Spanischer Bürgerkrieg: Eine Ruine für Francos Gott und Vaterland

Nr. 28 –

Wer an Spaniens Stränden die Ferien verbringt, vergisst oft, dass das Land den Bürgerkrieg von 1936 bis 1939 noch immer nicht verarbeitet hat. Besuch bei einem Monument der besonderen Art.

Ungefähr fünfzig Kilometer südlich von Saragossa liegt das Städtchen Belchite. Dazwischen der Ebro und die weite, baumlose Hochebene von Aragon, eine Landschaft von herber Melancholie. Fährt man nach Belchite hinein, so fällt die eigenartige, «unspanische» Anlage dieses Dorfes auf: streng schachbrettartig angeordnete Strassenzüge mit gleichförmigen, fast kasernenartigen Häusern. Überall hängen Lautsprecher, Musik scheppert, zuweilen gibt es auch Durchsagen. Eine merkwürdige Stimmung herrscht. Als ob das Dorf etwas zu verbergen hätte. Das Geheimnis liegt gleich nebenan. Ein Schild zeigt «Pueblo viejo (Ruinas históricas)» an. Dahinter befindet sich ein besonderes Monument: das zerstörte alte Belchite. Ruinen und Trümmer, Schutt und Steine, weiträumig verteilt. Häuser, von denen nur noch die Fassaden stehen. Zerschossene Kirchenschiffe, durchlöcherte Türme, weggerissene Hinterhöfe, abgebrochene Tore, zerstörte Gassen, die nur noch vage erkennbar sind. Ein gespenstischer Stadtkadaver, der daliegt, als ob die Vernichtung erst gestern stattgefunden hätte. Belchite, die spanische Ghost Town, ist das wohl ungewöhnlichste Mahnmal des Spanischen Bürgerkriegs.

Als ein Teil der Generalität am 17. Juli 1936 gegen die demokratisch gewählte Volksfront-Regierung putschte, begann der Krieg. Schon eine Woche später hatte er sich in einen verdeckten internationalen Krieg verwandelt. Hitler und Mussolini unterstützten die Generalsclique, aus der Franco als Generalísimo hervorging. Zwei Monate später intervenierte die Sowjetunion auf der Seite der Republik. Hunderte von Freiwilligen strömten schon im August nach Spanien - AntifaschistInnen der ersten Stunde, die den Vormarsch des Faschismus mit der Waffe in der Hand stoppen wollten. Tausende weitere folgten, nun weltweit von der Komintern - dem Büro der kommunistischen Internationalen - organisiert. Der Krieg dauerte bereits ein Jahr, als über Belchite das Verhängnis hereinbrach. Der republikanische Generalstab entschied im Sommer 1937, in Aragón eine Entlastungsoffensive zu starten. Sie sollte Franco, der Madrid umklammerte, zur Verlegung seiner Streitkräfte zwingen. Andere sagen, es habe noch ein anderes Ziel der Operation gegeben: Die sowjetfreundliche Regierung unter Ministerpräsident Juan Negrín habe in diesem Gebiet mit den Anarchisten aufräumen wollen. Die Milizen der Gewerkschaft CNT-FAI hatten im Hinterland von Barcelona ihre revolutionäre Utopie am weitesten in die Tat umgesetzt und die Landwirtschaft zu einem grossen Teil kollektiviert.

