Argentiniens Aussenpolitik: «Mit uns beginnt eine neue Ära»
Javier Milei bricht mit allen Regeln der Diplomatie, um eine rechtsextreme Internationale aufzubauen. Ob der argentinische Präsident damit weit kommt, ist fraglich – denn seine Aussenpolitik funktioniert letztlich nach einem plumpen Freund-Feind-Schema.
Nein, in die Schweiz kommt Argentiniens Präsident und Rechtsausleger Javier Milei nun doch nicht. Eigentlich sollte er am anstehenden Ukrainegipfel auf dem Bürgenstock teilnehmen, gegen Ende letzter Woche gab er allerdings sein Fernbleiben bekannt. Die Entscheidung kam überraschend – immerhin war der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski eines der sieben Staatsoberhäupter, die im Dezember der Amtseinführung des ultrarechten, libertären Exzentrikers persönlich beigewohnt hatten. Unter diesen waren auch Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán sowie Brasiliens Expräsident Jair Bolsonaro – und nicht etwa der amtierende Lula, den Milei zuvor als «wilden Linken» bezeichnet hatte.
Mileis Aussenpolitik wirkt bislang sprunghaft und vor allem selbstbezogen. Gleichzeitig ist er aber durchaus bemüht, eine tragfähige rechte Internationale zu schmieden.
Die ganze Alt-Right-Agenda
Europäische Neoliberale, die Milei immer noch als Hoffnungsträger für eine marktwirtschaftliche Revolution feiern, sehen über sein Networking mit Rechtsextremen geflissentlich hinweg. Seinen ersten, vielbeachteten bizarren Auslandsauftritt als Präsident hatte er im Januar am Wef in Davos; dort treffen sich bekanntlich nicht nur libertäre Unternehmer:innen und Politiker:innen, sondern auch sehr viele selbsternannt liberale staatstragende Persönlichkeiten bis hin zu regierenden Sozialdemokrat:innen. Freihandelskapitalismus sei das einzige Instrument, um die Armut auf der Welt zu beenden, erklärte ihnen Milei in betont professoraler Pose. «Soziale Gerechtigkeit ist nicht gerecht, sie ist inhärent ungerecht, weil sie auf der Erhebung von Steuern beruht», so Milei, «erfolgreiche Unternehmer sind Helden, die dem Gemeinwesen nützen.»
Demgegenüber zeichnete er mit groben Strichen ein überaus vielfältiges Feindbild: «Kommunisten, Faschisten, Nazis, Sozialisten, Sozialdemokraten, Nationalsozialisten, Christdemokraten, Keynesianer, Neokeynesianer, Progressive, Populisten, Nationalisten oder Globalisten», das seien allesamt Kollektivisten, dozierte Milei. Zwischen diesen gebe es keine substanziellen Unterschiede, denn sie behaupteten angeblich, dass «der Staat alle Aspekte des Lebens leiten» müsse. Hinzu kam ein Absatz, in dem er sich eher beiläufig als Klimaleugner und Antifeminist outete – das staunende Publikum bekam die ganze Alt-Right-Agenda serviert. Ähnlich bekennerhafte Vorträge hielt Milei in den darauffolgenden Monaten in den USA und in Argentinien, meist vor Gleichgesinnten, noch emotionaler.
Ein besonders inniges Verhältnis pflegt Javier Milei zur rechtsextremen Vox-Partei in Spanien. In Madrid beschimpfte er im Mai, mitten im Europawahlkampf der Franco-Verehrer:innen, die Frau des sozialistischen Regierungschefs Pedro Sánchez als «korrupt». Die spanische Regierung zog daraufhin ihre Botschafterin aus Buenos Aires ab, dort amtet nun ein Geschäftsträger. Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell sprang seinem Parteifreund Sánchez zur Seite und verurteilte den «Frontalangriff» Mileis auf den «Wohlfahrtsstaat und die Umverteilung durch Steuern», durch die in Europa die Gesellschaften zusammengehalten würden.
Wirtschaftlich lässt sich Milei mit seinen rabiaten Aktionen auf ein riskantes Spiel ein. Einzig US-Firmen tätigen in Argentinien bislang grössere Investitionen als spanische. China und Brasilien, deren Regierungen Milei ebenfalls vor den Kopf gestossen hat, sind Argentiniens wichtigste Handelspartner – und China zudem ein wichtiger Gläubiger. Den von seinem Vorgänger Alberto Fernández beschlossenen Beitritt zu den Brics-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) machte Milei rückgängig.
Auf seinen Auslandsreisen liess er Lateinamerika, selbst die benachbarten Mercosur-Staaten, aussen vor. Gleich fünfmal flog er in die USA – zu einem Treffen mit Präsident Joe Biden kam es dabei aber nicht. Stattdessen suchte Milei mächtige CEOs auf, bei denen er um Investitionen in Argentinien warb, zuletzt im Silicon Valley. Gleich zweimal reiste er zu seinem weltweit vielleicht prominentesten Sympathisanten: Elon Musk, dem Interesse an den argentinischen Lithiumvorkommen nachgesagt wird.
