US-Aussenpolitik: Der Koloss mischt einen Kontinent auf

Nr. 14 –

Säbelrasseln, Massenausschaffungen, neue Zölle: Donald Trump treibt den US-Imperialismus in Lateinamerika weiter voran.

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Jetzt macht Nayib Bukele auf Hollywood. Der salvadorianische Autokrat postete am Montag ein Video auf X, das in kürzester Zeit ein Millionenpublikum erreichte. Darauf zu sehen: junge Latinos, angeblich «extrem gefährliche Kriminelle», die nachts von schwer bewaffneten Militärs auf einem Flughafen empfangen, unsanft geduckt herausgeführt, geschoren und weggesperrt werden. Die zynische Antwort von Donald Trump folgte in einem Repost: «Thank you, President Bukele, for giving them such a wonderful place to live!»

Um Millionen Flüchtlinge in den USA zu terrorisieren, hatte Trump bereits vor vierzehn Tagen 238 angebliche Mitglieder der Drogenbande Tren de Aragua rechtswidrig nach El Salvador ausweisen lassen, wo sie jetzt in Bukeles für 40 000 Insassen angelegtem Hochsicherheitsknast schmoren. Zwar musste die US-Regierung bald einräumen, dass über hundert der Deportierten gar keine Straftaten begangen hatten. Aber egal – für Gewaltenteilung interessiert sich Trump ebenso wenig wie Bukele.

«Liberation Day»

Was heisst schon Freiheit? Wenn es nach Donald Trump geht, hat das etwas mit Zöllen zu tun. Er hatte den 2. April zum ­«Liberation Day» erklärt, also zum «Befreiungstag», und angekündigt, an diesem Mittwochabend Schweizer Zeit (nach Redaktionsschluss) neue weitreichende Zölle in Kraft zu setzen.

Zusätzlich zu neuen Autozöllen wird die US-Regierung wohl unter anderem neue Zölle auf Pharmazeutika, Halbleiter und Holz verhängen. Kein Staat soll verschont bleiben, so Trump im Vorfeld. Wir sind alle zur Freiheit verurteilt.

 

Die einmütige Inszenierung der ultrarechten Gesinnungsgenossen zeigt, welcher Wind seit Trumps Amtsantritt weht. «Sie brauchen uns, wir brauchen sie nicht», hatte er gleich nach seinem Amtsantritt mit Blick auf Lateinamerika erklärt. An der Südgrenze rief er einen «nationalen Notstand» aus und beorderte Tausende Soldat:innen dorthin. Die App «CPB One», die das Asylverfahren für Millionen lateinamerikanische Geflüchtete erleichtert hatte, schaffte er ab.

Am Mittwoch war Trumps «Liberation Day», für den er neue Zölle angekündigt hatte. Damit – wie mit den schon beschlossenen 25 Prozent auf importierte Autos – will er die US-Wirtschaft stärken. Das Nordamerikanische Freihandelsabkommen mit Kanada und Mexiko, das seit 31 Jahren besteht, wird solche unilateralen Schritte kaum überleben.

Besonders verwundbar ist Mexiko: Dort lassen Ford, General Motors, VW und BMW produzieren. Die Autoindustrie macht 3,6 Prozent des mexikanischen Bruttoinlandprodukts aus. Die linke Präsidentin Claudia Sheinbaum, die bislang auf die wiederholten Ankündigungen aus Washington mit kühlem Kopf reagierte, wollte auch im Vorfeld des Liberation Day erst mal abwarten. Die Abhängigkeit Mexikos vom «Koloss des Nordens» ist viel grösser als jene der südamerikanischen Regionalmächte Brasilien und Argentinien.

Gegenüber den «Schurkenstaaten» Kuba, Venezuela und Nicaragua hat US-Aussenminister Marco Rubio einen harten Kurs angekündigt, der im Fall Venezuelas sogar kurzfristige wirtschaftliche Interessen hinter geopolitische Überlegungen zurücktreten lässt. Trump untersagte dem US-Multi Chevron, seine Aktivitäten in Venezuela fortzusetzen. Der autokratische Staatschef Nicolás Maduro kommentierte: «Der Imperialismus hat sich ins Knie geschossen.»

