Psychotherapie: Bloss ein teurer Hype?

Nr. 18 –

Eine Zahl, die der Verband der Krankenversicherer, Santésuisse, schon im Februar publizierte, macht gerade die Runde: 220 Millionen Franken. So viel Mehrkosten für die Grundversicherung verursachte die psychologische Psychotherapie 2023 im Vergleich zum Vorjahr. Insgesamt waren es 785 Millionen Franken. Das Wachstum ist also beträchtlich. Der Grund dafür ist klar: Seit Mitte 2022 können Psycholog:innen mit entsprechender Weiterbildung ihre Behandlung über die Grundversicherung abrechnen, ohne bei Psychiater:innen angestellt zu sein. Es genügt, dass eine Ärztin oder ein Arzt die Therapie vorgängig anordnet. ­«Anordnungsmodell» nennt sich das. Es soll den Zugang zur Psychotherapie erleichtern.

Die starke Zunahme der Kosten bedeutet vor allem eines: dass dieses Vorhaben geglückt ist. Verbesserungspotenzial besteht weiterhin. So können etwa zunächst nur jeweils fünfzehn Sitzungen Psychotherapie auf einmal angeordnet werden. Das sind viel zu wenig.

Aber können wir uns das überhaupt leisten? Die Frage mag angesichts der Kostenentwicklung in der Grundversicherung sinnvoll erscheinen. Der «Blick» wollte diese Woche im neuen Anordnungsmodell sogar einen substanziellen Kostentreiber identifiziert haben.

Aber das ist absurd. Nicht nur, weil in solchen Küchentischkalkulationen Folgekosten nicht berücksichtigt werden: Sich früh genug mit einer depressiven Episode zu beschäftigen, ist wohl meist weit billiger, als sie in der Tradition verkorkster Männer bis zum Totalausfall einfach zu verdrängen. Absurd auch, weil die 785 Millionen Franken, die für die psychologische Psychotherapie anfallen, deutlich weniger als ein Prozent der jährlichen Gesundheitskosten von über neunzig Milliarden Franken ausmachen. Die Kostenzunahme bei der Psychotherapie im letzten Jahr dürfte den Prämienzahler:innen Mehrausgaben von rund drei Franken pro Monat verursacht haben.

Rund doppelt so viel kostet übrigens die im weitesten Sinn wesensverwandte Physiotherapie. Rückenschmerzen – noch so ein Hype.

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Kommentare

Kommentar von Roni Vonmoos-Schaub

Do., 02.05.2024 - 21:56

Im Artikel wird einerseits mit Prozenten argumentiert, andererseits mit den Folgekosten, die vermieden werden können. Die Argumentation mit Prozenten ("die Psychotherapie beansprucht weniger als 1 % der Gesundheitskosten") finde ich heikel. Viel besser ist es, damit zu argumentieren, wieviel Folgekosten nicht entstehen, wenn frühzeitig Störungen angegangen werden. Bei den Gesundheitskosten zählen auch kleine Beiträge, um Kosten zu vermeiden. Gerade deshalb müssen wir gut argumentieren, um Mehrausgaben zu begründen. Einsparungen bei Psychotherapie, auch bei Physiotherapie, verursachen grosse Mehrkosten, das sind gute Argumente, diese Therapien zu finanzieren.