Planetare Grenzen: Auch Fische brauchen Luft zum Atmen
Immer mehr Daten zeigen, dass der Sauerstoffgehalt in Gewässern und vor allem in den Ozeanen teils dramatisch zurückgeht – eine weitere Folge der Erderwärmung. Droht ein neuer Kipppunkt?
Im Juli registrierten mindestens zehn Länder Temperaturen von fünfzig Grad Celsius und mehr, wie die Weltorganisation für Meteorologie berichtet. Mancherorts nimmt die Hitze inzwischen lebensbedrohliche Ausmasse an. Das verdeutlicht vor allem eins: So wichtig Massnahmen zur Anpassung an die Erderwärmung sind, die zunehmend den Klimadiskurs dominieren – es führt kein Weg daran vorbei, die Ursache dieser Erhitzung so rasch als möglich zu bekämpfen.
2015 hatten sich die Regierungen dieser Welt im Pariser Klimaabkommen auf das Ziel geeinigt, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Doch in den vergangenen zwölf Monaten lagen die Temperaturen über den ganzen Planeten gemittelt konstant darüber, so das EU-Erdbeobachtungsprogramm Copernicus. Und selbst wenn es in den nächsten Monaten voraussichtlich wieder etwas kühler wird, weil sich mit La Niña im tropischen Pazifik eine quasiperiodische Abkühlung anbahnt: Die 1,5-Grad-Grenze liegt inzwischen in greifbarer Nähe.
Mit der Annäherung an diese Marke wächst die Sorge, einzelne Teile des Erdsystems könnten an einen Wendepunkt kommen, an einen Kipppunkt, der sie völlig aus dem Gleichgewicht geraten und umschlagen lässt. Wenn das geschieht, werden Prozesse angestossen, die unumkehrbar sind und die Entwicklung des gesamten Planeten für die nächsten Jahrhunderte oder gar Jahrtausende bestimmen würden.
Immer mehr Arten leiden
Im Ozean etwa könnten die Eisschilde an den Polen wegschmelzen, als Folge würde der Meeresspiegel noch weit stärker steigen als bislang angenommen (siehe WOZ Nr. 32/21). Oder die grosse atlantische Umwälzströmung, zu der auch der Golfstrom gehört, könnte zum Erliegen kommen – ein Szenario, das immer wieder thematisiert wird.
Das ist aber nur ein Teil der dramatischen Veränderungen, die sich in den Ozeanen abspielen. So nimmt auch der Sauerstoffgehalt von Gewässern in aller Welt in teils rasantem Tempo ab, wie ein internationales Team von Wissenschaftler:innen in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins «Nature Ecology & Evolution» aufzeigt. Die Situation bewege sich vielerorts rasch auf kritische Grenzwerte zu.
Zwar gibt es keinen einheitlichen Wert, ab dem das Leben für auf Sauerstoff angewiesene Fische und andere Tiere unmöglich wird. Forellen etwa meiden Zonen, in denen das im Wasser gelöste Gas für viele andere Organismen noch reicht. Und einige Unterarten der kleinen, zum Plankton gehörenden Ruderfusskrebse kommen auch mit sehr niedrigen Konzentrationen zurecht.
Die Autor:innen der Studie finden jedoch zahlreiche Belege dafür, dass immer mehr Arten unter dem abnehmenden Sauerstoffgehalt des Wassers leiden – direkt oder indirekt über Veränderungen in den Nahrungsketten. Zu den Gründen gehört, dass die globale Erwärmung zu einer stabileren Schichtung von Seen und Meeren führt: Warmes Wasser verharrt über dem kälteren in den obersten Schichten. Aber einzig dort wird von den Algen Sauerstoff produziert oder dieser aus der Atmosphäre aufgenommen, was zudem in wärmerem Wasser weniger geschieht. In tiefere Schichten gelangt Sauerstoff nur durch absinkendes Wasser.
Prognosen bleiben schwierig
«Es ist wichtig, dass die Sauerstoffabnahme in der Hydrosphäre auf die Liste der planetaren Grenzen gesetzt wird», sagt Erstautor Kevin Rose vom Rensselaer Polytechnic Institute in den USA. «Dies wird helfen, die globalen Bemühungen in den Bereichen der Beobachtung, der Forschung und der politischen Massnahmen zu unterstützen und zu bündeln, um unsere aquatischen Ökosysteme und damit auch die Gesellschaft insgesamt zu schützen.» Das Konzept der planetaren Belastbarkeitsgrenzen wurde vor einigen Jahren entwickelt, um die mit den bereits erwähnten Kipppunkten verbundenen Risiken zu beschreiben.
Doch wo genau liegt der Kipppunkt für den Sauerstoffgehalt? Um das eingrenzen zu können, bräuchte es dringend mehr Messdaten, betonen die Autor:innen. Nicht zuletzt, weil sich die Kipppunkte in den diversen Subsystemen immer noch nicht genau bestimmen lassen, wie eine weitere, eben publizierte Studie in «Science Advances» zeigt. Das liege an Unsicherheiten in den Messdaten sowie den Annahmen, die den Modellen zugrunde lägen.
Was zu tun ist
Dass es schwierig zu prognostizieren ist, wann ein System kippt, ist allerdings kein Grund, Entwarnung zu geben. Kipppunkte könnten durchaus früher auftreten als bisher angenommen, betont Gerrit Lohmann, der am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven die Arbeitsgruppe Dynamik des Paläoklimas leitet. Und das Risiko, einen solchen Kipppunkt zu erreichen, steigt erheblich, wenn die 1,5-Grad-Schwelle überschritten wird, darin sind sich Klimaforschende einig.
Allerdings lässt sich diese Gefahr vermindern, wenn die Erderwärmung rasch ausgebremst und gestoppt wird. Die Mindestvoraussetzung dafür ist klar: Die globalen Treibhausgasemissionen müssen reduziert werden – und zwar noch in diesem Jahrzehnt, wie eine weitere Studie vorrechnet, die jüngst in «Nature Communications» erschienen ist.