Wie wir leben werden (2): «Vor zehn Jahren hätte man uns ausgelacht»

Nr. 18 –

Strassenzüge begrünen, Böden entsiegeln, Wasserkreisläufe wiederherstellen: Schweizer Städte erproben das Konzept der Schwammstadt. Ein Augenschein in Genf.

Portraitfoto von Frédéric Bachmann
«Die Umsetzung ist nicht kompliziert.» Frédéric Bachmann leitet «Eau en ville» in Genf.

Genf ist eine von Wasser umgebene Stadt. Da ist der See mit dem Jet d’eau, sind die Flüsse Rhone und Arve, die an der Pointe de la Jonction zusammenfliessen, und unzählige weitere kleine Flüsse und Bäche, die dem immer grösser werdenden Strom der Rhone zufliessen.

Im Stadtteil La Jonction ist die kantonale Wasserbaufachstelle angesiedelt. In deren Gängen stehen alte, vergilbte Aktenschränke: Jeder Fluss, jedes Seelein hat seine Schublade, die grösseren eine eigene, die kleineren teilen sich eine. Das Gewässersystem des Kantons – schön getrennt und geordnet. Ganz wie es früher gemacht wurde: Gewässer wurden begradigt und kanalisiert, Regenwasser durch die Kanalisation möglichst schnell abgeleitet.

Letzteres soll sich mit dem Projekt «Eau en ville» nun ändern. «Die Städte im Kanton Genf sind, wie alle Städte in der Schweiz, stark versiegelt», erklärt Frédéric Bachmann, Leiter des 2019 initiierten Projekts. So fliesst ein Grossteil des Regenwassers heute direkt in die Kanalisation, was dazu führt, dass der Boden kein Wasser für trockene Perioden speichern kann. Mit der Klimaerhitzung wird das zunehmend zum Problem. «Auch in Genf bekommen wir die Folgen zu spüren», erklärt Bachmann, der schon seit zwanzig Jahren für die kantonale Wasserbaufachstelle arbeitet und die Veränderungen hautnah miterlebt. «Die Regenmenge bleibt zwar ähnlich hoch, verteilt sich aber ungleichmässig übers Jahr. Hitze- und Trockenperioden sowie starke Regenfälle haben in den letzten Jahren enorm zugenommen.»

Ein schwedisches Modell

«Eau en ville» orientiert sich an einem Konzept, das immer mehr Städte in der Schweiz prüfen: der Schwammstadt. Die Idee ist, dass statt Asphalt für Plätze und Strassen zunehmend versickerungsfähige und durchlässige Beläge verwendet werden und der öffentliche Raum begrünt wird, damit der Boden seine Funktion als Wasserspeicher wahrnehmen kann.

Wie das aussehen kann, zeigt Bachmann an der Rue des Rois unweit seines Arbeitsplatzes. Unter den bunten Jalousien eines in die Jahre gekommenen Wohnblocks erstreckt sich ein länglicher Platz mit noch jungen Bäumen, deren Stämme weiss gekalkt sind. Ein Kind spielt im Brunnen, der so früh im Jahr noch kein Wasser führt, ein Restaurant bedient bei den frühlingshaften Temperaturen bereits draussen. Von der gegenüberliegenden Strassenseite weht ein kühler Wind, dort befindet sich der Cimetière des Rois – die Genfer:innen nutzen den Friedhof als Naherholungsgebiet. «Früher standen sich hier die grösstmöglichen Gegensätze gegenüber», erinnert sich Bachmann: auf der einen Seite der üppig bewachsene Park, auf der anderen ein Parkplatz.

Doch wo früher Autos standen, ist der Boden nun entsiegelt. Der Belag ist krümelig und durchlässig, aber hart genug, damit Rollstuhlfahrer:innen oder Kinder mit Trottinetts den Platz problemlos überqueren können. Der Boden wurde nach dem «Stockholmer Modell» renaturiert. Unter dem gesamten Platz befinden sich Schichten aus Kompostsubstrat, Biokohle und grobem Schotter. Das Regenwasser kann direkt im Boden versickern und von den Bäumen wieder aufgenommen werden.

Offene Ohren

«Die Umsetzung ist eigentlich nicht besonders kompliziert», erklärt Bachmann. «Die Herausforderung besteht darin, den Wasserkreislauf von Anfang an in Bau- und Infrastrukturprojekten mitzudenken.» Dazu hat der Kanton Genf «Eau en ville» ins Leben gerufen: Das Projekt bietet Gemeinden, Unternehmen oder auch Architekt:innen technische Beratung und Unterstützung. Mit dem niederschwelligen Ansatz, unbürokratisch Hilfe ohne gesetzliche Verpflichtungen anzubieten, stösst das Angebot auf Anklang. «Wir waren sehr erstaunt, wie offen die verschiedenen Akteure für solche Ideen waren», so Bachmann. «Wir sind praktisch nie auf starke Vorbehalte gestossen.»

Die meisten der bisher vierzig Projekte stecken erst in der Planungsphase. So auch die Avenue du Mail: eine mehrspurige Hauptstrasse, an der schicke Optikergeschäfte wie auch heruntergekommene Rotlichtlokale liegen. Auf beiden Seiten reihen sich Parkplätze aneinander, es riecht nach Abgasen. Die Parkplätze sollen einem breiten, mit Bäumen, Büschen und Bänken begrünten Streifen weichen, von den Dachrinnen soll das Regenwasser statt in die Kanalisation in den Boden geleitet werden.

Noch ist das Zukunftsmusik, denn das Projekt wird von Einsprachen blockiert. Sollte es in den nächsten Jahren umgesetzt werden, könnte es jedoch eine Blaupause für ähnliche Projekte im ganzen Kanton werden. Bachmann ist optimistisch: «Vor zehn Jahren hätte man uns noch ausgelacht, wenn wir über die Nutzung von Regenwasser im öffentlichen Raum gesprochen hätten. Heute geben wir Interviews dazu.»