Vorläufige Aufnahme: Hürden auf dem Bildungsweg
Fünf Jahre müssen Personen mit Status F in Zürich warten, bis sie ein Stipendium für eine Ausbildung erhalten können. Die Wartefrist soll nun fallen – wie schon in anderen Kantonen.

2019 haben sich Bund und Kantone mit der «Integrationsagenda Schweiz» dazu verpflichtet, die berufliche und soziale Integration von vorläufig aufgenommenen Geflüchteten zu fördern. In vielen Kantonen jedoch müssen Personen mit dem F-Ausweis (sogenannt vorläufig Aufgenommene) auch heute noch fünf Jahre warten, bis sie ein Stipendium für eine Berufsausbildung erhalten können. Es gibt aber Ausnahmen: In Basel-Stadt, Genf, Graubünden, Schwyz, Solothurn, Thurgau, Waadt, Zug und neuerdings Bern kann ein solcher Antrag von vorläufig Aufgenommenen schon früher – teils ganz ohne Wartefristen – bewilligt werden.
Auch das Parlament des Kantons Zürich hat sich dafür entschieden. Da aber die SVP daraufhin das Referendum ergriff, liegt es am 22. September an der Stimmbevölkerung, ob sie einer solchen Änderung des Bildungsgesetzes zustimmen will.
Eine wirtschaftspolitische Vorlage
Von einer Stipendienberechtigung für vorläufig Aufgenommene würden nicht nur die Geflüchteten selbst profitieren. Angesichts dessen, dass viele Firmen grosse Probleme haben, genügend Fachkräfte zu finden, ist es aus wirtschaftlicher Hinsicht interessant, den insgesamt etwa 7400 vorläufig aufgenommenen Personen im Kanton Zürich den Einstieg in die Berufswelt zu erleichtern. Auch für die Gemeinden lohnte sich ein Ja: Mit einer abgeschlossenen Ausbildung können junge Geflüchtete eher ihr Leben selber finanzieren und Steuern bezahlen. Weniger Sozialhilfekosten, mehr Einnahmen: Für viele Gemeinden wäre das eine spürbare Entlastung. Und es erklärt, warum die Vorlage auch von den bürgerlichen Parteien Die Mitte, EVP und GLP unterstützt wird. «Es handelt sich um eine bildungs- und wirtschaftspolitische Frage – und nicht um eine asylpolitische, wie die SVP behauptet», betont denn auch Markus Truniger vom überparteilichen Komitee «Ja zu Stipendien für Geflüchtete – ohne Wartefristen».
«Deutsch lernte ich am schnellsten im Lehrbetrieb, beim Reden mit den Kund:innen», sagt Danyal Mirzadeh. Der zwanzigjährige Afghane kam 2021 nach einer mehrjährigen Odyssee in die Schweiz – sechs Jahre nachdem er als Elfjähriger zusammen mit Bekannten aus seinem Dorf aus Afghanistan floh. Ab der Türkei war er alleine unterwegs. Die ersten Monate in der Schweiz verbrachte er im Zentrum Lilienberg für unbegleitete Minderjährige im Kanton Zürich. Bereits ein halbes Jahr später trat er in der Fachschule Viventa das Berufsvorbereitungsjahr an. Im August 2023 begann er eine dreijährige Berufslehre in einem Coiffeursalon.
Vorläufig Aufgenommene sind zwar nicht als Flüchtlinge anerkannt, erhalten aber trotzdem eine Aufenthaltsbewilligung, weil eine Rückkehr ins Herkunftsland unmöglich, unzumutbar oder unzulässig ist. Die grosse Mehrheit der derzeit in der Schweiz lebenden Personen mit Status F kommen aus Syrien, Afghanistan, Eritrea und Somalia.
Zahlen des Bundes zeigen: Über achtzig Prozent der «vorläufig» Aufgenommenen bleiben dauerhaft oder zumindest langfristig in der Schweiz. Gemäss Asylgesetz haben sie keinen vom Bund garantierten Anspruch auf den vollen Beitrag der Sozialhilfe und können somit kaum am gesellschaftlichen Leben teilhaben. In den meisten Gemeinden des Kantons Zürich sind es bloss rund 600 Franken – dreissig Prozent weniger als alle anderen Personen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind –, die ihnen nach Abzug der Wohn- und Krankenkassenkosten monatlich zum Leben zur Verfügung stehen.
Nur wenig besser ist die Situation für die knapp tausend Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit F-Ausweis, die eine Lehrstelle gefunden haben. Mirzadeh, der nach wie vor in einem Containerdorf der Asylorganisation AOZ in Zürich Altstetten wohnt, hatte als Lehrling immerhin etwa 900 Franken pro Monat zur Verfügung.
Seit diesem August jedoch muss Danyal Mirzadeh bis auf Weiteres wieder mit weniger Geld zurechtkommen: Aus schulischen Gründen entschied er sich, von der drei- auf eine zweijährige Berufslehre mit dem Abschluss eines Berufsattests umzusatteln – mit der Option, danach noch ein Jahr anzuhängen und auch das Fähigkeitszeugnis zu erhalten. Daran, dass er Coiffeur werden will, ändert das nichts. Er ist nun auf der Suche nach einem neuen Betrieb. Findet er bis in spätestens drei Monaten eine neue Stelle, wird das bereits absolvierte Lehrjahr angerechnet.
Auf Stellensuche
Mirzadeh hofft, in zwei Jahren den B-Ausweis zu erhalten. Nach fünf Jahren kann der F-Ausweis entsprechend umgewandelt werden, wenn sogenannte Integrationsbedingungen erfüllt sind. Seine Chancen stehen gut. Im Idealfall hat er bis dann bereits ein Lehrabschlussdiplom im Sack – und findet eine Anstellung, die es ihm erlaubt, ohne staatliche Unterstützung zu leben. Der Weg dahin wäre deutlich einfacher, wenn er während der Ausbildung ein Stipendium erhielte: «Das wäre super», sagt er. «Dann bräuchte ich auch keine Sozialhilfe mehr – und es bräuchte überhaupt viel weniger Sozialbetreuer!» Er ist jedenfalls hochmotiviert. Gleich macht er sich wieder auf den Weg und klappert Coiffeursalons ab, um eine neue Lehrstelle zu finden.