Psychoanalytisches Seminar Zürich: Eine linke Anti-Institution wankt
Hunderte Psychoanalytiker:innen wurden am basisdemokratisch organisierten Seminar schon ausgebildet. Jetzt droht es seine Anerkennung durch den Bund zu verlieren.
Das Psychoanalytische Seminar Zürich (PSZ), eine fachlich, aber auch politisch bedeutende Einrichtung, ist akut bedroht. Im nächsten Monat läuft seine Zulassung aus, Psychologinnen und Ärzte zu anerkannten psychoanalytischen Psychotherapeut:innen auszubilden. Sieben Jahre ist eine solche Akkreditierung jeweils gültig. Die zuständige Gruppe von Gutachter:innen empfiehlt dem Bundesamt für Gesundheit (BAG), sie dem PSZ nicht mehr zu gewähren. Das bestätigen mehrere Quellen unabhängig voneinander gegenüber der WOZ. Davon, dass sich an diesem Entscheid noch etwas ändern wird, geht keine von ihnen aus.
Schon heute nimmt das Seminar gemäss seiner Website keine neuen Anmeldungen für die Weiterbildung mehr an. Steht es vor dem Aus? Die Seminarleitung äussert sich nicht zur aktuellen Situation mit Verweis darauf, dass der Akkreditierungsprozess noch nicht definitiv abgeschlossen sei. Die Kriterien dafür, ob ein Weiterbildungsgang die Absolvent:innen dazu berechtigt, den Titel «Psychotherapeut/in» zu führen, bestimmt eine entsprechende Verordnung: so etwa, wie viele Therapiestunden Auszubildende absolvieren müssen; dass sie eine Abschlussprüfung absolvieren müssen; oder auch, dass das Wissen, das vermittelt wird, «wissenschaftlich fundiert» sein muss.
Der Zürcher Psychoanalytiker Rainer Glauser, der auch am PSZ tätig ist, sähe in einer Nichtakkreditierung die logische Konsequenz einer allgemeinen Entwicklung: «Der Stellenwert der Psychoanalyse ist seit Jahren ganz allgemein blamabel.» Das zeige sich auch an Universitäten, wie etwa in Zürich, wo die Psychoanalyse kaum mehr gelehrt werde. Glauser steht dem aktuellen Akkreditierungsverfahren grundsätzlich kritisch gegenüber. Unter den vorgegebenen Bedingungen würde eine Akkreditierung für das PSZ womöglich gar einen gefährlich hohen Grad an Anpassung mit sich bringen, was den unabhängigen Geist des Seminars schwächte, sagt er. Die Verordnung soll die Qualität der Ausbildung garantieren. Doch sie steht mindestens teilweise auch im Widerspruch zum Selbstverständnis des PSZ: Der Widerspruch geht weit über die Weiterbildungsstruktur hinaus – er trifft den geistigen Kern des Seminars und seines psychoanalytischen Therapieansatzes.
Widerstand gegen die Verschulung
Schon als das PSZ 1958 gegründet wurde, unterschied sich seine Ausbildung vom Reglement der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung: So verzichtete man auf eine Vorselektion der Auszubildenden und eine hierarchische Beziehung zwischen ihnen und den Lehrenden – nicht zuletzt, um einer Verschulung vorzubeugen. Der entscheidende Punkt jedoch, der zum Konflikt mit der Schweizerischen Gesellschaft für Psychoanalyse führte, betraf den Schritt zur Selbstverwaltung, den das PSZ bald vollzog. 1977 kam es zum Bruch; das PSZ wurde zu einem eigenständigen Institut.
Damit verbunden sind eine institutionskritische Haltung und der Anspruch, gesellschaftliche, soziale und kulturelle Phänomene kritisch zu hinterfragen. Das PSZ ist nach wie vor selbstverwaltet. Die Lernenden sind von Anfang an Teil der Mitgliederversammlung, die über die Geschicke des Seminars bestimmt und auch die Seminarleitung wählt. Auf Aufnahme- und Abschlussprüfungen wird verzichtet. «Es gehört zu seinen Stärken, dass das PSZ nicht hierarchisch organisiert ist», sagt Veronica Defièbre. Die Psychotherapeutin absolvierte einst selber die Weiterbildung am Seminar. Sie sagt: «Seine Grundsätze unterminieren die Verschulung, die der Bund eigentlich vorsieht.»
Der Akkreditierungsprozess für Lehrgänge in der Psychotherapie ist noch jung. Der Grundstein dafür wurde erst 2011 mit dem Inkrafttreten des Psychologieberufegesetzes (PsyG) gelegt. Seither ist «Psychotherapeut/in» eine eidgenössisch geschützte Bezeichnung. Damit schuf der Bund die Voraussetzungen dafür, dass Psychotherapie eigenständig über die Grundversicherung abgerechnet werden kann. Ein paar Jahre nach Inkrafttreten des PsyG erfolgte die erste Akkreditierungsrunde von Weiterbildungsgängen.
