen? Ebenso Fehlanzeige; in der ganzen Region gibt es nur eine Kompostier- und keine einzige Verbrennungsanlage. Stattdessen erfanden die Müllkommissare ein ganz eigenes Verfahren: Sie liessen Millionen Tonnen Müll in sogenannte «Ökoballen» schnüren. «Öko» ist dabei nur der Name: Dem Kehricht wird die Flüssigkeit entzogen, und auch die nicht einmal komplett - das wars. Mittlerweile haben sich Millionen dieser Ballen angesammelt; sie belegen die stolze Fläche von 250 Hektaren.

Doch keiner der Kommissare, keine der Regions- und Stadtregierungen glänzte mit Initiativen zu einer wirklichen Behebung des Problems. Für Prodi besonders bitter: Seit 1994 wird die Stadt Neapel und seit 2000 die Region Kampanien von PolitikerInnen seines Mitte-links-Lagers regiert. Doch vorneweg Antonio Bassolino, erst Bürgermeister Neapels, seit 2000 Gouverneur der Region, versagte kläglich bei der Lösung des Problems. Nur eines gelang der Politik: die wahlstimmenträchtige Schaffung von Arbeitsplätzen in der Müllentsorgung: Ein Heer von 20 000 Beschäftigten kümmert sich darum, Kampanien sauber zu halten - und doch versinkt die Region im Dreck.

Aktiv sind dagegen andere - die Mafiosi von der Camorra. Sie beteiligen sich an den mit der Entsorgung betrauten Müllkonsortien, sie stellen die Lastwagen, wenn wieder einmal Neapel sauber gemacht werden muss, sie kaufen billig Ackerland auf - und reichen es dann teuer an den Staat weiter, damit der dort «Ökoballen» zwischenlagern kann. Das Mitmischen der Camorra hat dazu geführt, dass die BürgerInnen alles, was mit Müll zu tun hat, mit höchstem Misstrauen verfolgen. Der Grund dafür ist ein zweites, kriminelles Müllbusiness: Während Kampanien seit Jahren einen Teil seines Hausmülls exportieren muss, ist es selbst Grossimporteur einer anderen Sorte Abfall: hochgiftigen Industriemülls. Egal ob Schwermetalle, Blei, Quecksilber, Dioxin oder Asbest: Die Camorra beseitigt einfach alles; vor allem norditalienische Firmen freuen sich über die konkurrenzlos niedrigen Preise der «Entsorger» aus Kampanien. Die vergraben den Dreck einfach - und haben mit geschätzten mehr als 2000 illegalen Deponien zum Beispiel die Gegend nördlich von Neapel flächendeckend verseucht.

Die Folgen für die ansässige Bevölkerung sind dramatisch: Die Leber- und Lungenkrebsraten liegen weit über dem Landesdurchschnitt.

Schweizer Müllimport

Der Import von Haushaltsmüll in die Schweiz ist in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen: Waren es bis 2004 jedes Jahr weit unter 100 000 Tonnen, so kletterte die Zahl 2005 auf rund 250 000 Tonnen und 2006 gar auf über 400 000 Tonnen.

Der meiste importierte Abfall stammt aus Deutschland. Dort muss Haushaltsmüll seit drei Jahren zwingend verbrannt werden, so will es das Gesetz. Dafür fehlen jedoch die nötigen Kapazitäten im eigenen Land. So wird etwa per Lastwagen der Haushaltsmüll der badischen Grenzstadt Waldshut über den Rhein in die Stadt Zürich gekarrt. Diese bezog vorletztes Jahr 67 000 Tonnen aus Deutschland - das ist ein Fünftel des gesamten in der Stadt verbrannten Abfalls. Zürich plant, ab 2011 sein Werk Josefstrasse vollständig mit importiertem Müll zu betreiben.

Nicht immer stammt der deutsche Importmüll aus grenznahen Gemeinden wie Waldshut: Die Verbrennungsanlage Satom im Walliser Martigny bezieht pro Jahr 30 000 Tonnen Haushaltsabfall aus dem über 400 Kilometer entfernten Frankfurt. Dieser wird Woche für Woche per Bahn in achtzig Containern hergeschafft. Die Walliser erhalten pro Tonne Müll 155 Franken.

Daniel Stern