Italien in Europa: Im Kreis der Grossen
Symbolpolitik und Repression: Wie Giorgia Meloni ihr Land regiert und auch ausserhalb mehr Einfluss beansprucht.
Den Slogan soll Silvio Berlusconi persönlich erfunden haben: «Weniger Europa in Italien, mehr Italien in Europa!» Das Ziel, als souveräne Nation im Kreis der Grossen eine wichtige Rolle zu spielen, kennzeichnet auch die Aussenpolitik der im Herbst 2022 installierten rechten Regierung von Giorgia Meloni. Bislang war der italienische Machtanspruch auf europäischer Ebene mehr Wunsch als Wirklichkeit, und das wird auf absehbare Zeit auch so bleiben. Geändert hat sich allerdings die öffentliche Wahrnehmung. Dafür verantwortlich ist nicht zuletzt die Macht der Bilder. Sie zeigen die italienische Regierungschefin mit Joe Biden, Emmanuel Macron, Olaf Scholz, Wolodimir Selenski, Ursula von der Leyen oder auf Gruppenfotos inmitten ausländischer Anzugträger.
Die Botschaft der Bilder verstehen die einheimischen Adressat:innen auch ohne erklärende Unterzeile: Wir sind wieder wer, und das verdanken wir vor allem der so häufig unterschätzten Regierungschefin und ihrer Partei, den Fratelli d’Italia (FdI). Schlichte Gemüter mögen sich dadurch als Teil des nationalen Kollektivs aufgewertet fühlen.
Enttäuschende Bilanz
Ob die ziemlich erfolgreiche rechte Symbolpolitik auf Dauer für eine Mehrheit reicht, ist allerdings fraglich. Denn in der Wirtschafts- und Sozialpolitik ist die Bilanz der Regierung auch für die eigene Anhänger:innenschaft enttäuschend: Während die Zahl der in absoluter Armut Lebenden gestiegen ist, haben die Besserverdienenden etwa von Steueramnestien profitiert. Die begrenzte Autonomie der Regionen, wie sie vor allem die Lega fordert, wird die soziale Ungleichheit zulasten des Südens zudem noch erhöhen. Für den Fall grösserer sozialer Proteste steht die Staatsmacht schon bereit. Derzeit geht sie vor allem gegen Schüler:innen und Studierende gewaltsam vor. Besonders hart trifft es dabei junge Menschen, die mit Besetzungsaktionen ihre Solidarität mit den Palästinenser:innen demonstrieren.
Bei näherer Betrachtung sind die Ergebnisse der Wahlen zum Europäischen Parlament von Anfang Juni nicht so glanzvoll wie von Melonis Partei dargestellt. Zwar hat diese gegenüber der italienischen Parlamentswahl im September 2022 prozentual noch einmal zugelegt, dabei aber, gemessen an den absoluten Zahlen, an Zustimmung verloren. Zugleich ist der Abstand von Melonis FdI (28,8 Prozent) zur zweitstärksten Partei, dem oppositionellen Partito Democratico (24 Prozent), kleiner geworden. Dessen Generalsekretärin Elly Schlein hat zu Recht die Parole ausgegeben: Die regierende Rechte ist schlagbar, allerdings nur mit einem breiten Bündnis. Zu diesem gehört, neben der schwächelnden Fünf-Sterne-Bewegung (10 Prozent), auch die linksgrüne Alleanza Verdi e Sinistra (6,7 Prozent).
Meloni verweist indes darauf, dass sie – im Gegensatz zu den bei der Europawahl arg gebeutelten Kollegen Macron und Scholz – auch in der Regierungsverantwortung Zugewinne verbuchen konnte. Woraus – auch mit Blick auf die Besetzung der europäischen Führungspositionen – folge, dass ihr Land die Rolle spielen müsse, die ihm zustehe. Beim G7-Gipfel im süditalienischen Fasano hat Gastgeberin Meloni schon einmal angedeutet, wie sie diese Rolle interpretiert. In zähen Verhandlungen bis drei Uhr morgens verhinderten ihre Delegierten die Aufnahme des Rechts auf Abtreibung in die Abschlusserklärung. Dafür hatte sich insbesondere Macron eingesetzt, der entsprechend verschnupft auf die italienische Intervention reagierte.
Zurück zur Tagesordnung
Solche Irritationen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Meloni längst akzeptierte Partnerin des deutsch-französischen EU-Führungsduos ist und auch bleibt – zumindest, solange sie dessen Aussen- und Militärpolitik unterstützt. Ihre repressive Innenpolitik interessiert in Brüssel und Strassburg nur am Rande, ebenso ihre Bündnisversuche mit den ungarischen und polnischen «Souveränisten» Viktor Orbán und Mateusz Morawiecki. Den Plan, im EU-Parlament eine grössere rechte Fraktion zu gründen, hat Meloni noch nicht aufgegeben.
Mahnungen zur Mässigung gibt es von den europäischen Gremien allenfalls anlässlich neofaschistischer Aufmärsche, wie sie jüngst der Fernsehsender La7 öffentlich machte: Gezeigt wurden die Lobreden auf Mussolini, rassistische Sprechchöre und römische Grüsse bei Treffen der Nationalen Jugend, der Nachwuchsorganisation der FdI. Das fand die EU-Kommission «unpassend» und «moralisch falsch». Dann ging sie zur Tagesordnung über.