Das PSZ wurde im Mai 2017 offiziell akkreditiert. Federführend ist bei der Akkreditierung jeweils eine dreiköpfige Expert:innenkommission. Sie wird von der Schweizerischen Agentur für Akkreditierung und Qualitätssicherung (AAQ) einberufen, einem Organ, das sowohl Bund als auch Kantonen unterstellt ist. Dass die Agentur jetzt auch Weiterbildungsgänge der Psychotherapie prüfen müsse, habe sie nicht gesucht, sagt Christoph Grolimund, der Direktor der AAQ. Deren Kernkompetenz liege im Hochschulwesen, sie überprüfe etwa Universitäten. Therapieausbildungen hätten aber oft eine ganz andere Herkunft. Das gelte besonders für ausserhochschulische Institutionen – wie das PSZ. Wobei sich Grolimund zu Einzelfällen nicht äussern darf. Er sagt aber, dass zwischen der Forderung des Bundes nach einer «strukturierten Ausbildung» und dem Selbstverständnis mancher Therapieansätze ein Widerspruch bestehen könne.
Tatsächlich spiegeln sich im aktuellen Akkreditierungsverfahren mehrere neoliberal geprägte Tendenzen der letzten Jahre, vor allem die Verschulung im Rahmen der Bologna-Reform und der Ökonomisierungsdruck im Gesundheitswesen. Das fördert auch die Skepsis gegenüber der Psychoanalyse. Weil es bei dieser primär darum geht, ein tieferes Verständnis für ursächliche, weitgehend unbewusste Zusammenhänge zu gewinnen, ist sie im Gegensatz zu Verhaltenstherapien zeitintensiv. Verschiedene Studien und Metaanalysen aus diversen Ländern jedoch attestieren ihr eine umso höhere Nachhaltigkeit – weit höher als bei verhaltenstherapeutischen Behandlungen. Das wiederum hat damit zu tun, dass ihr Hauptfokus nicht auf dem Beheben von Symptomen, sondern auf der Reifung der gesamten Persönlichkeit liegt. Und trotzdem wird die Psychoanalyse immer wieder infrage gestellt – nicht zuletzt wegen des ökonomischen Drucks zu kürzeren Behandlungen.
Verhaltenstherapie bevorzugt
Auch Grolimund problematisiert das Kriterium der «Wissenschaftlichkeit»: «Die Wirkung einer Psychotherapiemethode lässt sich nicht auf dieselbe Art empirisch überprüfen, wie das in anderen Wissenschaftsfeldern üblich ist.» Der definitive Entscheid obliegt aber ohnehin dem BAG. Die AAQ legt bloss eine Empfehlung und einen dazugehörigen Bericht vor. Das Bundesamt hört sich ausserdem vor jedem Entscheid die Empfehlung der Psychologieberufekommission an, einer ausserparlamentarischen Expert:innengruppe. Im Fall des PSZ hätten sich die Kommission wie auch die AAQ gegen eine Akkreditierung ausgesprochen, heisst es aus dem Umfeld des Seminars. Das Urteil der AAQ sei deutlich gewesen: Demnach habe das PSZ die Vorgaben bei weitem verfehlt. Ganz anders als noch vor sieben Jahren, als es für seinen Ausbildungsansatz gar gelobt wurde.
Als «methodisch, fachlich und rechtlich fragwürdig» beurteilte Peter Schulthess das aktuelle Akkreditierungsverfahren schon im letzten Jahr in einem Fachartikel. Er war langjähriges Vorstandsmitglied der Assoziation Schweizer Psychotherapeut:innen (ASP). Gegenüber der WOZ sagt Schulthess, er sehe Institute, die keiner Universität angeschlossen seien, grundsätzlich in Gefahr. Genauer: jene, die sich mit humanistischen und tiefenpsychologischen Ansätzen beschäftigten – statt mit der in der universitären Forschung überwiegend vertretenen Verhaltenstherapie. (Ein anderes psychoanalytisch orientiertes Institut, das Daseinsanalytische Seminar, hat von sich aus auf eine erneute Akkreditierung verzichtet – aufgrund des «naturalistisch verkürzten Wissenschaftsbegriffs und des psychiatrisch-störungsbezogenen Modells», das den Akkreditierungskriterien zugrunde liege.) Im Akkreditierungsverfahren sowie in der beratenden Kommission seien die Universitäten übervertreten, sagt Schulthess, und damit auch die Verhaltenstherapie und der verschulte Ausbildungsansatz gemäss Bologna-System.
Das BAG schreibt auf Anfrage, dass es sich zum Fall des PSZ aufgrund des laufenden Verfahrens nicht äussern könne. Christoph Grolimund hält fest, dass in jeder Expert:innenkommission immer auch eine Vertreterin der jeweiligen Fachrichtung sitze. Mindestens ein:e Psychoanalytiker:in war also an der Beurteilung des PSZ beteiligt – nicht unbedingt zu dessen Vorteil, wie Veronica Defièbre glaubt. Schliesslich nehme das PSZ auch innerhalb der Psychoanalyse eine Sonderstellung ein: «Dass das PSZ überwiegend basisdemokratisch funktioniert, ist im Sinne der nachfreudschen Psychoanalyse sehr unanalytisch.»