Auf der ultrarechten Conservative Political Action Conference (CPAC) in Washington hielt Milei eine bejubelte Rede und posierte zum Fototermin neben Donald Trump. Wenig überraschend nahm die Zahl seiner Fans auf Social Media, wo er sich selbst ausgiebig äussert, sprunghaft zu, insbesondere auf Elon Musks X, das in Argentinien – ähnlich wie in Brasilien und anderswo – von der Ultrarechten mit Hassbotschaften und Fake News dominiert wird.
Hin zur «freien Welt»
Erst am 1. Juni erfolgte Mileis erster Staatsbesuch in einem lateinamerikanischen Land: In El Salvador beehrte er seinen Gesinnungsgenossen Nayib Bukele zu dessen zweiter Amtseinführung. Zuvor hatte er neben Lula auch Kolumbiens linken Präsidenten Gustavo Petro beleidigt – als «Mörder und Terroristen», wegen dessen Vergangenheit als Guerillero in den 1980er Jahren. Mexikos abtretenden Präsidenten Andrés Manuel López Obrador beschimpfte er als «ignorant». In Venezuela, Kuba und Nicaragua ersetzte er die Botschafter durch Geschäftsträger.
Auch religiöse Bezugspunkte liess Javier Milei, der zum Judentum konvertieren will, in seine Auslandstermine einfliessen. In Washington nahm er an einer orthodox-jüdischen Zeremonie teil; in Miami liess er sich zur Einweihung des Zentrums der Chabad-Lubawitsch-Gemeinde für seine «unverbrüchliche Hingabe an die Verbreitung von Freiheit und Hoffnung» die Auszeichnung «Internationaler Botschafter des Lichtes» verleihen. In Israel empfing ihn Ministerpräsident Benjamin Netanjahu; Argentiniens Botschaft will er, ganz nach dem provokanten Vorbild Donald Trumps, von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen lassen. In der Uno lässt er Argentinien konsequent zugunsten von Netanjahus Kriegspolitik abstimmen.
Der prägende US-Diplomat Hans Morgenthau hat die Staatsoberhäupter der Welt einst davor gewarnt, ideologische Vorlieben zur Leitschnur in der Aussenpolitik zu machen. Zwei Dinge seien auseinanderzuhalten, so Morgenthau: die «offizielle Pflicht», also das «Denken und Handeln im nationalen Interesse», und der «persönliche Wunsch», die «eigenen moralischen Werte und politischen Prinzipien umgesetzt zu sehen». Fast schon systematisch tut Milei aber genau das: Er richtet die Aussenpolitik an seinen eigenen Dogmen aus und stellt innenpolitische Übereinkünfte gegen aussen zur Disposition.
Dies gilt etwa für die traditionell multilaterale Ausrichtung Argentiniens. Schon im Wahlkampf erklärte Milei, er wolle seine Aussenpolitik an der «freien Welt» orientieren. In Washington wird diese Wende mit grossem Wohlwollen aufgenommen. Denn schon seit Jahren warnt Generalin Laura Richardson, die das Südkommando der US-Streitkräfte leitet, vor einer chinesischen Expansion in Lateinamerika. Tatsächlich hat die wirtschaftliche, finanzielle und auch technologische Präsenz Chinas in der Region beträchtlich zugenommen; militärisch jedoch haben die USA ihre traditionelle Vormachtstellung gleichzeitig ausgebaut.
Im April nun hat Milei beim letzten Besuch Richardsons in Argentinien eine «neue aussenpolitische Doktrin» seiner Regierung verkündet: «Mit uns beginnt eine neue Ära der Beziehungen mit der Welt», sagte er. Sein Bündnis mit den USA sei eine «Erklärung an die Welt: Argentinien habe beschlossen, die herausragende Rolle wieder einzunehmen, die es nie hätte aufgeben dürfen». Folglich soll nun ganz im Süden des Landes, auf der Inselgruppe Feuerland, eine gemeinsame Marinebasis errichtet werden.
Wie lange Mileis unterwürfige Ausrichtung auf die USA mit seiner ideologiegetriebenen Rechtsaussenpolitik in Einklang zu bringen ist, bleibt abzuwarten. Bald schon wird sich zudem zeigen, ob Milei anstelle radikaler Exzentrik für einmal auch biederen Pragmatismus walten lassen kann: Ab Donnerstag nimmt er im süditalienischen Fasano am G7-Gipfel teil, übernächste Woche ist in Berlin ein Treffen mit dem deutschen Kanzler Olaf Scholz geplant.