«Welt - Bilder»: Die Grenzen entlang den Bildlegenden

Nr. 39 –

Eine Ausstellung im Helmhaus Zürich will uns lehren, nicht in die «So ist sie also, die Welt»-Falle hineinzutappen. Dumm nur, dass die Warnung etwas gar spät kommt.

Im Frühsommer letzten Jahres war im Zürcher Helmhaus die Ausstellung «Body Proxy» zu sehen. Hierfür wurde der gesamte Boden des Helmhauses vom Künstler Norma Jeane mit einer schneeweissen und hochglänzenden Epoxydharzschicht versiegelt. Bis heute ist dieser Eingriff unverändert erhalten geblieben und verkommt zum «Interior Design», leider nicht zum Vorteil der nachfolgenden Ausstellungen. Besonders problematisch erweist sich diese Entscheidung, wenn die im Ausstellungsraum platzierten Kunstwerke einer Wand bedürfen. Der Besucher, die Besucherin betritt geblendet eine gallertartige Raummasse, in deren unbestimmbarem Inneren die Bilder schwimmen.

«Welt - Bilder» ist der Titel der aktuellen Ausstellung, zu sehen sind ausschliesslich fotografische Arbeiten von acht KünstlerInnen und einem Reportagefotografen. Die Kuratoren Andreas Fiedler und Simon Maurer haben bei der Auswahl bewusst auf inszenierte und digital manipulierte Arbeiten verzichtet und einer aufklärerischen, authentischen Fotografie den Vorzug gegeben.

«Welt - Bilder» unternimmt den gewagten Versuch, den ästhetisch sublimierenden Blick der Künstler und Künstlerinnen («Bilderwelten») mit der politisch engagierten Reportagefotografie eines James Nachtwey («Weltbilder») nicht gerade zu fusionieren - eine verschämte Stellwand schützt davor -, aber in eine eigenartige Relation zu bringen. In dieser Konstellation wird deutlich, dass die Grenze zwischen künstlerischer Fotografie und Reportagefotografie entlang den Bildlegenden verläuft. Was auf der einen Seite einen assoziativen Raum öffnen soll, bedarf auf der anderen Seite einer sehr konkreten Angabe der Koordinaten des Geschehens: wer, was, wo. Diese Grenze erscheint in dieser Ausstellung unüberbrückbar, die künstlerischen Arbeiten wirken vor diesem Hintergrund ätherisch-anspruchsvoll.

Der emblematische Schriftzug «truth study center» der Arbeit «Untitled» (2005) von Wolfgang Tilmans eröffnet folgerichtig den bunten Bilderreigen im Helmhaus. All-over-Texturen, entstanden aus der Überlagerung verschiedenster fotografischer Schichten, beschwören noch mal den Look der neunziger Jahre, bevor sie dann endgültig ins Dekorative kippen. Auch der zweite Raum hält eine Wiedersehensfreude bereit: Die üppig wuchernde Vegetation der Arbeiten «Rio Negro I und II» (1998) lassen stark an Thomas Struth denken, sind aber Teil einer Serie von Axel Hütte, seines Zeichens ebenfalls Schüler der Talentschmiede von Bernd und Hilla Becher an der Kunstakademie in Düsseldorf. Die sehr grossformatigen, aufwendig gerahmten Duratrans-Objekte seiner zweiten Serie zeigen Architektur!=ensembles unterschiedlichster Art: die Neue Nationalgalerie in Berlin, New York in der Las-Vegas-Version. Hütte greift tief in die Effektkiste, ein übermenschlich grosses Dia ist mit einigen Zentimetern Abstand vor einem Spiegel montiert. Diese Konstruktion eröffnet einen zweiten, physischen, metallisch schimmernden Bildraum, der in dieser Doppelung - jedes Bild ist ein Fenster - kitschig wirkt.

Die Auflösung bildimmanenter Fragestellungen in Materialmeierei ist das Problem fast aller Arbeiten in dieser Ausstellung. Der einzige Künstler, der diesen Umstand selbstironisch reflektiert, ist Boris Mikhailov. Die Serie «Something from the Ukraine» (2003) zeigt in einer Art Milieustudie wartende Menschen in Charkow, der Heimatstadt des Künstlers. Die Negative wurden aufgeblasen, die Kapazität des Ausgangsmaterials hoffnungslos überschritten. Früher seien die Bilder des Fotokunstmarktes klein und schwarzweiss gewesen, heute müssten sie gross und bunt sein, bringt Mikhailov das Offensichtliche auf den Punkt. Er gehört neben Shirana Shabazi zu den KünstlerInnen in dieser Ausstellung, die ein Bild als Projektionsfläche für den Betrachter gestalten und das Bild in dieser Hinsicht auch zu manipulieren und zu inszenieren wissen. Wartende Menschen sind ja ohnehin das, womit die meistens den Osten verbinden: Warten auf die Strassenbahn, das Brot, den nahen Tod. Auch das ist eine Form des «Ethnic Marketing».

Im zwanghaften Beschwören der Wahrhaftigkeit des Mediums zeigt sich der geradezu reaktionäre Charakter der Ausstellung, ganz so, als gäbe es keine Digitalfotografie. Das Perfide daran ist, dass sich diese kuratorische Setzung ausgerechnet auf die Arbeit «L’Enfer» von James Nachtwey stützt. Seit 25 Jahren dokumentiert Nachtwey Kriegsgräuel in nahezu allen Krisenherden dieser Welt. Die grauenhafte Realität dieser Bilder ist unbestritten wahr, darin liegt der Sinn dieser Bilder.

Ausgerechnet das Foto eines Fotos entkrampft das selbst gewählte kuratorische Dilemma ein wenig. Die Serie «Ni» (2005) von Cat Tuong Nguyen beinhaltet ein Bild, das die Dokumentation der Bergungsaktion eines toten amerikanischen Soldaten während des Vietnamkriegs zeigt - ein kleines, unprätentiöses Foto aus dem Kriegsmuseum von Saigon, mit dem der Künstler aufgewachsen ist und von dem er nun wissen möchte, was von seiner Wirkung erhalten geblieben ist. Hier kreuzt sich frei von Pathosformeln ein individuelles Begehren mit dem im kollektiven Gedächtnis eingebetteten Bildarchiv.

Fassen wir zusammen. Erstens: Die Inszenierung auf der Ebene der Beziehung zwischen (fotografierendem) Subjekt und (fotografiertem) Objekt hat sich auf die Repräsentation der Werke verlagert. Aufwendigste Rahmungen lassen die Arbeiten «arty» erscheinen und korrelieren nicht mehr mit ihrem Inhalt. Zweitens: Fotografieausstellungen, die sich diesen medialen Rahmen selbst verordnen, sind von vornherein dazu verurteilt, über das Medium Fotografie selbst zu sprechen und über nichts anderes. Seit dem Fotografieboom der neunziger Jahre ist jede und jeder ausreichend mit dem theoretischen Background (Barthes! Sontag!! Flusser!!!) gewappnet, um diesen Bildern entgegenzutreten und nicht in die «So ist sie also, die Welt»-Falle zu tappen.


«Welt - Bilder» im Helmhaus Zürich. Bis 30. Oktober. Katalog.

23. Oktober: «War Photographer», ein Film über James Nachtwey von Christian Frei, im Filmpodium.

26. Oktober: Fotografie zwischen Kunst und Reportage. Podiumsdiskussion im Museum für Gestaltung.