Kampf um jeden Meter

Am 24. August 1937 rückte eine republikanische Streitmacht von nahezu 25 000 Mann an, darunter die 11. und die 15. Internationale Brigade. Die Garnison von Belchite, wo sich die Franquisten mit 2000 Mann verschanzt hatten, leistete hartnäckigen Widerstand. Die Schlacht dauerte über eine Woche und zählt zu den heftigsten des Spanienkriegs. Unter Einsatz von Kanonen, Dynamit und Bajonetten wurde um jedes Haus, um jeden Meter gekämpft. Gefangene wurden nicht gemacht. Am 6. September 1937 war Belchite nur noch ein rauchender Trümmerhaufen, Leichengeruch lag in der Luft. Die republikanischen Sturmtruppen hatten den Sieg errungen, allerdings zu einem hohen Preis. Die Verluste gingen in die Tausende. Letztlich war es militärisch ein nutzloser Sieg, denn das strategische Ziel, Aragóns Hauptstadt Saragossa zu erobern, wurde nicht erreicht. Belchite konnte nicht lange gehalten werden. Als Franco zur Gegenoffensive ansetzte, musste die Besetzung am 10. März 1937 aufgegeben werden. Gegen die mit deutschen Bombern, italienischen Tanks und maurischen Söldnern hochgerüstete Militärmaschine konnte das spanische Volksheer nicht bestehen. Auch die stark dezimierten internationalen Freiwilligen waren nicht in der Lage, den Rückzug auf breiter Front abzuwenden.

An den Kämpfen um Belchite waren auch Schweizer beteiligt. Rund 800 Freiwillige kämpften im Spanienkrieg gegen Franco. So auch der Zürcher Chauffeur Hans Marthaler. Er gab zu Protokoll: «Die 11. Brigade ist in den Kämpfen um Belchite Anfang März 1938 fast aufgerieben worden. Unsere Einheit hat ihre drei Camions mit angehängten Kanonen ganz verloren. Ein Camion wurde von sechs Jagdfliegern beschossen und in Brand gesteckt, und die andern zwei verloren wir tags darauf auf der Strasse, ebenfalls durch Flieger. Von der Mannschaft von 75 Mann waren am andern Morgen noch 35 Mann da und am nächsten Morgen noch weniger. Ich habe an diesem Morgen nur noch Koch getroffen, wo die übrigen waren, weiss ich nicht.»

Ein Arbeiter aus St. Gallen

Einer, der bei den Kämpfen um Belchite fiel, war der 23-jährige St. Galler Maler Röbi Bruderer, Sohn eines Tramfahrers. Er hatte sich aktiv in der Sektion St. Gallen der Kommunistischen Partei der Schweiz (KPS) sowie im Holz- und Bauarbeiterverband betätigt. Der Partei galt er als grosse Hoffnung. Im Frühjahr 1937 hatte er in Mörschwil, wo er wohnte, einen Pass beantragt und war via Paris nach Spanien gereist. Im Hauptquartier der Internationalen Brigaden in Albacete wurde er in die 11. Internationale Brigade eingeteilt, in der die meisten Schweizer kämpften. Im Nachruf, der in der KP-Zeitung «Freiheit» auf ihn und seinen ebenfalls gefallenen Kollegen Hans Hofstetter erschien, hiess es: «Das Schicksal wollte es, dass beide den gleichen Tribut entrichteten für unsere Freiheit, für die Freiheit des spanischen Volkes. Beide ruhen in spanischer Erde. Wir sind stolz darauf, dass die St. Galler Arbeiterschaft ohne Parteiunterschied durch die tiefe Anteilnahme den beiden jungen Freiheitshelden den letzten Gruss entbot.» Wegen einer Panne erfuhren die Eltern vom Tod ihres Sohnes erst, als der Nachruf im Parteiorgan schon erschienen war.

