Queer-Rechte in Thailand: Ein besonders bunter Regenbogen­monat

Nr. 27 –

Als erstes Land in Südostasien erlaubt Thailand die gleichgeschlechtliche Ehe. Was ist damit erreicht, was bleibt zu tun? Eine Begegnung mit der langjährigen Aktivistin Matcha Phorn-in.

Portraitfoto von Matcha Phorn-in
«Die wahre Bedeutung von Pride liegt nicht nur in den Queerrechten – sondern auch in der Inklusion aller marginalisierten Gemeinschaften», sagt Matcha Phorn-in.

Normalerweise kommt es im stolzen Königreich Thailand kaum vor, dass sich die nationalen und monarchischen Symbole im öffentlichen Raum in den Hintergrund drängen lassen. Anders ist es jeweils im Juni: Während des Pride-Monats werden die rot-weiss-blauen Nationalflaggen im ganzen Land von einem Meer aus Regenbogenfahnen überstrahlt. Die grossen Shoppingmalls sind genauso überschwänglich farbenfroh geschmückt wie alle möglichen kleinen Geschäfte: Cannabisshops, Massagesalons, Cafés, Handwerksbetriebe. Überall flattern Regenbogenwimpel.

In diesem Jahr gibt es besonders viel Grund zum Feiern: Als erstes Land in Südostasien führt das überwiegend buddhistische Königreich die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ein. Nachdem das Repräsentantenhaus bereits im März der «marriage equality» zugestimmt hat, gab am 18. Juni auch der Senat sein Ja-Wort. In ganz Asien haben dies einzig Taiwan und Nepal schon vorgemacht.

Die Familie selbst wählen

Der Öffnung der Ehe für alle ist auch in Thailand eine lange gesellschaftliche Debatte vorausgegangen, die durch allerlei politische Turbulenzen noch zusätzlich in die Länge gezogen wurde. «Mehr als zwanzig Jahre lang haben wir dafür gekämpft und Lobbyarbeit geleistet», sagt Matcha Phorn-in bei einem Treffen in einem Café auf dem Campus der Universität von Chiang Mai, der Metropole ganz im Nordwesten Thailands.

Matcha Phorn-in ist eine lesbisch-feministische Queeraktivistin mit jahrelanger Erfahrung. Auf den Oberarmen hat sie Blumentattoos, auf dem Kopf bereits das eine oder andere graue Haar. Neben Thailands LGBTQI+-Gemeinschaft gilt das Engagement der 44-Jährigen insbesondere der oft recht- und staatenlosen indigenen Bevölkerung der Karen-Minderheit. Diese lebt in der abgelegenen, bergigen Provinz Mae Hong Son an der Grenze zu Myanmar. Die von ihr gegründete NGO Sangsan Anakot Yawachon setzt sich insbesondere für queere indigene Frauen und Mädchen ein.

Derzeit freut sich Phorn-in vor allem auf den 23. November: Dann wird sie ihre langjährige Partnerin, die 50-jährige Veerawan Wanna, endlich heiraten. Auch ihre 21 Jahre alte gemeinsame Tochter Siriwan wird mitfeiern. «Eigentlich ist sie meine Nichte», erklärt Phorn-in. Als Siriwan dreijährig war, trennten sich ihre Eltern, worauf sie bei der Grossmutter unterkam; als diese altersbedingt nicht mehr für die Enkelin sorgen konnte, übernahmen Matcha Phorn-in und ihre Partnerin die Kinderbetreuung. «Am Anfang haben wir sie nicht als unsere Tochter betrachtet. Aber als sie auf einmal Mama zu uns sagte, hat sich das geändert.» Phorn-in, die an Universitäten in Chiang Mai und Bangkok als Gastdozentin für Menschenrechte lehrt, ist der Meinung: «Kinder haben das Recht, ihre Familie selbst zu wählen.»

In gewisser Hinsicht hat Phorn-in sehr viele Kinder. Ihre NGO hat mittels Stipendien bereits über tausend Kindern den Schulbesuch ermöglicht. «Gut fünfzig haben es schon auf die Universität geschafft», erzählt Phorn-in nicht ohne Stolz. Bildung sei in Thailand meist der einzige Weg aus der Armut, «und für Frauen eine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben».

Kein Grund zum Nachlassen

Matcha Phorn-in stammt selbst aus einer indigenen Minderheit. Ihre Familie gehört den Lao an, und sie wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Schon als Achtjährige habe sie in einer Ziegelsteinbrennerei schuften müssen. «Ich schleppte jeden Tag neun Stunden lang bis zu zwanzig Kilogramm schwere Ziegelsteinpacken umher», erzählt sie. Heute wisse sie: «Das war Kinderarbeit.» Trotzdem schaffte es Phorn-in an eine Schule, und später erhielt sie ein Stipendium für ein Mikrobiologiestudium. Weil dieses aber nicht ausreichte, musste sie daneben weiterhin arbeiten. «Ich konnte letztlich aus der Armut ausbrechen», sagt sie. «Um das auch anderen zu ermöglichen, wurde ich Aktivistin.»

Der Kampf für Queerrechte und Gendergerechtigkeit stellt für sie denn auch nur eine, wenn auch eine wichtige Facette eines ganzheitlichen Kampfs dar. «Mir geht es genauso um Umweltgerechtigkeit, um Arbeiter:innen-, Armen- und Landrechte und letztlich um die Verteilung von Macht», fasst sie ihren Aktivismus zusammen. Darin bettet sie auch ihr Engagement für die gleichgeschlechtliche Ehe ein: «Homophobie wurzelt im binären System», sagt Phorn-in. Und dieses wiederum sei dazu da, eine ungleiche Machtverteilung aufrechtzuerhalten.

So stellt das Recht auf gleichgeschlechtliche Ehen in Thailand für Phorn-in zwar einen historischen Sieg dar, aber keinen Grund, ihren Aktivismus zu drosseln. Auch wenn sich je nach Umfrage sechzig bis achtzig Prozent der Thai für die Ehegleichheit ausgesprochen hätten: In manchen Landesteilen würden die Menschen noch immer sehr konservativ ticken, sagt sie.

Die Flut an Regenbogenfahnen während des Pride-Monats sieht Matcha Phorn-in kritisch. Bei aller schönen Symbolik der Akzeptanz: «Es muss uns bewusst sein, dass das Rainbow-Washing ist», gibt sie zu bedenken. Sie könne es nicht zulassen, dass Konzerne und Unternehmen den Regenbogen zu ihrem Vorteil nutzten, ohne tatsächlich etwas für die Gleichheit in der Gesellschaft zu tun. Denn für sie ist klar: «Die wahre Bedeutung von Pride liegt nicht nur in den Queerrechten – sondern auch in den Menschenrechten, der Geschlechtergleichstellung und in der Inklusion aller marginalisierten Gemeinschaften.»