Wie zur imperialen Blütezeit

Bei aller Abschottung behandelt Donald Trump Lateinamerika als Hinterhof der USA, ähnlich wie seine Vorgänger zur Blütezeit des US-Imperialismus vor hundert Jahren. Er knüpft an die Monroe-Doktrin aus dem Jahr 1823 an. «Amerika den Amerikanern» – so formulierte der damalige US-Präsident James Monroe den Anspruch der USA. Damals richtete sich das Motto noch gegen die Rivalen aus Europa, vor allem gegen Grossbritannien, das auf dem Subkontinent ökonomisch den Ton angab.

Heute heisst der grosse geopolitische Rivale China. Den Panamakanal will Trump «zurückholen», Panamas Regierung habe die Verwaltung des Kanals China überlassen, behauptete er schon vor Wochen. Ihm schwebt eine neue geopolitische Aufteilung der Welt vor, bei der Lateinamerika wieder eindeutig unter der Vorherrschaft der USA stehen soll.

Doch so einfach lässt sich die Uhr nicht zurückdrehen: Im 21. Jahrhundert hat China seine Position in Lateinamerika beträchtlich gestärkt. Das Land wurde zu einem wichtigen Abnehmer von Soja, Erdöl und Eisenerz und integrierte mehrere Länder in sein globales Infrastrukturprojekt «Neue Seidenstrasse». Vor allem Brasilien, zusammen mit Russland, Indien und China Gründungsmitglied der Brics-Staaten, macht konkrete Schritte in Richtung multilateraler Weltordnung.

Ebenso wenig wie das vom Exgewerkschafter Lula da Silva regierte Brasilien wollen sich die meisten anderen Regierungen Lateinamerikas und der Karibik die trumpsche Einflussnahme gefallen lassen. Allerdings ist die krisengeschüttelte Region fragil: Corona und das Klimadesaster, eine ungebremste extraktivistische Ausplünderung bei Zunahme der sozialen Ungleichheit sowie die grassierende Narco-Kriminalität haben Spuren hinterlassen.

Milei in Washington

Neben Nayib Bukele möchte sich auch Javier Milei dem US-Präsidenten als williger Helfershelfer andienen: Der ultrarechte Argentinier, der gerade mit voller Kraft eine «Anti-Woke-Agenda» à la Trump vorantreibt, spielte jüngst sogar mit dem Gedanken, für einen Freihandelsvertrag mit den USA die Zollunion Mercosur zu sprengen. In der Uno weigerte sich der Bewunderer des «freien Westens» ebenso wie die USA, die russische Aggression gegen die Ukraine in einer Resolution zu verurteilen. Den Wahlsieger Trump durfte er als erster Staatschef besuchen, Bukele wird im April im Weissen Haus erwartet.

Die Lateinamerikapolitik Joe Bidens war im Vergleich fast harmlos, aber ebenfalls geprägt von imperialen Ansprüchen. So warnte etwa auch die unter Biden amtierende Chefin des US Southern Command, Laura Richardson, regelmässig vor der «gelben Gefahr», also der Einflussnahme Chinas in Lateinamerika. Zusammen mit Milei kündigte sie vergangenes Jahr den Bau einer gemeinsamen Militärbasis in Feuerland an. Biden kann man vor allem seine uneingeschränkte Solidarität mit Lula beim Putschversuch von Jair Bolsonaro in Brasilien zugutehalten. Mit Trump im Weissen Haus wäre im Januar 2023 der Umsturz womöglich gelungen.

Für Lateinamerika und die Karibik stellt die neoimperiale Offensive aus Washington eine enorme Gefahr mit offenem Ausgang dar. Die Kleinstaaten Zentralamerikas und der Karibik vermögen den USA wenig entgegenzusetzen. In Brasilien, Chile und Kolumbien droht bei den kommenden Wahlen ein Schwenk hin zur Ultrarechten. Die progressiven Kräfte, die vor zwanzig Jahren den Linksruck in Südamerika anführten, befinden sich in einer tiefen Krise.

Ob Trumps Lateinamerikapolitik für die USA selbst wirklich das Beste ist, bleibt indes unklar. Kolumbiens Präsident Gustavo Petro hat da so seine Zweifel: Trumps Diktum, dass diese den Subkontinent nicht bräuchten, warnt er, «ist gefährlich, nicht nur für die Welt, sondern auch für die nordamerikanische Gesellschaft selbst».