Viele BesucherInnen hat das zerstörte Belchite heute nicht, obwohl es kaum ein zweites Monument auf der Welt geben dürfte, an dem auf so makabre Art das Ereignis der totalen Zerstörung und des Verfalls zelebriert wird. Diese Feier des Todes ist typisch faschistisch und entspricht dem perversen Ruf «Viva la muerte!» der spanischen Fremdenlegion. Eine unwirkliche Stille herrscht im Ruinenfeld, das sich zwischen den Resten der Kathedrale Iglesia de San Martín und dem Stadttor Arco de la Villa aufspannt. Mal kläfft ein Hund, hin und wieder trottet ein Landwirt durch die Ruinen auf dem Weg zum Hof. Auf der Calle Mayor kann man das Pueblo viejo von einem Ende zum andern durchschreiten. In der Mitte passiert man den Torre del Reloj, einen Turm, der mit EU-Geldern vor dem Zerfall bewahrt wird. Auf dem Platz gegenüber ragt ein grosses eisernes Kreuz in den Himmel, das Franco im Gedenken an die Gefallenen «für Gott und Vaterland», also nur an seine eigenen, aufstellen liess. Nach dem Ende des Kriegs ordnete der Diktator die Konservierung der verwüsteten Stätte an. Sie sollte ebenso an seinen Sieg wie an das «Zerstörungswerk der Marxisten» erinnern, die er auf seinem Kreuzzug fürs heilige katholische Spanien ausradieren wollte, wenn es sein musste bis auf den letzten Mann. Die Trümmer blieben liegen, und nebenan wurde ab 1940 ein Reissbrettdorf, das neue Belchite mit heute 1680 EinwohnerInnen, errichtet. 1954 wurde es von Franco persönlich eingeweiht. An der Feier erklärte er: «Belchite war eine Bastion, die der rot-kommunistischen Furie standhalten musste.» Seitdem ist der Ort ein nationalistisches Denkmal und gilt, neben dem Valle de los Caídos bei Madrid, wo Franco und der Faschistenführer José Antonio Primo de Rivera begraben sind, als wichtigste franquistische Gedenkstätte.

Der spanische Gulag

Erst vor wenigen Jahren, im Zuge der spanischen Geschichtsaufarbeitung, wurde bekannt, dass grosse Teile der Infrastruktur des Landes durch Massenzwangsarbeit von republikanischen Gefangenen errichtet worden waren. So entstanden der Kanal von Guadalquivir bei Sevilla, die Praga-Brücke in Madrid, das Stadion von Valladolid, aber auch zahlreiche Stauseen, Eisenbahnstrecken, Kasernen und nicht zuletzt Gefängnisse. Auch Belchite wurde von Zwangsarbeitern wiederaufgebaut. Diese Tatsache war während der Diktatur tabu und fiel später dem «Pakt des Vergessens» anheim, der 1975 nach Francos Tod den Übergang von der Diktatur zur Demokratie ermöglichte. Heute ist Spanien mit seiner Vergangenheit konfrontiert, und die Mauer des Schweigens bröckelt. Die historische Forschung spricht inzwischen von Francos Gulag. In den 190 Konzentrations- und Straflagern schmachteten nach dem Krieg 280 000 republikanische Gefangene. Laut dem Publizisten Isaias Lafuente wurden zehntausende in Straf- und Arbeitsbrigaden abkommandiert. Sie schufteten unter sklavereiähnlichen Bedingungen am Wiederaufbau des zerstörten Landes. Viele starben an Hunger und Entkräftung. Franco hatte, wie Stalin, den ökonomischen Wert des Gulags erkannt und ihn in den Dienst der Wirtschaft gestellt.

Dünne Wassersuppe

In Belchite waren im Schnitt 500 Republikaner eines Strafbataillons am Werk. «Ihr habt Belchite zerstört, und ihr werdet es wieder aufbauen», lautete die Devise des Franco-Staats. Untergebracht waren die Gefangenen in einem KZ in der Nähe. Einer davon war Manuel Vaquero. Sein Vater, ein Sozialist, war 1938 erschossen und er selber zu zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt worden. Er berichtet: «Um sechs Uhr wurden wir geweckt, und die Soldaten riegelten das Gelände ab, damit niemand entfliehen konnte. Wir mussten den ganzen Tag arbeiten, und wir litten unter Hunger und Kälte.» Der deutsche Brigadist Walter Kutschkau, der insgesamt sieben Jahre in franquistischen Gefängnissen verbrachte, erinnert sich an Belchite: «Wir mussten jeden Morgen in Kolonnen zum Steinbruch marschieren und Steine brechen für den Strassenbau, eine unzumutbare Arbeit bei dem Frass, den wir bekamen. Manchmal konnten wir morgens einfach nicht aufstehen, so geschwächt waren wir von der harten Arbeit und der dünnen Wassersuppe.» Unter den 406 ausländischen Gefangenen, die 1940 in Belchite Zwangsarbeit leisten mussten, befanden sich auch zwei Schweizer.

