Architekturausstellung: Protestieren mit Baumaterial
Wenn sich Widerstand in Bauwerken manifestiert: Eine Ausstellung in Teufen zeigt internationale Beispiele von Protestarchitektur und schlägt den Bogen zurück zu den Pflastersteintürmen der Pariser Revolutionen.
Was könnte unter Protestarchitektur verstanden werden? Ist Architektur – als Stein gewordener Inbegriff gesellschaftlicher Akzeptanz – nicht eigentlich das Gegenteil von Protest?
Im Zeughaus Teufen geht eine Ausstellung diesen Themen nach und fragt insbesondere, wie Architektur als Protest aussieht. Hier geht es um Camps, die am Rand von Demonstrationen oder Besetzungen entstanden sind, um Zeltstädte, durch deren Errichtung versucht wurde, Umweltzerstörungen zu verhindern, oder Baumhäuser, in denen sich Aktivist:innen vor Ordnungskräften in Sicherheit bringen. Diese Architektur ist vorwiegend temporär, sie entwickelt sich spontan und steht für ein konkretes Anliegen – aber sie zeigt auch, wie Proteste «sesshaft» werden und gewaltige Blüten in Form faszinierender Bauten treiben.
«Protest/Architektur» dokumentiert mit Dutzenden von Plakaten Stationen dieser Protestformen über alle Kontinente hinweg – von Vancouver, wo es 1960 darum ging, einen Jachthafen zu verhindern, über Gorleben 1980, am Höhepunkt der Anti-AKW-Demonstrationen, bis zu Bauernprotesten in Indien oder den Strassenschlachten auf dem Maidan in Kyjiw. Überall folgt die Ausstellung jenen Bewegungen, bei denen solche kurzzeitig sesshaften Formen entstanden. Und es ist überraschend, wie viele öffentliche Proteste, die länger dauerten als ein kurzer «Demonstrationsumzug» – wie es jeweils in der Umleitungsbürokratie der Verkehrsbetriebe Zürich heisst –, es weltweit gab.
Archaische Baumaterialien
Den historischen Einstieg liefert der Pflasterstein. Er stand bereits bei der Errichtung der ersten Barrikaden in den Pariser Revolutionen von 1830 symbolhaft für das Zerstörungspotenzial der Bausteine der alten Ordnung, indem er aus der Strasse gerissen und aufgetürmt wurde. Neben Protesten, in denen gänzlich auf Baumaterialien verzichtet wurde und die «nur» Menschen oder Autos als Protestmedien einsetzten, zeigt die Ausstellung auch kunstvolle Bauwerke wie Türme aller Art. Sie wurde in einer Kooperation des Deutschen Architekturmuseums Frankfurt, des Museums für angewandte Kunst Wien und des Zeughauses Teufen organisiert, wo nun auch Schweizer Widerstandsaktionen präsentiert werden.
Im Vergleich zum 48-stündigen Klimacamp vor dem Bundeshaus und der Shantytown 2005 in Zürich für mehr Freiräume nimmt die Anti-Waffenplatz-Bewegung Neuchlen-Anschwilen von 1990/91 mit der fast zwei Jahre dauernden friedlichen Besiedlung einer unverbauten Wiese viel Raum ein. Auch wenn der Waffenplatz nicht verhindert werden konnte, hat der Protest doch eine breite politische Basis für ökologische und friedensaktivistische Themen mobilisiert.
Etwas vom Faszinierendsten an der Protestarchitektur ist die Tatsache, dass die Digitalisierung, das Internet keine sichtbaren Spuren in den gezeigten Gebäudetypen hinterlassen haben und auch in den jüngsten Camps, wie etwa in der Wiener Lobaubesetzung gegen den Bau einer Autobahn in einer Auenlandschaft, keine Rolle spielen. Handymast und Satellitenschüssel sind vielmehr Symbole jener bürgerlichen Ordnung, gegen die viele der Aktionen gerichtet sind. Und so wirken die Materialien, mit denen hier gebaut wird, archaisch: Holzpfosten, Bambusrohre, Hanfseile, Leitern – verbrämt mit Elementen aus informellen Gebäuden wie Wellblechplatten oder Kartonschachteln. Die Wege, die zur Errichtung dieser Strukturen führen, müssen kurz und unbürokratisch sein.
Simple Mittel, grosse Wirkung
Eine lohnende Ergänzung bieten die Medienarbeiten, die den Protest in anderen Gebieten, wie den legistischen oder den Computergames, verorten. Hier erfährt man, auf welchen rechtlichen Grundlagen Blockaden geahndet werden können oder ob kleinere Aktionen wie Sprühkreidebemalungen das Rechtssystem bedrohen. Die Videoarbeit «Hardly Working» des Künstler:innenkollektivs Total Refusal befasst sich mit Nischenfiguren eines Videospiels, wie des «Handwerkers» oder der «Strassenkehrerin», die in ihren schematischen Abläufen geradezu körperlich wirken. Beeindruckend ist es zu sehen, wie aus vergleichsweise ärmlichem visuellem Ausgangsmaterial dank eines überzeugenden Texts ein neues Narrativ gewonnen wurde, das plötzlich Verweigerung und Quiet Quitting zum Inhalt hat.
Die Ausstellung könnte selbst als ein Beispiel von «Adhocismus» dienen. Vereinfachend gesagt, reichen Poster und Stellwände hier aus, um ein Thema von grosser Vielfalt und politischer Brisanz darzustellen. Manchmal sind es gerade die einfachen Mittel, mit denen eine nachhaltige Wirkung erzeugt wird.
«Protest/Architektur» in: Teufen, Zeughaus, bis 9. Juni 2024. www.zeughausteufen.ch