Leser:innenbriefe

Mir geht es besser
«Leser:innenbriefe: Mit Texten brillieren», WOZ Nr. 16/24
Einen Gruss an Herrn Schäffler, der sich über den Genderdoppelpunkt nervt und bezweifelt, dass es damit «auch nur einer Frau besser geht»: Mir geht es sehr viel besser, wenn ich nicht in der «mitgemeinten» Unsichtbarkeit verschwinde. Voilà. Darum danke und weiter so an die Redaktion!
Helena Müller, per E-Mail
Fragwürdige Gründe
«Psychoanalytisches Seminar Zürich: Eine linke Anti-Institution wankt», WOZ Nr. 17/24
Dem Psychoanalytischen Seminar Zürich (PSZ) soll die Akkreditierung für die Weiterbildung in Psychoanalytischer Psychotherapie entzogen werden. Das macht wütend und ist offensichtlich das Resultat eines fragwürdigen Überprüfungsverfahrens.
Es geht nicht an, dass überprüfende Expert:innen (wie in diesem Fall) gleichzeitig Leiter von akkreditierten Weiterbildungsgängen für Psychotherapie in der Schweiz sind und damit in Konkurrenz zum Weiterbildungsinstitut stehen! Dass dem PSZ nach der erfolgten Akkreditierung von der aktuellen Expert:innengruppe die Wiederakkreditierung aberkannt werden soll, darf nicht akzeptiert werden. Wenn es dem BAG um die Verbesserung des Weiterbildungsganges geht, sollten erfüllbare Auflagen an die erneute Akkreditierung geknüpft werden, bevor die schärfste Sanktion ausgesprochen wird. Die entsprechende Verordnung des BAG sieht das auch so vor. Sollte der Entzug der Akkreditierung vom BAG tatsächlich verfügt werden, muss das PSZ gegen den Entscheid beim Bundesverwaltungsgericht Rekurs einlegen! Das PSZ muss sich zur Wehr setzen, so wie es das schon immer getan hat – mutig, theoriebezogen, gesellschafts- und institutionskritisch – und sich nicht ins Schneckenhaus zurückziehen. Sonst droht das Seminar zu einem Debattierklub von Gleichgesinnten zu werden! Dass die Seminarleitung sich dazu nicht äussert, zeugt von fehlendem Mut und Perspektivlosigkeit.
Angesichts des Mangels an Therapieplätzen ist es mehr als bedenklich, wenn eines der grössten Weiterbildungsinstitute aus fragwürdigen Gründen seine Akkreditierung verliert! In der Gesundheitsversorgung braucht es angesichts der zunehmenden Monopolstellung der verhaltenstherapeutisch orientierten, universitären Weiterbildungsgänge die starke psychoanalytische Stimme des PSZ!
Thomas Merki, eidg. anerkannter Psychotherapeut, Psychoanalytiker und Supervisor PSZ, Winterthur
Plädoyer für Klassenlektüre
Zur Serie «Schullektüre und Kanon», WOZ Nr. 7/24, WOZ Nr. 10/24 und WOZ Nr. 13/24
In vielen Sekundarschulen unterhalb der Gymnasiumsstufe gilt Klassenlektüre als nicht mehr zeitgemäss. Gefragt ist vielmehr alles, was nach Individualisierung aussieht. Dabei werden jedoch die spezifischen Qualitäten von Klassenlektüre übersehen.
Der einzige Ort, an dem die meisten Jugendlichen mit einer Sprache konfrontiert werden, die deutlich komplexer ist als ihre Alltagssprache, ist der Unterricht mit Lektüre. Inhaltlich geschickt gewählte, sprachlich verständliche Klassenlektüre holt die Jugendlichen da ab, wo sie stehen, macht das Lesen zum Erlebnis und erweitert das Bewusstsein. Sie fördert den Austausch über Inhalt und Sprache, Entwicklungen und Zusammenhänge, Nuancen und Details, wirft Fragen auf, löst Diskussionen aus. Lesen ist Schulung des Denkens. Und: Wer Feinheiten versteht, schreibt besser, präziser, differenzierter.
Wird im Anschluss an die Lektüre etwas geschrieben, können alle Schüler:innen inhaltlich aus dem Vollen schöpfen. Und so wird jede:r stolz auf seinen Text sein können: individualisiert und nachhaltig.
Natürlich wollen Jugendliche sich über Mode, Sport, Tiktok und die neusten Games austauschen – aber nicht nur. Haben sie die Möglichkeit, diese Ebene zu verlassen, sind sie dafür dankbar. Denn sie haben tiefere Fragen, spüren, dass in ihnen etwas schlummert, das noch geweckt werden will. Sie können Neues entdecken, Interesse entwickeln, das hundertmal mehr wert ist als abrufbares Wissen.
Jean-Marc Weber, Näfels