Offensives Vergessen

Im Dorf finden gelegentlich Aufmärsche von Altfranquisten, aber auch von Erinnerungsgruppen wie der Asociación para la recuperación de la memoria histórica statt, die mit spektakulären Ausgrabungen von Massengräbern die Aufklärung von Francos Verbrechen vorantreibt. Der emblematische Ort war auch schon Schauplatz von Verfilmungen, etwa 1988 für Terry Gilliams «The Adventures of Baron Munchhausen». Carlos Saura drehte dort 1990 Szenen für «¡Ay Carmela!», die Geschichte einer Komi-kertruppe, die im Bürgerkrieg aus Versehen auf die faschistische Seite gerät. Noch immer lastet das franquistische Erbe schwer über dem Dorf. Seine Strassen tragen Namen, die an die faschistischen Sieger erinnern, an den Generalissimus, den Falangeführer José Antonio oder an den 18. Juli, das offizielle Datum des Militäraufstands.

Eine Begebenheit anlässlich eines Besuchs des Ruinenfelds sagt mehr als tausend Worte. Beim Verlassen des Pueblo viejo hält plötzlich ein Wagen. Der Fahrer streckt wortlos einen Touristenprospekt heraus und fährt sogleich weiter. Im Prospekt werden die zerstörten Denkmäler des alten Belchite beschrieben, als handelte es sich um archäologische Ausgrabungen. Es ist von wertvollen Zeugen des Mudéjar-Stils die Rede, von Einflüssen der islamischen Kultur und der religiösen Macht im 18. Jahrhundert. «Die Ruinen von Belchite sind ein Zeugnis des Werks unserer Vorgänger, der Wurzeln und des Charakters eines Dorfes und seiner Kultur», heisst es im Flyer. Über den Spanischen Bürgerkrieg, die Ursache der Zerstörung, ist kein Wort zu lesen.



Literatur


Isaias Lafuente: «Esclavos por la patria». Madrid 2002.



Javier Rodrigo Cautivos: «Campos de concentración en la España franquista, 1936-1947». Barcelona 2005 (www.riomon.com).



Walther L. Bernecker, Sören Brinkmann: «Kampf der Erinnerungen. Der Spanische Bürgerkrieg in Politik und Gesellschaft 1936-2006». Nettersheim 2006.

Der Spanische Bürgerkrieg (1936-1939)

Am 18. Juli 1936 versuchte eine Gruppe von Generälen die spanische Regierung zu stürzen. Der Putsch scheiterte zwar, weil weite Teile des Landes hinter der liberalen republikanischen Verfassung standen. Trotzdem konnten sich die Putschisten im Lande halten, woraus sich ein blutiger Bürgerkrieg entwickelte, der bis 1939 dauerte und mit dem Sieg der Putschisten endete. In der Folge regierte der Anführer der Putschisten, General Francisco Franco, bis 1975 als Diktator.

Der Spanische Bürgerkrieg wurde oft auf den Kampf zwischen Demokratie und Faschismus reduziert. Dies einerseits aufgrund der substanziellen Militärhilfe Deutschlands und Italiens an die Putschisten. Andererseits formten Freiwillige aus aller Welt die Internationalen Brigaden, die als «antifaschistische» Milizionäre aufseiten der Republik kämpften. Die neuere Forschung zeigt jedoch, dass der Konflikt komplexer war: Auf struktureller Ebene muss man den Antagonismus zwischen den aus dem 19. Jahrhundert stammenden starren Sozial- und Wirtschaftsstrukturen und den durch Industriearbeiter geprägten urbanen Zentren hervorheben. Die «Modernisierungsdefizite» Spaniens wollte die Republik in kürzester Zeit beseitigen. Die Weltwirtschaftskrise engte den ohnehin engen ökonomischen Spielraum für Veränderungen zusätzlich ein. Die republikanische Reformpolitik (Agrarreform, Militärreform, Trennung von Staat und Kirche, Autonomiestatute) verunsicherte die alten Eliten zutiefst.

Bis heute streiten sich HistorikerInnen darüber, ob die Republik aufgrund von zu vielen oder zu wenigen Reformen scheiterte.

Andreas Stucki