Kost und Logis: Im Klimasündenpfuhl
Karin Hoffsten über Gewissensnöte bei der Reiseplanung

Sie müsse immer an den Film «Dead Men Don’t Wear Plaid» denken, sagte Karla, weil darin die Schurken auf einem Kreuzfahrtschiff mit dem programmatischen Namen «Immer Essen» reisten. Sie und ihr Mann planten nämlich eine Kreuzfahrt – ausgerechnet sie beide, die diese schwimmenden Massenschläge grässlich fänden, eine klimazerstörende Katastrophe, auf der sich engstirnige Kleinbürger:innen von morgens bis abends die Wampe vollschlügen. Aber wegen seiner chronischen Erkrankung könnten sie sonst nicht mehr verreisen, und auf diesen Schiffen solle es ja von Rollatoren und Rollstühlen nur so wimmeln.
Man buchte also eine Kreuzfahrt zum Nordkap. Kaum unterwegs, schrieb Karla, das Wesen von Klischees sei ja, dass sie leider häufig zuträfen. So begrüsse der «Kreuzfahrtdirektor» morgens um neun via Kabinenlautsprecher die lieben Gäste zu einem neuen Tag an Bord, und anschliessend träten sich diese an diversen Frühstücksbuffets gegenseitig auf die Füsse, um ja nicht zu kurz zu kommen. Vor allem ältere Paare in unterschiedlichster Erscheinungsform treffe man an Bord an, wobei sich deren interne Kommunikation jeweils erstaunlich ähnele – da nehme sie sich auch nicht aus. Im Übrigen gelte das Schiff mit maximal tausend Reisenden als «klein».
Der erste Tag begann mit der Seenotrettungsübung. Erst verhedderte man sich schwitzend in den Gurten der im Schrank bereitliegenden Rettungswesten, dann musste man sich, nach Kabinennummern gestaffelt, bei den Rettungsbooten einfinden. Man durfte gleich wieder gehen, obwohl es Karla eingedenk der «Titanic» sinnvoll gefunden hätte, so ein Rettungsboot übungshalber auch mal besteigen zu müssen.
Der Notfall blieb zum Glück aus. Als grösste Herausforderung erwies sich, von überall, wo etwas los war, wieder in die eigene Kabine zurückzufinden. Denn los war viel: Restaurants, Bars, Boutiquen, Swimmingpools, Fitnesscenter, ein Beautysalon, eine Bibliothek und ein Theater für abendliche Tanz- und Musikshows. Highlights seien die gescheiten Vorträge zu den Ausflügen in die norwegische Fjordlandschaft gewesen.
Das freundliche Personal kam mehrheitlich aus Indonesien und las den Gästen nicht nur jeden Wunsch von den Augen ab, sondern faltete auch herzige Tiere aus der Bettdecke. Weil das Schiff einer portugiesischen Reederei gehört, würden die Angestellten nach EU-Regeln entlöhnt, informierte die Reiseleitung. Dennoch – oder deshalb? – wurde am Schluss für die Crew Trinkgeld gesammelt.
Doch die wahre Show boten das Meer, der Himmel, die Sonne und der Mond. Obwohl das Nordkap selbst im Nebel gesteckt habe, sei es fantastisch gewesen. Zu jeder Tages- und Nachtzeit könne man übers Wasser schauen, ständig ändere sich das Licht. Dass die Sonne im Sommer wirklich nicht untergeht, habe sie aber erst geglaubt, als der orange Ball nachts um halb zwei immer noch über dem Horizont geleuchtet habe. Davon träumt sie jetzt.
Weil auch Karin Hoffsten das Meer liebt, hofft sie auf wirklich klimaneutrale Kreuzfahrten in baldiger Zukunft.