Literatur: Bomben und Blumen
Fünfzig Jahre nach seinem Erscheinen erstmals auf Deutsch übersetzt: Der katalanische Klassiker «Die Frauen vom Café Nuria» erzählt von drei Frauengenerationen in einem Barcelona der Umbrüche.
1992 gilt als das Jahr, in dem sich Barcelona der Welt zuwandte und zu der Stadt wurde, die wir kennen: hübsch, kosmopolitisch, überrannt von Tourist:innen. Es war das Jahr der Olympischen Sommerspiele, für die man die Stadt gründlich aufpolierte und transformierte.
Politisch macht Barcelona seither praktisch nur noch von sich reden, wenn der Katalonienkonflikt wieder hochkocht. Dass die Stadt ganz andere, weitaus aufreibendere Zeiten erlebt hat, davon erzählt Montserrat Roig (1946–1991) in «Die Frauen vom Café Nuria». Dieser moderne Klassiker – im katalanischen Original 1972 veröffentlicht und jetzt erstmals auf Deutsch übersetzt – skizziert drei Generationen von Frauen, die Barcelona in Zeiten von Umbrüchen, Unruhen und Umstürzen erleben.
Mundeta – ein Spitzname für Ramona – heissen drei Frauen, deren Geschichte abwechselnd erzählt wird. Dass Grossmutter, Mutter und Tochter denselben Namen tragen, weist auf ein Thema hin, das sich durch Roigs ganzen Roman zieht: Auch wenn sich die Umstände für Frauen im Lauf der Jahrzehnte verbessern – die erste Mundeta lebt um die Wende zum 20. Jahrhundert, ihre Tochter wird zur Zeit der Spanischen Republik und des darauffolgenden Bürgerkriegs in den dreissiger Jahren sozialisiert, die jüngste ist Studentin in den sechziger Jahren –, gleichen sich ihre Leben in einem Punkt: Sie leben alle drei in einer für Frauen einengenden Umgebung und in einer restriktiven Gesellschaft.
Barcelona als Gefängnis
Eingeengt werden sie von Barcelona, einer Stadt, zu der sie eine Hassliebe pflegen. Zwar führt die jüngste Mundeta ein selbstbestimmteres Leben als ihre Mutter und ihre Grossmutter – sie kann sich frei in den Strassen bewegen und sich zumindest teilweise politisch engagieren, sie hat ungezwungeneren Sex –, aber auch sie ist in der noch immer herrschenden Diktatur patriarchalen Zwängen unterworfen. Die Stadt ist so nicht nur ein Möglichkeitsraum für sie, sondern auch eine Art Gefängnis. «Sie brannte darauf, ihrer Welt zu entfliehen, wollte raus aus dieser nebelverhangenen, grauen, schmutzigen Stadt […], sie musste fliehen, um die Welt als einen vor ihr ausgebreiteten Fächer voller Möglichkeiten zu sehen.»
Anders als ihre Tochter ist die Mutter nicht nur gefangen in ihrem bürgerlichen Leben, sie ist vor allem eine apolitische Frau. Weder das Ausrufen der Republik 1931 nach Jahren der Diktatur unter Miguel Primo de Rivera interessiert sie, noch scheint sie der Spanische Bürgerkrieg (1936–1939) sonderlich zu betreffen. Das ändert sich, als Barcelona im März 1938 aus der Luft bombardiert wird. Die junge Frau macht sich auf den Weg durch zerstörte Strassenzüge, um ihren verschwundenen Mann zu suchen. Dieser Tag ist in Mundetas einfachen Worten geschildert, etwa so, als würde sie eine Anekdote erzählen. Das erinnert nicht zufällig an den berühmtesten katalanischen Roman, «Auf der Plaça del Diamant» (1962) von Mercè Rodoreda, der die Zeit zwischen Republik, Bürgerkrieg und Diktatur ebenfalls aus der Sicht einer zunächst naiven jungen Frau erzählt. Fast schon paradox, dass Mundeta ausgerechnet in diesem Moment der Trümmer und des Todes ein Gefühl von Freiheit empfindet, weil sie sich für einmal ganz unbeobachtet bewegen kann. Ihre Suche endet in einer Leichenhalle, wo sie zum ersten Mal in ihrem Leben mit einem Anarchisten spricht, der sie wenigstens temporär aus ihrem bürgerlichen Alltag reisst und ihr ein Gefühl für ihre Position in der Welt gibt.
Leider ohne Glossar
«Die Frauen vom Café Nuria» erzählt von Barcelona im Strudel der politischen Zeiten zwischen zwei Diktaturen, Krieg und Republik und davon, wie die Stadt bis zum Ende der Franco-Diktatur 1975 eine Stadt der Männer war. Sie fungiert somit nicht nur als topografischer, sondern auch als metaphorischer Raum, der die Politisierung und Emanzipierung der Frauen bestärkt, aber auch behindert. Und trotz der vielen grauen Häuserwände sehen alle Mundetas auch die Schönheit im Detail, oft in Pflanzen und Blumen. Die mittlere Mundeta erkennt Barcelona und seine Bewohner:innen darin, dass «alle vereint in einer beschwingten Mischung aus Glückseligkeit und Resignation» sind. Die Stadt kommt ihr «wie eine prachtvolle, geradezu kosmopolitische Blume vor», die «mehr noch als eine Stadt das Versprechen einer Stadt» ist.
Erfreulich, dass der Kunstmann-Verlag diese wichtige Autorin der katalanischen Literatur wiederentdeckt hat. Auch über fünfzig Jahre nach der Erstpublikation liest sich «Die Frauen vom Café Nuria» nicht veraltet. Eine Herausforderung ist die Lektüre stellenweise dennoch, setzt doch der Roman gewisse Kenntnis spanischer und katalanischer Geschichte voraus. Die Namen mehrerer Politiker und Revolutionäre werden erwähnt, historische Ereignisse oft mehr angedeutet als auserzählt. Zwar ist der Text auch ohne deren Kenntnis verständlich, doch fehlt ihm so eine tiefere Ebene. Schade, hat der Verlag auf ein Glossar verzichtet. «Die Frauen vom Café Nuria» ist Teil einer Trilogie. Von «Zeit der Kirschen» (1977) und «Die violette Stunde» (1980) sind Neuübersetzungen im Herbst und im Frühjahr 2025 geplant – vielleicht ja mit Anhang.
